Büro auf Zeit

Statt alleine zu Hause zu arbeiten, setzen weltweit immer mehr Menschen auf Coworking-Räume, in denen Arbeitsplätze und Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Vier Co-Worker über ihren gar nicht so normalen Alltag im Büro.

Gemeinschaft, Zusammenarbeit und Teilen sind Schlagworte, die das individuelle Arbeiten im gemeinsamen Raum kennzeichnen und den Arbeitsort nicht nur auf schnelle Internetanschlüsse, einen Schreibtisch oder sichere Ablageorte reduzieren: Coworking ist mehr als nur die kostengünstige Variante eines eigenen Büros, nämlich ein Lebensstil, der sich durch Interaktionen und Synergien im gemeinschaftlichen Arbeiten definiert. Es geht dabei nicht nur um die Arbeit an sich, sondern vor allem um die Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen, die darin an ihren Ideen werkeln.

Ende 2011 führte Deskmag gemeinsam mit Coworking Europe die weltweit zweite Coworking-Studie durch und lieferte interessante Ergebnisse: Seit 2006 entstehen jährlich doppelt so viele Spaces wie das Jahr zuvor und das waren im Jänner 2012 bereits 1.320 auf der ganzen Welt. Es vergehen durchschnittlich sieben Monate vom ersten ernsthaften Planungsschritt bis zur Eröffnung. Investiert werden rund 46.500 Euro, die vorwiegend aus den Taschen der Betreibenden stammen. 80 Prozent aller Spaces sind private Unternehmen und bei Coworking-Spaces mit weniger als 30 Mitgliedern basiert jeder fünfte auf einer Non-Profit-Organisation. Für 2012 plant jeder dritte Betreibende mindestens einen neuen weiteren Standort – das sind zirka 350 neue Möglichkeiten für Interessierte, die laut der Studie durchschnittlich 34 Jahre alt sind und zu zwei Drittel männlich. Überaus hoch ist der Bildungsgrad der Mitglieder – drei von vier haben einen Universitätsabschluss und liegen somit extrem deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt in den erhobenen Ländern. Ganz oben auf der Liste der Vorteile stehen die Interaktion mit anderen Leuten, flexible Arbeitszeiten und zufällige Entdeckungen oder Inspirationen aus der Zusammenarbeit.

In Deutschland gibt es rund 100 Coworking-Spaces. Österreich zählt im internationalen Vergleich ähnlich wie die Niederlande zu den Ländern mit der höchsten Dichte. Das Netzwerk spannt sich vom Net Culture Lab in Dornbirn bis hin zur Menagerie in Graz, dem Coworking-Space Salzburg oder der Initiative Kärnten, die mit Coworking Slovenia und Croatia gerade ein länderübergreifendes Netzwerk aufbaut. Bereits vor zehn Jahren eröffnete mit der Schraubenfabrik der erste gemeinsame Arbeitsraum in Wien, neben Loffice, Neno und Dreamingschatz ist hier auch ein The Hub Vienna, ein Ableger des von London ausgehenden, weltweit vernetzten Coworking-Franchise-Modells, zu Hause. Vier Hub-Mitglieder aus verschiedenen Teilen der Welt erzählen über ihren Arbeitsalltag und was das Prinzip Coworking für sie bedeutet.

Interview-Protokolle: Martin Riedl, Johanna Stögmüller

Diederick Janse, 31
Unternehmensberater 
lebt in Utrecht, arbeitet in Amsterdam/ Niederlande

Wann bist du zum Hub gekommen?
Gleich zu Beginn. Soweit ich mich erinnern kann, war das in Amsterdam im Jahr 2008.

Was bedeutet »Arbeit« für dich?
Momentan würde ich Arbeit darüber definieren, dass ich selbst einen Wert schaffe, in dem ich ganz ich selbst bin. Auch darüber, zu etwas beizutragen, das größer ist als ich alleine. Im Großen und Ganzen bin ich überzeugt, dass man an der Arbeit Spaß haben kann, und sie nicht nur durchstehen muss.

Wie viele Stunden verbringst du im Hub?
Durchschnittlich etwa zwei bis drei Tage pro Woche.

Wie schaut dein Arbeitsplatz aus?
Ich arbeite jeden Tag an einem anderen Ort, also nehme ich nur mein iPhone, mein MacBook und meine Maus heraus und fange an. Je nachdem, was ich zu tun habe, höre ich mit Kopfhörern etwas Musik. Außerdem habe ich immer eine Kaffeetasse und ein großes Glas Wasser auf meinem Platz stehen. Eigentlich relativ schlanke Ressourcen; in einer Minute kann ich mir fast überall meinen Arbeitsplatz einrichten.

Was sind die Vorteile von Co-Working-Büros?
Für mich ist es der perfekte Balanceakt zwischen meiner unternehmerischen Freiheit bei gleichzeitigem Anschluss an eine Community.

