»Man kann viel Energie beim Erklären sparen«

Wenn wir eine Wärmewende wollen, müssen wir auch unsere Irrationalität einkalkulieren, meint die Psychologin und Expertin für Energietechnologien und Energiesysteme, Elisabeth Dütschke im Interview.

Heizkörper im Sonnenlicht
Um eine Wärmewende voranzutreiben müsse man am Gebäudestandard arbeiten und schneller sanieren meint Elisabeth Dütschke. Bild. Istock.com/kievith.

BIORAMA: Was ist der verbreitetste Irrtum über unseren Energieverbrauch zur Wärmeerzeugung?

Elisabeth Dütschke: Die Leute wissen sicher zu wenig über ihren Energieverbrauch, und was davon auf das Heizen zurückfällt. Was uns immer wieder in Befragungen auffällt, ist, dass viele Leute sehr akribisch ihren Müll trennen – was richtig und wichtig ist –, dass aber Mobilität und Raumheizung als ökologische Problemursachen eher unterschätzt werden. Mich ärgert, dass wir immer noch versuchen, so vieles technisch und ökonomisch zu lösen. Die Debatte um den Wasserstoff etwa ist für mich eine schwierige, denn sie lenkt ab. Wir überschätzen die Kraft vieler technischer Innovationen, zu viele einflussreiche Berechnungen gehen von rationalen Systemen aus und ignorieren, dass menschliche Entscheidungen, weder individuelle noch kollektive, niemals so ablaufen. Es ist ein technokratisches Verständnis. Ein verbreiteter Irrtum ist auch, dass der Weg zur Änderung nur daraus besteht, die Leute besser zu informieren. Es hat nicht jeder für jedes Thema gleich viel Zeit und Lust und möchte hier ExpertIn werden. Wir sollten nicht so viel Vernunft voraussetzen. Man kann viel Energie beim Erklären sparen.

Kann ich mich mit dem Wärmesektor beschäftigen, ohne mich zwangsläufig mit dem Energiesektor zu beschäftigen?

Ja. Die erste große Frage sollte auf jeder Ebene sein: Wo können wir einsparen? Die Motive und Lösungen sind hier – leider – sehr individuell. Sie sind häufig auch nicht konsistent. In einer kürzlich durchgeführten Befragung von SolaranlagenbesitzerInnen hatten wir Leute, die die Anlage angeschafft haben, um ein Solarium damit zu betreiben, in das sie sich dann legen, wenn draußen die Sonne scheint. Andere nehmen die bauliche Änderung am Haus gleich zum Anlass, auch den ganzen Garten umzugraben und insektenfreundlicher zu gestalten. Der Mensch ist vernunftbegabt und andererseits so flexibel drin, die Welt zu deuten, wie es grade reinpasst. Wir müssen aufpassen, wenn wir meinen, es gibt Einheitslösungen. Wir haben festgestellt, dass der Wärmesektor fragmentiert ist: Anbieter von nachhaltigen Heizungstechnologien und von Isolierungen sind wenig vernetzt. Das führt dazu, dass sie nicht gemeinsam die Wärmewende vorantreiben. Der Stromsektor ist anders organisiert und stark reglementiert, das hat es ermöglicht, die Erzeugung schon stärker umzubauen. Hier habe ich als KonsumentIn auch einen Hebel. Im Wärmesektor ist jede Veränderung der und des Einzelnen schnell von mehreren anderen AkteurInnen abhängig. Die vielen Einzelentscheidungen machen die Wärmewende so kompliziert.

Wo soll man denn als Erstes schrauben?

