Vom Vorstadthuhn: Bio-Eier aus Wien-Favoriten

Im Süden von Wien scharren seit kurzem 349 Biohühner. Ihre Eier vermarktet der Prentlhof regional – und direkt im Eierautomat.

349 neue Favoritnerinnen: das Vorstadthuhn vom Prentlhof (Foto: Thomas Weber)


Wien wächst, Oberlaa ganz besonders. Seit wenigen Wochen gibt es auf dem Prentlhof in Wien-Favoriten auch 349 neue Nachbarinnen: braune Bio-Legehennen, deren Eier regional vermarktet werden. BIORAMA traf Katharina Mühlparzer und Markus Sandbichler vor ihrem mobilen Hühnerstall und sprach mit den beiden über den fehlenden Hahn, die Brüder ihrer Hennen und die Möglichkeit einer Hühnerweide im Schatten von Photovoltaikanlagen.

Katharina Mühlparzer, Markus Sandbichler und drei ihrer Vorstadthühner vor deren mobilem Hühnerstall.
(Foto: Matthias Mayr/Oberländerhof)

Was hat euch auf die Idee gebracht, im Stadterweiterungsgebiet, das seit kurzem über eine U-Bahn-Anbindung verfügt und in dem gerade dutzende Hochhäuser aus den ehemaligen Äckern gestampft werden, ausgerechnet auf Bio-Hühnerhaltung zu setzen?
Markus Sandbichler: Für uns stellt sich schon seit einiger Zeit die Frage, wie wir mit der Landwirtschaft weitermachen sollen. Ja, die Stadt wächst, es wird immer schwieriger Landwirtschaft zu betreiben und dem Bedürfnis der neuen NachbarnInnen nach »erholsamer Landschaft« nachzukommen. Andererseits ziehen immer mehr KundInnen hier an den Stadtrand. Und unsere neuen NachbarInnen wünschen sich regionale Produkte. 
Katharina Mühlparzer: Von der Fläche her zu wachsen ist in unserer Lage nur sehr schwer möglich. Daher haben wir an eine Art der Tierhaltung gedacht. Rinder sind uns momentan noch eine Spur zu groß. Aber Hühner passen sehr gut zu uns. Seit drei Jahren haben wir eine kleine Hühnerherde am Hof. Einerseits war uns wichtig, unseren eigenen Bedarf an Eiern zu decken. Andererseits konnten wir den Kindern, die im Rahmen von Schule am Bauernhof auf unseren Hof zu Besuch kommen, zeigen, welche Tiere unser Getreide fressen. Da konnten wir unsere Erfahrungen mit den Tieren im Kleinen sammeln. Schon bald haben uns Leute aus der Umgebung gefragt, ob wir nicht auch Eier verkaufen würden. So haben wir das mal ausprobiert und die kleine Herde auch biozertifizieren lassen. Es hat nicht lange gedauert, da haben unsere 34 Hennen für die steigende Nachfrage viel zu wenig Eier gelegt. Daher haben wir heuer diesen Schritt mit dem mobilen Hühnerstall nach zweijähriger Planung gewagt.

Die Landwirtschaft kehrt aktuell vielerorts in die Städte zurück. Auch die Nutztierhaltung wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Stadtgebiet verdrängt. Wisst ihr, wann es im Wiener Stadtgebiet zuletzt kommerzielle Hühnerhaltung gegeben hat?
Markus Sandbichler: Keine Ahnung, ob man das kommerzielle Hühnerhaltung nennen konnte. Im Jahr 1970 hielten 491 Betriebe insgesamt 13.000 Legehennen und 24 Betriebe rund 1.700 Masthühner. Das sind knapp 27 Legehennen bzw. 70 Masthühner  pro Betrieb. Das schaut danach aus, dass die Tiere eher nebenher auf den Betrieben mitgelaufen sind, aber sicher nicht den Betriebsschwerpunkt gebildet haben.
Katharina Mühlparzer: Im Jahr 2016 wurden in Wien noch rund 800 Hühner gezählt. Mit unseren 349 Hühnern wird die Statistik da ja einen ordentlichen Sprung nach oben machen (schmunzelt).

