Klimawandel schreitet schneller und stärker voran

Laut den beiden neuesten IPCC-Teilberichten sind die Folgen der globalen Erwärmung schon jetzt schwerwiegender als bisher angenommen.

Wie sieht die Erde im Jahr 2100 aus? Laut dem IPCC werden die Jahre bis 2030 entscheidend sein. Bild: Unsplash/Moritz Kindler.

Durch die zu langsame und zögerliche Klimapolitik schließe sich das Zeitfenster, in dem eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle möglich ist, so der Ende Februar erschienene Teilbericht des sechsten Sachstandsberichts des IPCC, der von 333 ExpertInnen der zweiten Arbeitsgruppe (WG2) des IPCC verfasst wurde. Teil drei des sechsten Sachstandsberichts findet ähnlich deutliche Worte: Mit den derzeit gesetzten Maßnahmen seien die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht mal annähernd zu erreichen. Die Erkenntnisse der beiden IPCC-Teilberichte basieren auf Beobachtungen zu den bisherigen Auswirkungen der globalen Erwärmung, wobei die Veränderungen in den Ökosystemen, im Artenspektrums und in der Phänologie – der periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen von Pflanzen und Tieren – in verschiedenen Bereichen der Erde gemessen und einbezogen wurden.

Der Klimawandel schreitet schneller und drastischer voran als bisher angenommen. Derzeit seien schon zwischen 3,3 und 3,6 Milliarden Menschen weltweit »sehr anfällig« für die Folgen des Klimawandels, so der im Februar erschienene zweite Teilbericht. Das über 3500 Seiten lange Dokument legt außerdem ein Mal mehr nahe, wie sehr mit steigender Erderwärmung die Auswirkungen und Risiken des Klimawandels nicht nur komplexer und schwieriger zu bewältigen werden, sondern auch wie mehrere Klimagefahren gleichzeitig auftreten und mit nicht klimatischen Risiken interagieren werden.

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 vom Umweltprogramm der UNO und der Weltorganisation für Meteorologie gegründet. 
 
Der IPCC, auch Weltklimarat genannt, ist eine internationale Organisation und hat den Zweck, den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Klimawandel für die Politik zusammenzufassen.

Unterernährte Menschen, ausgestorbene Tierarten

Die Folgen der Klimakrise sind unter anderem die unfreiwillige Migration in die Städte und erhöhte soziale Ungleichheit. Eines des im zweiten IPCC-Teilberichts durchgespielten Szenarien, das mit einer Erderwärmung über 2,5 Grad einhergeht, kommt zum Schluss, dass bis 2050 zusätzlich zu den bisher 690 Millionen unterernährten Menschen bis zu 183 Millionen Menschen dazu kommen könnten. Zudem steige durch unter anderem Umweltverschmutzung und Überfischung das Krankheitsrisiko weltweit, wodurch sich Erkrankungen wie das Dengue-Fieber bis nach Europa verbreiten könnten.

Auch Ökosysteme verändern sich durch die Klimakrise zunehmend, Pflanzen und Tiere ändern ihre Standorte, – es zieht sie in höhere Lagen, tiefere Gewässer und in Richtung der Pole. Durch die steigenden Wassertemperaturen würden sich dem demnach Pflanzen und Tiere am Land und in den Ozeanen im Durchschnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung Nord- und Südpol bewegen, wodurch sich laut dem im Februar erschienen Weltklimarat-Bericht die Fortpflanzung oder Blüte verändert, was wiederum Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem mit sich bringt.

Selbst Plus 1,5 Grad hat schwerwiegende Folgen

Selbst bei Erreichen des 1,5 Grad-Ziels gibt es laut dem zweiten IPCC-Teilbericht ein »sehr hohes« Risiko für 14 Prozent aller Landtierarten auszusterben. Bild: Pixabay.com/Stevebidmead.

Das Erreichen des Pariser Klimaabkommens könnte die Folgen des Klimawandels zwar begrenzen, sie aber nicht stoppen, denn schon ein globaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Ziel hat unumkehrbare Auswirkungen auf das gesamte Leben auf der Erde, heißt es in dem zweiten Teil des sechsten IPCC-Sachstandberichts. Eine Erderwärmung um eineinhalb Grad berge ein »sehr hohes Risiko« für 14 Prozent aller Landtierarten, auszusterben. Kommt es zu einem noch höheren Temperaturanstieg, einem sogenannten Overshoot, also einer globalen Erderwärmung über 1,5 Grad, sind die Folgen noch gravierender und könnten laut dem zweiten Teilbericht auch durch eine anschließende Verringerung der Erderwärmung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Derzeit könnten die Ökosysteme zwar noch mehr Treibhausgase aufnehmen, als sie selbst verursachen, durch die Urwaldabholzung und die Trockenlegung von Tiefmoorgebiete würde sich das aber rasch ändern, wodurch der Klimawandel weiter fortschreitet, und der arktische Permafrost schmilzt, so die Erkenntnisse des Weltklimarats.