Am Gebäudestandard – hier kann man gar nicht zu gut werden. Überall, wo das möglich ist – und das sind viel mehr Gebäudetypen, als wir meinen –, sollten wir gar nicht mehr heizen und kühlen. Auch wenn einem das anders vorkommt: Die Sanierungsraten sind insgesamt niedrig. Wir müssen an die VermieterInnen rankommen und dafür sorgen, dass schneller saniert wird. Hierbei müssen wir Klimaschutz wieder in Einklang mit Umwelt und Nachhaltigkeit bringen. Umweltschutz, Klimaschutz und Klimagerechtigkeit können einzeln betrachtet schnell in unterschiedliche Richtungen weisen.

Balancierte Antworten auf solche Zielkonflikte müssen auf gesellschaftlicher Ebene verhandelt und entschieden werden?

Ja. Die Abwägung zwischen diesen Zielen braucht eine Koordinierung. Auch dass wir anderswo auf der Welt, aber auch etwa in Osteuropa, einen aus energetischer Sicht schlechteren Gebäudebestand haben, sollte uns in Deutschland und Österreich nicht von der Gebäudesanierung abhalten. Wenn nur Einzelaspekte betrachtet werden, werden wir zu langsam vorankommen. Zudem müssen wir weiter denken: Gas etwa kann im unmittelbaren Vergleich ökologischer sein als eine Ölheizung, aber das kann kein Beitrag zur Klimawende sein.

Glaubt denn noch jemand, dass ein Ausbau von Gas in der Versorgung von Privathaushalten eine Ökologisierung bedeutet?

Nein, vermutlich nicht. Aber Deutschland tut sich ja schwer damit, wie es in manchen Infrastrukturprojekten weitergehen soll. Wir brauchen nicht so zu tun, als bräuchten wir nur die richtige Option wählen. Wir sollten Optionen in einem sozialverträglichen Modell bekommen. Der Ausstieg aus Kohle, Gas und Ölheizungen und ein Umbau des Mobilitätssystems sind die Voraussetzungen für gute Entscheidungen für eine relevante Menge von Menschen.

»Wärmeversorgung ist kein Teil der Stadtplanung, sie ist im Grunde Privatsache.«

Elisabeth Dütschke, Expertin für Energietechnologien und Energiesysteme

Wie frei sind wir in den Richtungsentscheidungen zu unserer Wärme- und Energieversorgung – als Staaten(gemeinschaften) und als BürgerInnen?

Wir haben etablierte Systeme, die stabil funktionieren, die dazu führen, dass Strom aus der Steckdose kommt und viele Autos produziert und wir mit Wärme versorgt werden. Diese Systeme spiegeln sich in der Politik wider, und es ist normal, dass sie Widerstand leisten gegen Veränderungen. Und anders geht es uns als Privathaushalten auch nicht. Was Menschen sehr gut können: sich an Veränderungen anpassen, wenn sie unter Druck geraten. Wir haben ja in der Pandemie zum Beispiel gesehen, was auf einmal möglich wird. Die Notwendigkeit einer Wärmewende und der Klimawandeldruck sind hoch, aber die Wirkung ist nicht so unmittelbar und kommt nicht so direkt dem zugute, der die Handlung tätigt, wie jemandem, der sich gegen Corona impfen lässt. Der Druck wird jetzt deutlich spürbar, doch wir zahlen mit Veränderungen auf ein Konto in der Zukunft ein.

Portrait von Elisabeth Dütschke, Expertin für Energietechnologien und Energiesysteme
Psychologin Elisabeth Dütschke leitet am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) das Geschäftsfeld Akteure und Akzeptanz in der Transformation des Energiesystems. Bild: Privat.

Sie leiten das Geschäftsfeld »Akteure und Akzeptanz in der Transformation des Energiesystems«. Wer sind denn diese AkteurInnen und ist ihnen die Zukunft egal?

