»Alle weg«: Vetterhof gibt Viehhaltung auf und setzt ganz auf Gemüse

Warum ein Rindernarr die Viehhaltung sein lässt und ganz auf den Anbau von Gemüse setzt. Biobauer Simon Vetter über Mutterkühe, Kürbiskooperationen und Düngerkreisläufe

Bislang prägten Mutterkühe das Bild des Vetterhofs. Nun setzt man in Lustenau ganz auf Gemüse. (Bild: Sebastian Vetter)

Weit über die Landesgrenzen Vorarlbergs hinaus ist der Vetterhof bekannt – für seine innovativen Vermarktungsformen und einen Bauern, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt (etwa in der 2016 erschienenen Film-Doku »Bauer unser«). Der Hof selbst, idyllisch am Rand von Lustenau gelegen, findet sich in Architektur- und Reiseführern; in den 1990er Jahren aus Lehm und Holz neu gebaut ist er noch heute mustergültig. Die MitarbeiterInnen am Hof, die nicht zur Familie gehören, kommen aus aller Welt. Es sind allerdings keine schlecht bezahlten Saisonarbeitskräfte, sondern meist AgrarstudentInnen, die hier Praxis sammeln und Inspiration und Ideen aus aller Welt nach Vorarlberg bringen.

Kreislauf mit Kuh

Auch kein Geheimnis: Simon Vetter, der den Hof vor einigen Jahren von seinen Eltern übernommen hat, baut nicht nur vielerlei Gemüse an. Er vermarktet es auch selbst – ob in der Gemüsekiste oder selbst als Verkäufer seiner Destillate am Fesch Markt. Er ist vor allem auch eines: ein Rindernarr. Auf den selbst produzierten Gemüsekonserven des Vetterhofs blickt einen – auch als Symbol für Kreislaufwirtschaft zu verstehen und als Bekenntnis dazu, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht ohne Tierhaltung auskommt – eine Kuh an. Auf den stylishen Stofftragetaschen des Hofs findet sich dessen Logo verhältnismäßig dezent. Es dominiert eine auffällige schematische Darstellung eines Rinds, aufgeteilt in seine Körper- bzw. Fleischteile. Kurzum: Rinder sind Teil der Identität des Vetterhofs. Trotzdem hat der Biobauer nun recht kurzfristig seine ganze Herde verkauft. Warum, erklärt er im Interview mit BIORAMA.

Mit vereinten Kräften haben Simon Vetter (Mitte), Elmar (links) und Christoph Weissenbach die Rinder in den neuen Stall im nahen Götzis gebracht. (Bild: Sebastian Vetter)

Rinder sind Teil der Identität des Vetterhofs. Nun gibt es am Hof plötzlich keine Rinder mehr. Warum?
Simon Vetter: Das hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist aber, dass wir in absehbarer Zeit relativ viel Pachtland verlieren werden, weil es am Rhein ein Flussbauprojekt gibt. Diesen absehbaren Pachtkonflikt möchte ich umgehen. Ganz klar ist es aber auch eine Frage der Arbeitsbelastung. Alles nebeneinander geht sich einfach nicht aus. Es hat sich generell gut ergeben und wir haben gute Formen der Kooperation gefunden. In Kooperation liegt, glaube ich, die Zukunft der Landwirtschaft. Spezialisierung ist ja nicht grundsätzlich schlecht. Aber es braucht eine betriebsübergreifende Zusammenarbeit über die Fruchtfolge und Düngerkreisläufe hinweg. Unsere Kühe stehen halt jetzt nicht mehr am Hof. Aber wir werden in der Fruchtfolge auf unseren Äckern weiterhin zwei Jahre Kleegras als Tierfutter anbauen  und das gegen Dünger eintauschen. Wir werden weiterhin Rindfleisch über unseren Hofladen verkaufen. Wir denken den Betrieb jetzt einfach in einem größeren Kontext und kooperieren unmittelbar mit drei weiteren Biohöfen – mit zweien, die Tiere halten und mit einem anderen viehlosen Gemüsebetrieb. Letzterer ist recht klein, spezialisiert sich auf Kürbisse und baut auf einem Teil unserer Flächen immer wieder Kürbisse an – weil er auf seinen eigenen Äckern ja nicht jedes Jahr Kürbisse anbauen kann. Das würde den Boden auslaugen.

Wo genau sind die Rinder denn nun?
Alle weg. Vor genau einem Jahr waren es 65 Tiere – 25 Mutterkühe, 25 Kälber, ein Stier und Ochsen. Vor ein paar Tagen wurden die letzten Tiere abgeholt. Ich hab sie an einen meiner Partnerbetriebe verkauft, ein Teil der Mutterkühe an einen anderen Kollegen, ein anderer Teil wurde geschlachtet. Aber es gibt einfachere Dinge als eine Rinderherde aufzulösen.

Emotional schwer?
Alles dran ist schwer, ja. Ich bin mit Rindern aufgewachsen, hab’ meine Kindheit zwischen Kühen verbracht. In meinem erstem Job war ich als 9-Jähriger Hirte auf der Alp am Nenzinger Himmel. Auch als ich studiert habe und in der Studienzeit im Ausland war, fiel das Nachhausekommen immer genau mit dem Alpauftrieb zusammen. Es ist schräg, das zu beenden. Ich hör’ seit Tagen permanent die Kühe vom Nachbarn, es reißt mich, weil ich mir denk: Scheiße, ich muss nachschauen! Dann komm ich drauf, dass der Stall ja leer ist. Das ist eine verinnerlichte Verantwortung. Am Sonntag bin ich nachts von einem Konzert heimgekommen – der erste Weg beim Heimkommen hat mich in den Stall geführt.