Eure 349 Hühner legen derzeit an die 2.000 Eier pro Woche, die ihr als Eier vom »Vorstadthuhn« direkt vermarktet – hintaus im neuen 24/7-Hofladen. Reicht der Eierautomat wirklich aus, um so viele Eier abzusetzen?
Markus Sandbichler: Momentan vermarkten wir etwa ein Drittel unserer Vorstadt-Eier über den PrentlHofLaden, unseren Verkaufsladen in der Scheunenstraße. Weiters gibt es unsere Eier ab September bei Merkur Am Hohen Markt und in befreundeten Naturkostläden. Einige Gastronomen interessieren sich auch schon für unsere Eier.
Katharina Mühlparzer: Mit September erreichen die Vorstadthühner ihre volle Legeleistung, dann können wir auch über weitere Vermarktungskanäle nachdenken.

Was hat es eigentlich mit dieser Zahl auf sich? Warum gerade 349 Hendln?
Katharina Mühlparzer: Unser Stall ist grundsätzlich für 350 Hühner in Bio-Haltung ausgelegt. Ab dieser Anzahl von Tieren fällt man aber auch unter den Geltungsbereich der Geflügelhygieneverordnung. Diese ist ja grundsätzlich etwas Gutes, nur wollten wir uns gleich zu Beginn nicht zu viele zusätzliche Auflagen aufhalsen, die grundsätzlich für Ställe mit Herdengrößen mit mehreren tausend Tieren ausgelegt sind. Wir werden aber spätestens wenn wir unseren Tierbestand ausbauen sowieso unter diese Verordnung fallen. Mit unserer Geflügel-Tierärztin sind wir auch bestens betreut und beraten.

Der mobile Hühnerstall gewährleistet, dass das Vorstadthuhn die Flächen – hier ein abgegrastes Luzernefeld – nicht überstrapaziert. (Foto: Thomas Weber)

Bei euren Hühnern gibt es keinen Hahn. Warum nicht?
Markus Sandbichler: Unsere Tierärztin meinte, Hühner können auch gut ohne Mann auskommen (schmunzelt) … Nein, Spaß beiseite, für uns ist das alles hier in der Vorstadt ein Experiment mit der Tierhaltung. Unser Alt-Bestand hat ja einen Hahn zur Seite. Jedenfalls sollte das optimale Hühner-Hahn-Verhältnis nicht weiter als 12:1 sein. Ansonsten kriegen die Hähne bei dieser unüberschaubaren Hühneranzahl einfach Stress. Das wäre nicht artgerecht. Und wie unsere Nachbarn hier auf das Krähen von 30 Hähnen reagieren würden, wollen wir jetzt zu Beginn nicht austesten.
Katharina Mühlparzer: Aber spätestens wenn wir mehr Erfahrung mit dem Stall draußen auf unseren Feldern haben werden, wollen wir schon Hähne auch in der Gruppe aufnehmen. Aber wie gesagt: alles Schritt für Schritt. 

Dass der Hahn trotzdem neben der Henne auf eurem Eierkarton abgebildet ist, hat also damit zu tun, dass es Bio-Eier sind und dass die Brüder eurer Legehennen nicht gleich nach dem Schlüpfen getötet werden, richtig?
Katharina Mühlparzer: Ja genau, die Brüder unserer Vorstadthühner werden auf einem Aufzuchtbetrieb nahe Graz in der Steiermark aufgezogen. Nach Bio Austria-Richtlinien sind nämlich seit zwei Jahren auch die männlichen Küken der Legehennen großzuziehen.  Vor 2017 war es auch in Österreich Praxis, dass in der Brüterei männliche Bio-Küken getötet wurden. Mit dem neuen Projekt ist das jetzt anders: Während die weiblichen Küken zu Bio-Legehennen wie unsere Vorstadthühner heranwachsen und fleißig Eier legen, werden deren Brüder bis zum Alter von zehn Wochen nach biologischen Richtlinien aufgezogen und liefern danach mageres Bio-Hühnerfleisch, das an das traditionelle Bauernhendl von früher erinnert. Sozusagen bringen ein paar Cent mehr pro Ei  auch mehr Tierwohl.

Woher stammen denn eure Hennen? Wisst ihr, wo deren Brüder gemästet werden?
Markus Sandbichler: Auch die Vorstadthühner stammen aus dem oststeirischen Hügelland. Man muss eher sagen: Ihre Brüder wurden dort gemästet – die 10 Wochen sind ja nun schon um.