Urbanisierung als Chance

So düster die Aussichten auch sind, so sieht der IPCC in der jetzigen Situation auch Chancen für die Menschheit und den Planeten. Die Urbanisierung könnte beispielsweise auch positive Effekte haben und bietet die Möglichkeit, durch integrative Städteplanung und Investitionen eine klimaresiliente Entwicklung vorantreiben, die durch die stadtnahe Versorgungskette von Waren auch die Anpassungsfähigkeit ländlicher Gebiete verbessern kann. Außerdem könnte intakte Natur unter Umständen Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse abschwächen. Voraussetzung dafür ist, dass Ökosysteme durch nachhaltige Bewirtschaftung wieder aufgebaut und gestärkt werden, so der im Februar 2022 erschienen IPCC-Teilbericht, der hinzufügt, dass gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt die Grundlage für das Überleben der Menschheit sind. Hans-Otto Pörtner, Co-Vorsitzender der zweiten IPCC-Arbeitsgruppe, schlägt vor, 30 bis 50 Prozent der Lebensräume an Land und in den Ozeanen zu schützen, um ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.

Denn nicht alles, was gegen Klimaschäden hilft, hilft auch dem Planeten. Beispielsweise können Schutzwälle gegen den steigenden Meeresspiegel Ökosysteme an den Küsten zerstören und zeigen, dass Anpassungen an den Klimawandel zwar wichtig, jedoch kein Ersatz für ambitionierte und langfristige Klimaschutzmaßnahmen sind. Was es braucht, ist laut IPCC rasches Handeln und fundamentale Änderungen, die den Klimawandel verlangsamen. Ein Teil dieser Änderungen sei zwar bereits jetzt schon zu beobachten, die Maßnahmen würden laut dem zweiten IPCC-Teilbericht jedoch zu langsam vorangehen und seien zu kurzfristig gedacht und global ungleichmäßig umgesetzt. Verbesserungspotenzial sieht die zweite IPCC-Arbeitsgruppe daher in fundamentalen globalen und systemübergreifenden Änderungen, die zu sauberer Energie, dem Ende der Wegwerfmentalität sowie nachhaltigerer Mobilität und Infrastruktur führen. Der potenzielle Nutzen durch solche klimagerechten Maßnahmen übersteige die Kosten und man könnte dadurch nicht nur eine Trendwende einleiten, sondern durch schnelles Tätigwerden eine Menge weiterer Kosten einsparen, heißt es weiter.

Deadline 2030

Wie hoch das potenzielle Nutzen solcher Maßnahmen ist beschreibt der dritte und neueste Teil des sechsten IPCC-Sachstandsberichts, der Anfang April 2022 erschienen ist und den sechsten Sachstandsbericht abschließt. Im dritten Teilbericht geht es um Möglichkeiten, den Klimawandel einzudämmen. Der neueste Weltklimarat-Bericht legt außerdem eine Zahl fest, mit der sich der Treibhausgaseffekt in diesem Jahrhundert einordnen lassen kann. Laut den 239 ExpterInnen der Arbeitsgruppe 3, die den IPCC-Bericht verfasste, steuert die Menschheit mit den bis 2020 festgelegten Maßnahmen auf eine mittlere Erderwärmung von 3,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu. Dass das nicht nur das Ziel des Pariser Klimaabkommens mehr als verfehlt, sondern auch unvorhersehbare Kettenreaktionen hervorrufen wird, geht aus dem im Februar erschienen zweiten IPCC-Teilbericht hervor. Um das Pariser Klimaabkommen zu erreichen, bräuchte es laut dem dritten Teilbericht einen starken Rückgang der Treibhausgase: Diese dürften nur noch bis maximal 2025 ansteigen, ab 2030 bräuchte es dann zumindest einen Rückgang der CO2-Emissionen um 43 Prozent. Auch ein Drittel der Methan-Emissionen müssten vermieden wären. Und trotz dieser modellierten Prognose würde es zu einer zeitweisen Überschreitung des 1,5 Grad-Ziels kommen. Um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu beschränken, bräuchte es ab 2030 noch immer einen weltweiten Treibhausgas-Rückgang um 25 Prozent. Für die Industriestaaten wäre dieser Wert noch höher, denn die 50 am wenigsten entwickelten Länder haben bisher nur 0,4 Prozent zum bisherigen menschengemachten Treibhauseffekt beigetragen, so der dritte Teil des sechsten IPCC-Sachstandsberichts.

Der neueste Weltklimaratbericht schreibt erneuerbarer Energie grißes Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel zu. Bild: IPCC.

Entscheidend dafür, wie hoch die menschengemachte Klimaerwärmung bis 2100 sein wird, sind die kommenden acht Jahre. Die Wirksamkeit und Potenziale einzelner Maßnahmen stellt der dritte IPCC-Teilbericht in einem Diagramm dar. Solarenergie, Windkraft und den Rückgang von Waldzerstörung schreiben die IPCC-ExpterInnen das größte Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel zu, jede einzelne dieser Maßnahmen könnte bis 2030 die jährlichen Nettoemissionen um bis zu zehn Prozent senken. Die gute Nachricht: Die Kosten für den Ausbau solch hochwirksamer Maßnahmen seien seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken.

Der erste Teilbericht des sechsten IPCC-Sachstandsberichts zum Klimawandel erschien im August 2021, Teil zwei Ende Februar 2022, Teil drei Anfang April 2022. Im September soll noch ein abschließender Synthesebericht veröffentlicht werden, der den sechsten IPCC-Sachstandsbericht zusammenfasst. Sämtliche IPCC-Berichte sind online abrufbar. Deutsche Kurzfassungen der einzelnen Sachstandsberichte finden sich hier.

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