Und wie geht’s dem Rest der Familie damit?
Abgesehen von meinem 4-jährigen Sohn kann mich jeder verstehen. Für den Buben sind wir jetzt kein Bauernhof mehr, sondern »Stadt«. Das war übrigens auch die Reaktion des Vertreters der Landwirtschaftskammer. Dass wir jetzt keine Bauern mehr wären …

Bleibt in der Nachbarschaft: Die Herde von Simon Vetter (Mitte) ist zum Nachbarn übersiedelt. Der Vetterhof selbst hat sich aber von der Viehhaltung verabschiedet. (Bild: Sebastian Vetter)

Euer sommerlicher »Ball im Stall« im leeren Stall wenn die Kühe auf der Alp sind, war legendär. Was wird denn mit dem nicht mehr gebrauchten Stall passieren?
Das weiß ich noch nicht. Aber er wird sicher nicht – wie bei uns in der Gegend häufig der Fall – zum Luxusloft umgebaut. Er bleibt weiterhin in landwirtschaftlicher Verwendung. Vielleicht gibt es dort in einem Jahr eine Pilzzucht oder wir bauen ihn in ein Lager um oder zur Verarbeitung. Einen Ball wird’s weiterhin geben, nur heißt der dann halt anders. Das Ziel der Veranstaltung war ja, die Leute an den Ort der Produktion zu bringen. Was genau dort passiert, ist ja zweitrangig. Und ein Kartoffellager ist für die meisten Menschen genauso exotisch wie ein Rinderstall.

Und was passiert mit der Alp?
Da sind wir einfach aus den Agrargenossenschaften ausgestiegen. Auf einer Alp – Röbi im Montafon – ist auch der Hirte in Pension gegangen, die ist jetzt neu verpachtet.

Du bist Teil des EU-Forschungsprojekts »Farmers of the Future« von besonders innovativen Bäuerinnen und Bauern. Sind dabei nun noch RinderhalterInnen vertreten?
Ja, selbstverständlich. Aber die beschriebene Entwicklung gibt es ja nicht nur in Österreich. Die findet überall statt. Ein Betrieb mit 25 Mutterkühen ist lächerlich klein, das ist ja auch wirtschaftlich nicht lustig. Einerseits wirtschaftlicher Druck und gleichzeitig 24/7 Alarmbereitschaft. Da braucht es mit Blick auf die Zukunft und die »Farmers of the Future« völlig neue Modelle.

Ankunft am neuen Hof: Dünger für den Betrieb Simon Vetters wird diese Kuh auch weiterhin liefern. Eine in Kreisläufen denkende Landwirtschaft braucht Viehhaltung. (Bild: Sebastian Vetter)

Aber dir war immer klar, dass am Vetterhof die Rinder weichen werden und nicht etwa auf weniger Flächen Gemüse angebaut wird?
Die Rinder waren immer ein Hobby für mich, das in guten Jahren ein bisschen Geld abgeworfen hat und in schlechten Jahren ein Nullsummenspiel blieb. Vom Gemüse hingegen lebt eine Familie und drei Hände voll MitarbeiterInnen. Das ist im Übrigen eine völlig natürliche Entwicklung, dass in dicht besiedelten Gebieten die Viehhaltung abnimmt und der Gemüseanbau an Bedeutung gewinnt. In Regionen wie im Rheintal hat man ja auch wirklich die Möglichkeiten, was anderes zu machen. Aber in anderen Höhenlagen kann man aufgrund von Topografie und Klima ja nur Fleisch produzieren. Das muss ich nicht. 

Hast du seit das Vieh weg ist schon einmal Rindfleisch gegessen?
Ja, es war extrem gut. Und ich hab mir gedacht: Scheiße, wie mach ich das in Zukunft wenn das nicht von mir ist? Ich bin ja Außer-Haus-Vegetarier. Aber wie gesagt: Wir bieten das Rindfleisch ja weiterhin an. Ich war auch schon ein paar Mal drüben die Rinder besuchen. Es geht ihnen gut. Bald geht’s für sie rauf auf die Alp. Mir war wichtig, dass da nicht einfach ein LKW kommt, rein damit und weg, sondern dass ich einen wirklich guten Platz für sie finde. Tja. Es ist alles megaungewohnt. Aber auch für den Stall werden wir eine würdige Nachnutzung finden. Uns fällt schon was ein.

BIORAMA berichtet laufend über eine Welt im Wandel, ökologische Kreislaufwirtschaft und vorbildliche Unternehmen (immer wieder auch in Vorarlberg). Oft beschäftigt uns, wie sich z. B. die Produktion von Lebensmitteln nachhaltiger gestalten lässt, was vorbildliche Tierhaltung ausmacht, wir verfolgen Produkte zurück zum Ursprung und fragen uns, was brauchbare Alternativen zum maßlosen Konsum tierischer Produkte sind. Regelmäßige Updates gibt es in unserem Newsletter

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