In Deutschland setzt die Ökologische Tierzucht (ÖTZ) von Bioland und Demeter auf Zweinutzungshühner, die sowohl für Bio-Eier als auch für Bio-Fleisch zu nutzen sind. Warum habt ihr euch für die Lohmann Brown-Hybridhühner des Lohmann-Konzerns entschieden?
Markus Sandbichler: Die ÖTZ sieht Hennen und Hahn als wirtschaftlich eigenständige Tiere. Das bedeutet, der Hahn wird nicht wie beim Bruderhahn-Projekt durch die Henne subventioniert. Natürlich gefällt uns dieses Projekt sehr gut, nur werden wir wohl noch etwas Zeit brauchen, bis wir diese Form auch umsetzen können. Einerseits ist für uns die Verfügbarkeit der speziell für diese Vermarktungsform gezüchteten Hühner in Österreich noch nicht geklärt. Und dann bräuchten wir noch einen eigenen Schlachtraum am Betrieb, damit wir dieses Projekt eigenständig umsetzen können.
Katharina Mühlparzer: Um unser Projekt ins Laufen zu bringen haben wir uns daher für die braune Lohmann entschieden, da diese im Freiland schwerer von Beutegreifern auszumachen ist als ihre »weiße Schwester« Sandy.

Hühner werden zwar bis zu acht Jahre alt, ihre Legeleistung nimmt aber bereits ab dem dritten Lebensjahr ab. Wie habt ihr kalkuliert – und was passiert mit den alten Legehennen?
Katharina Mühlparzer: Das werden wir sehen, denn die Legeleistung nimmt auch schon nach dem ersten Jahr ab. Wir könnten uns gut vorstellen, die Tiere länger am Betrieb zu halten. Wie lange genau, hängt aber neben ihrer Legeleistung auch von anderen Faktoren ab, wie etwa ihrer Vitalität.
Markus Sandbichler: Außerdem sind wir gerade in Gesprächen, unsere Vorstadthühner in einem innovativen Suppenhühner-Projekt zu vermarkten.

Was unterscheidet euer Vorstadthuhn vom derzeit vielbeworbenen »Wanderhuhn«?
Markus Sandbichler: Meines Wissens nach ist das Wanderhuhn-Projekt ein konventionelles Vermarktungsprojekt.
Katharina Mühlparzer: Unsere Vorstadthühner werden nach den strengen Bio-Richtlinien des Bio Austria Verbandes gehalten. Hierzu gehört eine maximale Besatzdichte im Stall von maximal sechs Tieren pro Quadratmeter. Und im Auslauf stehen jeder Henne 10 Quadratmeter zur Verfügung. Der Auslauf selbst muss mit ausreichend Schutzelementen ausgestaltet sein (1 Prozent der Auslauffläche). Das Huhn ist ja ein Urwaldtier und sucht Schutz vor Beutegreifern. Aber auch das Bruderhahnprojekt ist Teil der Bio Austria-Richtlinien. Das verteuert die Bio-Legehenne gegenüber ihrer konventionellen Schwester.
Markus Sandbichler: Als Bio-Hühner werden sie zu 100% biologisch gefüttert. Wir werden mit biologischem Bio-Futter der Fa. Lugitsch versorgt, der wir auch das Futtergetreide unserer Felder verkaufen. In Zukunft würden wir aber auch zumindest einen Teil des Futters gern selbst mischen. Dann wäre der Kreislauf zu 100% geschlossen. Bio-Futter ist jedenfalls teurer als konventionelles Futter.
Katharina Mühlparzer: Ähnlich wie beim Wanderhuhn haben auch die Vorstadthühner einen Campingplatz, auf dem ihr Stall den Winter verbringt. Aber in den Sommermonaten wechseln sie dann mit ihrem Mobilstall immer wieder auf ein anderes Feldstück unseres Betriebes, hier in Unterlaa.

Naturgemäß legt das Vorstadthuhn »Eier verschiedener Größe«. (Foto: Thomas Weber)

Hühner brauchen Schutz vor Greifvögeln, um sich sicher zu fühlen. Manchmal werden sie deshalb in Obstgärten gehalten, um die Fläche gleich auch doppelt bewirtschaften zu können. Gab es solche Überlegungen bei euch auch?
Markus Sandbichler: Ja, an das haben wir auch gedacht. Aber Obstgärten sind im Süden Wiens fast noch unüblicher als Hühner. Außerdem sind wir beide keine Pomologen. So einen Obstgarten ziehen wir nicht so einfach von heute auf morgen hoch, so etwas gehört gut überlegt. Apropos Doppelnutzung: auch Photovoltaikanlagen wären ein spannendes Doppelnutzungskonzept. Wir wurden von Energieerzeugern diesbezüglich auch schon kontaktiert.