Diese AkteurInnen sind wir alle. Ich bin Akteurin als Wissenschafterin, Sie als Journalistin, die für Nachhaltigkeit arbeitet, und beide sind wir KonsumentInnen und WählerInnen. Es gibt auch noch PolitikerInnen und UnternehmerInnen usw. Verkürzt muss man ehrlich sagen: Als Menschheit überfordert es uns, langfristig geplant vorzugehen. Wir brauchen eigentlich auch unmittelbare Erfolge, sie sind beim Thema Wärmewende zu indirekt. Das Thema überfordert individuell und kollektiv. Die Waldbrände in Südeuropa hören nicht auf, wenn ich lerne, mit meiner Heizung bzw. meinem Thermostat umzugehen, mich gegen eine Klimaanlage entscheide oder Energieeffizienz in meiner Wohnungssuche stark berücksichtige.

»Die vielen Einzelentscheidungen machen die Wärmewende so kompliziert.«

Elisabeth Dütschke

Das heißt, alle AkteurInnen müssen damit umgehen lernen, dass sie für viele Handlungen gute Gründe, aber keine unmittelbar sichtbare Belohnung haben können?

Sobald man weiß, was einem wichtig ist, kann man einfach da anfangen, wo man die ersten Anknüpfungspunkte findet. Individuell bedeutet das: Auch wenn wir jeden Tag noch viele andere Dinge zu tun haben, haben wir doch immer wieder Gelegenheiten, uns einzubringen, einerseits bei Wahlen, andererseits am Tisch mit FreundInnen und Familie. Was spricht gegen das Thema: Hast du schon mal überlegt, die Heizung auszutauschen? Oder zu fragen, wer schon Erfahrungen gemacht hat und deswegen Tipps geben kann. Das ist die Stelle, wo die Veränderung letztlich passieren muss. Wir machen das für uns als Menschen und könnten offener sein, für Verbesserungen, die dort auftauchen, wo wir sie vielleicht gar nicht vordergründig erzielen wollten. Wo weniger mit Kohle geheizt wird, wird unmittelbar die Luft besser. Durch weniger Autoverkehr hat man mehr Platz in den Städten. Das Raumklima wird durch moderne Heizungen auch besser. Gesellschaftlich müssen wir zumindest die Voraussetzungen schaffen, damit diesen Veränderungen im Denken auch Taten folgen können.

Wie können Veränderungen erleichtert werden?

Damit diese entstehen, müssen wir Strukturen ändern. Das bedeutet einerseits, dass es nicht für jedeN ImmobilienbesitzerIn zur Pionierarbeit werden darf, bauliche Veränderungen Richtung Nachhaltigkeit vorzunehmen oder diese bei Neubauten von Grund auf mitzudenken. Andererseits sollte Wärmeversorgung in kommunalen Entscheidungsfindungen anders mitgedacht werden. Derzeit ist Wärmeplanung im Regelfall kein Teil der Stadtplanung. Wo bietet sich Geothermie an, wo können wir Abwärme aus der Industrie nutzen? In der Kommunalplanung werden Mobilitätskonzepte und Kanalanschluss vom ersten Moment an mitgedacht, Wärmeversorgung ist kein Teil der Stadtplanung, sie ist im Grunde Privatsache. Das sollte in diesem Ausmaß nicht weiter so praktiziert werden, wenn wir in Richtung Klimaschutz schnell vorankommen wollen.

Wollte schon mal jemand einen Tipp von Ihnen, was sie oder er privat besser machen kann?

Ja, schon öfter. Wenn ich als MieterIn was für die Umwelt tun will, kann ich überschaubar viel machen, weil ich am Gebäude nichts verändern kann. Die Antwort lautet daher: die VermieterInnen regelmäßig anrufen. Fenster in der Heizsaison nicht gekippt halten, sondern lüften. Die Heizung abdrehen, wenn man nicht da ist. Und bei der Wohnungssuche schon viel Wert auf Energieeffizienz legen und so die Nachfrage danach treiben.

Die Psychologin Elisabeth Dütschke leitet am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) das Geschäftsfeld Akteure und Akzeptanz in der Transformation des Energiesystems.

BIORAMA #74

Dieser Artikel ist im BIORAMA #74 erschienen

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