Vorreitereier

Kein Lebensmittel hat das VerbraucherInnenbewusstsein für Tierhaltung so stark geprägt wie das Ei.

In der industrialisierten Landwirtschaft wird auf Masse gesetzt. Dass es dabei zu Missständen kommt, ist zwar kein Geheimnis, aber gern verdrängte Tatsache. Nur beim Ei sind die Haltungsbedingungen bei der Produktion des tierischen Lebensmittels EU-weit seit 2004 auf einen Blick ablesbar: Seither müssen Eier mit einer eindeutigen Kennnummer versehen sein, wenn sie die Produktion verlassen.

Kennzeichnung war der Anfang

Das Ausweisen der Haltungsform in der Eierproduktion seit 1. Juni 2003 war ein Meilenstein in der Geschichte der industrialisierten Landwirtschaft hin zu einer transparenteren Produktion und mehr Tierwohl. Mit der Kennzeichnung entstand bei VerbraucherInnen mehr Bewusstsein für Tierhaltung, wenige Jahre später setzte die EU den nächsten Schritt, indem ab 2012 die Käfighaltung in Legebatterien EU-weit verboten wurde. Österreich zog bereits 2009 vor, Deutschland folgte im Jahr 2010. Von da an waren in der Käfighaltung nur mehr sogenannte »ausgestaltete Käfige« erlaubt, in denen Nester, Einstreubereiche, Sitzstangen und mindestens 750 Quadratzentimeter pro Tier vorhanden sein müssen. Für TierschützerInnen ein kleiner Schritt, denn diese Käfige fallen immer noch unter die Haltungsform 3 und sind noch lange nicht artgerecht. Seit 1. Jänner 2020 ist auch diese Käfighaltung zumindest in Österreich nicht mehr üblich, auch Deutschland will »ausgestaltete Käfige« in den nächsten Jahren gänzlich abschaffen. Weltweit stammen 90–95% der Eier aus Käfighaltung, europaweit sind es etwas mehr als die Hälfte. Diese Eier landen auch in der hiesigen Gastronomie und in industriell verarbeiteten Lebensmitteln. »Wenn die Eier auf der Verpackung nicht deklariert sind, kann man davon ausgehen, dass sie aus Käfighaltung stammen«, mahnt Reinhard Geßl, Experte für Bio-Tierhaltung und -Lebensmittel bei Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL Österreich).

Was das Frischfleisch vom Ei lernen kann

Doch KonsumentInnen kaufen, was es am günstigsten gibt. »Das war bei den Eiern früher auch so«, erinnert sich Geßl. »Vor der Kennzeichnungspflicht hat ein Käfigei de facto nichts gekostet. Heute kostet ein Freilandei rund 40 Cent und ein Ei aus Bodenhaltung etwa 25 Cent.« Wäre der Preisunterschied immer noch so groß wie derzeit beim Frischfleisch, bräuchte es wesentlich mehr Überwindung und Wissen auf KonsumentInnenseite, um eine ethische Entscheidung statt einer wirtschaftlichen zu treffen. Um heimischen Eiern keinen Wettbewerbsnachteil entstehen zu lassen, haben sich die Handelsunternehmen in Österreich darauf geeinigt, kein importiertes Frischei zu verkaufen. Der immer noch hohe Anteil an importiertem Ei (in Österreich waren das 2018 rund 800 Millionen Eier) entfällt hauptsächlich auf die Gastronomie oder geht in die Weiterverarbeitung.

Bild: iStock.com/S-S-S, Quelle: QGV, BMEL, European Commission, ZAG.

Vier-Stufen-Modell für Klarheit

Eine Kennzeichnungspflicht bei Fleisch- und Milchprodukten würde VerbraucherInnen auch bei diesen Produkten eine bewusste Kaufentscheidung ermöglichen. Das Problem daran: Wollte man ein verbindliches Siegel schaffen, bräuchte es ein neues Qualitätsmanagement und Kontrollschema. Beim Ei wird seit der Kennzeichnungspflicht jeder Betrieb regelmäßig kontrolliert, beim Fleisch und bei Milchprodukten (und bei allen anderen Lebensmitteln) sind es nur Biobetriebe, die auf eigene Kosten jährlich geprüft werden. »Theoretisch wäre ein solches Herkunftsmodell bei sämtlichen Tierprodukten denkbar«, meint Reinhard Geßl. Auch Ina Müller-Arnke von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten in Deutschland sieht das so: »Von EU-Seite wäre das möglich und es liegen auch schon Kriterien für eine Kennzeichnung in der Schweinehaltung vor, allerdings geht alles eher in Richtung freiwillige, staatliche Kennzeichnung.«