Ich nehme an, dass sich in der Gegend nicht alle über die 349 neuen Nachbarn freuen. Gab es schon Beschwerden?
Katharina Mühlparzer: Die Vorstadthühner sind eigentlich sehr verträgliche Nachbarinnen, die mit allen auskommen wollen. So weit gab es noch keine Beschwerden. Immerhin haben die Vorstadthühner aber einen Vorteil gegenüber einem fixen Stall: sie können sich relativ schnell zusammenpacken und aus dem Staub machen (schmunzelt)
Markus Sandbichler: Aber grundsätzlich soll ich ausrichten,  unsere Hühner fühlen sich sehr gut ins Dorfleben in Oberlaa und Unterlaa integriert. Sogar die Jägerschaft ist besonders bemüht, die neuen Bewohnerinnen gut zu schützen. Außerdem haben wir sehr viel Lob und positives Feedback für unser Projekt erhalten.

Also absehbar, dass die Hühner bei euch bald mehr werden …
Katharina Mühlparzer: Schauen wir mal, ganz so viele Schnecken wie der Gugumuck (Nachbar und Bioschnecken-Züchter, Anm.) hat, werden es nicht werden. Aber welches Hendl träumt nicht von einem Leben im Mobilstall am Wiener Stadtrand. Solche Hühnerträume können bei uns am Prentlhof wahr werden (schmunzelt).

Apropos Hühnerträum: Es gibt auch Hendlbauern, die Hühner aus pädagogischen Gründen zum Beispiel für einen Sommer oder an Schulen vermieten. Bietet ihr solch ein Hühnermietservice auch an?
Katharina Mühlparzer: Es kommen zu uns rund 4.000 BesucherInnen pro Jahr auf den Hof. Den größten Teil machen Kindergarten-  und Schulgruppen aus, aber auch Reisegruppen besuchen uns zwischen März und Ende Oktober. Wir konzentrieren uns darauf, unseren Gästen unsere Haltungsform näherzubringen und zu zeigen, wie gut es unseren Hühnern hier in der Vorstadt geht.
Wir haben uns so ein Vermietungskonzept auch überlegt, jedoch könnten wir die Tiere aus Hygienegründen nicht mehr in die Herde wieder eingliedern.

Wenn ich als Wienerin oder Wiener dennoch selbst Hendln für den Eigenbedarf halten möchte, was muss ich denn dabei beachten?
Katharina Mühlparzer: Ja, das kennen wir nur zu gut, dass uns WienerInnen kontaktieren, weil sie ein Balkonhendl abgeben möchten, das sie z.B. zu Ostern als Küken geschenkt bekommen haben. Dann hat sich mit zunehmendem Alter der Hühner herausgestellt, dass Hühner einerseits genügend artgerechten Auslauf benötigen, sie täglich gefüttert werden und die Stallungen auch regelmäßig gereinigt werden müssen. Vom Geräuschpegel in einer Wohnhausanlage möchte ich gar nicht erst sprechen. Wenn aber die gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. die Tierhalteverordnung) erfüllt werden können, sollte einer privaten Hühnerhaltung nichts im Wege stehen. Dies gehört im Vorhinein aber gut durchdacht. 

Ihr betreibt mit dem »Kirchenacker« auch erfolgreich ein Selbsterntefeld und profitiert als Direktvermarkter von der U-Bahn-Anbindung an euren Hof und der urbanen Infrastruktur insgesamt. Dennoch kommen durch den Zuzug und die Suburbanisierung die landwirtschaftlichen Flächen unter Druck. Wie steht ihr zur Initiative »Lebensraum Oberlaa«, die aktuell gegen geplante Verbauung und für den Erhalt der Naherholungsgebiete im Süden Wiens mobilisiert?
Markus Sandbichler: Wir stehen mit der Initiative Lebensraum Oberlaa in bestem Kontakt. Wir finden die Arbeit der Initiative sehr sinnvoll, ein gut überlegtes Lebens- und Wohnkonzept für den Süden Wiens zu finden. Oberlaa mit hässlichen Betonburgen zuzubauen ist keine Lösung. Es braucht ein Gesamtkonzept, dass auch mit doppelt oder dreifach so vielen EinwohnernInnen Oberlaa lebenswert bleibt. Dazu zählt aber auch eine funktionierende lokale Landwirtschaft, die die StadtbewohnerInnen mit hochwertigen Lebensmitteln versorgt. Dies würde die Chance für uns Landwirte hier bieten, eine neue Rolle als  alternative NahversorgerInnen für den Wiener Süden zu bekommen.

Weiterführende Infos zum Prentlhof, den Vorstadthühnern und zu Schule am Bauernhof gibt es auf der Website des Prentlhof.

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