Vier Kameras und Gulasch aus dem Glas 

Die »Kastlgreißlerin an der Semmeringbahn« belebt eine leer stehende Trafik wieder.

Man sieht ein kleines Gebäude, vor dem Menschen stehen. Darauf zu lesen ist: «Kauf Regional!» und «Kastlgreissler an der Semmeringbahn«.
Kein Container, aber doch ein »Kastl«: der Kastlgreißler in Payerbach. Bild: Kastlgreißler.

Es war die letzte Trafik in Payerbach. Danach hatte eine Zeitlang ein Optiker dort sein Glück versucht, geöffnet nach Terminvereinbarung. Dann war das Gebäude direkt an der einzigen Ampel im Ort 6 Monate lang leer gestanden. Hauptstraße 1, eine traurige Geschichte des Niedergangs, in der nur noch der Trafikant aus dem Nachbarort regelmäßig vorfuhr, um den verbliebenen Zigarettenautomaten an der Außenwand zu bestücken. Ein Leerstand, wie es ihn in vielen Ortschaften gibt, erst recht in von Abwanderung geprägten Gegenden wie hier am Semmering. Vom Land wird Payerbach als »Abwanderungsgemeinde« geführt, Kategorie II. Das heißt: Die 2200-Seelen-Gemeinde hat zuletzt mehr als 5 Prozent ihrer Bevölkerung verloren.
Diese Tendenz wird sich schwer umkehren lassen. Doch seit Ende September ist das auffällige frei stehende Gebäude direkt gegenüber dem Hotel Payerbacherhof rund um die Uhr geöffnet: als Selbstbedienungsladen. Manuela Grabherr-Gappmayer hat in der alten Trafik einen »Kastlgreißler« eingerichtet. Die studierte Germanistin und ehemalige ORF-Mitarbeiterin aus Salzburg ist eine der wenigen, die in den vergangenen Jahren in die Gegend gezogen sind und nicht nur – wie die vielen ZweitwohnsitzerInnen – an langen Wochenenden und zur Sommerfrische vorbeischauen. Grabherr-Gappmayer hat sich als »die Manu« hier schnell einen Namen gemacht. Seit zwei Saisonen führt sie als Hüttenwirtin das Weichtalhaus, eine Talherberge im Eigentum der Naturfreunde. Dass dort selbst gekocht wird, größtenteils mit regionalen Zutaten, und dass es neben dem traditionellen Gulasch und Blunzengröstl auch vegane Kost gibt, hat sich herumgesprochen. Ihre Bärlauchgnocchi werden weithin gerühmt. Biozutaten spielen im Weichtalhaus keine Rolle. »Das derrechnen wir nicht«, sagt Grabherr-Gappmayer. In ihrer Kastlgreißlerei aber sehr wohl. Zwanzig Prozent der regionalen Zutaten seien biozertifiziert, schätzt sie: Käse, Eier, Joghurt, Molke, Säfte, Aufstriche, Marmeladen, Getreide, Müsli und bald auch Fleisch werden in Bioqualität angeboten. Auch beim überregionalen Sortiment, das sie beim Kooperationspartner AGM einkauft, legt sie Wert auf Bio. »Ich führe Spezialitäten von Dattelbär, die Aufstriche von Bio Balkan und stolz bin ich auf das Sortiment der Erdbeerwoche, denn nachhaltige Frauenhygieneprodukte sind in der Gegend sonst sehr schwer zu bekommen.« Der absolute Renner seien allerdings ihre frischen, im Glas angebotenen Fertigprodukte aus dem Weichtalhaus: Linsendal, Spinatknödel, Gulasch oder Curry zum Mitnehmen.

Das Notwendigste aber davon einiges: 500 Produkte sind beim «Kastlgreissler an der Semmeringbahn» erhältlich. Bild: Kastlgreissler.

Essenzielles auf 15 Quadratmetern

Durchschnittlich 50 Belege hat Grabherr-Gappmayer pro Tag (»auch am Sonntag«). Bezahlt wird nach einem Scan oder – bei Obst, Gemüse und anderen Produkten ohne EAN-Code – nach einem Tastendruck an der Waage, mit der Bankomatkarte oder, sofern die Kundschaft das Geld genau dabeihat, auch bar. Vier Überwachungskameras sorgen dafür, dass Diebstahl bislang kein Thema war. Dabei ist das Prinzip hinter dem Kastlgreißler der Hüttenwirtin nur in Payerbach neu. Andernorts hat es sich bereits zwanzigfach bewährt. In 15 Quadratmeter großen Containern (»Kastln«) bieten die Selbstbedienungsgreißlereien Nahversorgung mit regionalen Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs in ländlichen Regionen, in denen es sonst keine Möglichkeiten mehr gibt, einzukaufen. »Mit dem neuen Standort in Payerbach zeigen wir, dass sich unser Konzept hervorragend für leer stehende Ladenlokale – wie es sie in Dorfzentren oft gibt – adaptieren lässt«, meinte Christoph Mayer, der Gründer und Geschäftsführer von Kastlgreißler, bei der Eröffnung am Semmering.

»Das Beste draus machen«

Mit ihren 20 Quadratmetern Fläche bietet die alte Trafik der Franchisebetreiberin in Payerbach aber etwas mehr Platz und Möglichkeiten als ein Standardcontainer. 500 Produkte hat Grabherr-Gappmayer bereits im Angebot. »Zeitschriften führe ich derzeit nicht«, sagt die Greißlerin, »aber vielleicht biete ich in Kooperation mit dem Trafikanten aus dem Nachbarort wieder welche an. Ich bin überzeugt, dass Kooperationen noch wichtiger werden. Wir müssen einfach miteinander das Beste draus machen.«

Der Selbstbedienungsladen Kastlgreißlerei Payerbach liegt direkt im Ortszentrum.

BIORAMA Niederösterreich #10

Dieser Artikel ist im BIORAMA Niederösterreich #10 erschienen

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