In Deutschland ist eine freiwillige Kennzeichnung bereits zum Teil umgesetzt: Die deutschen Handelsunternehmen schlossen sich für das freiwillige Tierschutzzeichen »Haltungsform der Landwirtschaft« zusammen, um, ebenso wie beim Ei, mit einer vierstufigen Kategorisierung die Haltungsform für VerbraucherInnen auf der Verpackung auszuweisen. Stufe 1 ist dabei die Stallhaltung auf engstem Raum, bei Stufe 4 muss der Zugang zu freiem Auslauf ermöglicht sein. Dieses freiwillige Zeichen sei zwar ein erster Schritt, Müller-Arnke wünscht sich aber eine EU-weit verpflichtende Haltungskennzeichnung: »Die Kennzeichnungspflicht an sich ist ja keine Verpflichtung zur Änderung einer Tierhaltung, sondern nur eine Einstufung. Wenn überall eine 1 draufsteht, weil eben alle Tiere nur nach den gesetzlichen Mindestanforderungen gehalten werden, dann wird dadurch zumindest offensichtlich, dass kein Masthuhn besser gehalten wird als der kleine Prozentsatz der Biomasthühner.«

Herkunfts- und Haltungsangabe erwünscht

Es hat viele Jahre lang gedauert, bis die Eierkennzeichnung in das Alltagsbewusstsein übergegangen ist. Inzwischen lernen Schulkinder, was die 0 auf dem Ei bedeutet und dass man besser keine Nummer-3-Eier kauft. Müller-Arnke glaubt, dass weitere Kennzeichnungen – so sie politisch durchgesetzt würden – gut angenommen würden: »Die Menschen schauen inzwischen stärker auf die Herkunft und entsprechende Herkunftskennzeichen.« In Österreich lässt der jüngste Vorstoß des Rewe-Konzerns hoffen – dort soll es nur mehr Fleisch zu kaufen geben, das die österreichischen Haltungsstandards erfüllt. Und diese sind laut Geßl im Geflügelbereich strenger als im EU-europäischen Ausland. Spar Österreich verkauft zwar schon länger ausschließlich österreichisches Frischfleisch, allerdings mit Ausnahme des Geflügels und gerade hier kann eine österreichische Pute mit Importware preislich nicht mithalten. »Der Vorstoß des Rewe-Konzerns, mehr Fleisch und Geflügelfleisch aus Österreich zu verkaufen, könnte ein Wegweiser sein, mehr Qualität in diese Richtung zu schaffen, bei dem die anderen Handelsketten auch nachziehen werden«, hofft Geßl.

Letztlich könne dies auch zur Verbesserung der Haltungsstandards in Staaten beitragen, die in den österreichischen Lebensmitteleinzelhandel exportieren wollen. Der Handel in Deutschland würde so weit wohl nicht gehen, glaubt dagegen Müller-Arnke. Dort wird zwar eine Herkunftskennzeichnung gefordert, um sich von billigen Importprodukten abzugrenzen, aber ausschließlich inländische Ware zu verkaufen würde dem Streben nach offenem Handel widersprechen. Wenn der politische Wille da wäre, wäre aber auch eine verpflichtende Kennzeichnung möglich, sagt Nutztierexpertin Ina Müller-Arnke: »Eine vernünftige Lösung müsste nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung aufgebaut sein, bei der regelmäßig und standardisiert geprüft und auch sanktioniert wird.«

Timeline der Käfighaltung und Kennzeichnung

1999
Bereits 1999 wurden mit der EU-Richtlinie »1999/74/EG« die Anforderungen für den Schutz von Legehennen in den verschiedenen Haltungssystemen Käfighaltung (3), Bodenhaltung (2), Freilandhaltung (1) und die Haltung gemäß Bio-Richtlinie (0) festgelegt.

2003
Die EU-Mitgliedsstaaten müssen bis zum 1. 6. 2003 Systeme etabliert haben, mit denen jedes Ei einer eindeutigen Kenn-Nummer bis zum Betrieb rückverfolgbar und die Haltungsform auf einen Blick erkennbar ist.

2009
In Österreich ist die Haltung von Legehennen in Käfigen seit 1. 1. 2009 verboten. Für „ausgestaltete Käfige“, die ebenso in die Käfighaltung fallen, gibt es bis 31. 12. 2019 noch Übergangsbestimmungen.

2010
Auch Deutschland verabschiedet sich noch vor Inkrafttreten der EU-Richtlinie von Legebatterien.

2018
Österreich: Mit der Wiener Marktordnung vom 1. 10. 2018 dürfen auf Wiener Märkten keine Käfigeier mehr verkauft werden. Ausgenommen: Der Großmarkt Wien, der nicht der Marktordnung unterliegt, aber der bedeutendste Umschlagplatz für Eiprodukte, Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse und Blumen in Österreich ist.

2020
In Österreich ist die Kleingruppenhaltung in „ausgestalteten Käfigen“ verboten. In Deutschland liegt der Anteil noch bei 11,5%, im EU-Schnitt liegt er bei über 50%.

2023
Österreich: Der Großmarkt Wien wird den Verkauf von Eiern aus Käfighaltung ab 2023 »minimieren und danach gänzlich einstellen«.

BIORAMA #67

Dieser Artikel ist im BIORAMA #67 erschienen

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