Wie lange planst du hier zu bleiben?
Wenn möglich für immer – beziehungsweise bis zu jenem Punkt, an dem es für Realize! nicht mehr ausreicht. Das kann etwa von der Größe abhängen oder auch von anderen Faktoren.

www.realize.nlwww.wakinguptheworkplace.com

amsterdam.the-hub.net

Begoña Cabeza, 23
Koordinatorin einer Non-Profit-Organisation
lebt und arbeitet in Madrid/ Spanien 

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen du in deinem Arbeitsalltag klarkommen musst?
In Spanien einen Job zu bekommen ist heutzutage eine große Herausforderung, genauso wie es eine Herausforderung ist, den Job auch zu behalten. Ich bin froh, dass ich gleich nach meinem Abschluss dieses interessante Projekt gefunden habe. Ich würde gerne an der Universität ein Master-Programm besuchen und weiter bei diesem Projekt dabei bleiben, um zu sehen, wie es wächst und sich immer neue Ziele setzt.

Welche Infrastruktur gibt es, und wie setzt du sie ein?
Wir haben die Möglichkeit, mit den anderen Co-Workern und dem Hub-Team zu interagieren. Es gibt ein nationales und ein internationales Netzwerk. Wir können sie fragen, wenn wir Ratschläge benötigen, wir können den Ort für Veranstaltungen und für Meetings verwenden – es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, die ich noch gar nicht voll ausgeschöpft habe.

Was wirst du mitnehmen, solltest du den Hub verlassen? Was hast du hier gelernt, was hat dich inspiriert?
Sollte ich den Hub verlassen, werde ich über viele verschiedene Arten von Unternehmen Bescheid wissen, die ich zuvor nicht kannte. Außerdem werde ich von all den Eindrücken und dem Unternehmergeist von vielen meiner Arbeitskollegen inspiriert sein, und ich hoffe, dass ich mir viele Freunde und Kollegen mitnehme.

www.ardilla.eu

madrid.the-hub.net

Liz Aitken, 42
Risikomanagerin und selbstständige Unternehmerin
lebt und arbeitet in Melbourne/ Australien

Was bedeutet »Arbeit« für dich?
Am besten lässt sich Arbeit über all das beschreiben, was sie nicht ist. Arbeit ist nicht Schlaf, Sport, Zeit mit der Familie oder Freizeitaktivitäten. Arbeit ist der Fortschritt meines Unternehmens, und das kann traditionellere und nicht traditionelle Aktivitäten umfassen.

Wie viele Stunden verbringst du im Hub?
Mein Zeitplan verändert sich permanent, er beinhaltet Reisen und Heimarbeit, dementsprechend ist es von Monat zu Monat unterschiedlich, wie viele Stunden ich im Hub verbringe. Im Moment bin ich etwa drei bis vier Tage pro Woche dort.

Haben Co-Working-Büros einen Lebenszyklus?
Firmen wachsen aus Co-Working-Spaces heraus, weil sie einfach zu groß werden. Ich würde mir aber wünschen, dass die Struktur dieser Büros ausreichend flexibel ist, um auch größer werdende Organisationen zu unterstützen.

Wie lange planst du hier zu bleiben?
Wir haben vor, so lange im Hub Melbourne zu bleiben, so lange wir weder unser Firmenwachstum noch die Bedürfnisse andere Hub-Mitglieder dadurch kompromittieren.

www.illuminationsolar.com

hubmelbourne.com

Talia Radford, 29

Designerin 
lebt und arbeitet in Wien

Wie schaut dein Arbeitsplatz aus?
Wenn wir in Co-Working-Büros wie etwa dem Hub arbeiten, wo es keine fix zugewiesenen Tische gibt, heißt das, dass sich der Arbeitsplatz jeden Tag verändert. Zu Beginn ist die Arbeitsfläche sauber, und nach und nach wird es chaotischer, mit unseren Computern, Objekten, mit Wasser oder was auch immer wir für den Tag benötigen, und am Ende des Tages ist der Tisch wieder sauber.

Was wirst du mitnehmen, solltest du den Hub verlassen? Was hast du hier gelernt, was hat dich inspiriert?
Was ich mitnehmen werde sind Offenheit und Neugierde. Aber ich glaube, dass ich das auch schon vorher mitgebracht habe. Unternehmertum habe ich hier gelernt, und auch, welche Projekte überhaupt möglich sind und welche nicht; was es braucht, damit ein Projekt Realität wird. Was mich inspiriert hat? Die ersten paar Wochen im Hub waren ein wenig fremd. Ich stellte fest, wie wienerisch ich schon geworden war, ich war erstaunt von der positiven Stimmung. Ich dachte, ›Wie können so viele Menschen zur selben Zeit glücklich sein?‹. Eigentlich ist das etwas sehr Natürliches, das es überall geben sollte, aber eine gewisse Griesgrämigkeit ist schon typisch für Wien.

Welche Infrastruktur gibt es, und wie setzt du sie ein?
Das reicht von typischen Büroressourcen wie Drucker, Scanner, Post und Konferenzräumen bis hin zum Accelerator Program (Anm.: eine Workshop-Serie organisiert vom Hub) und weiteren Hub-spezifischen Angeboten, Late-Night-Arbeit und »Sexy Salad« an Dienstagen, wenn wir alle zusammen eine große Mahlzeit kochen. Ein weiteres Beispiel: Letztes Jahr haben die Organisatoren der Erdgespräche einen ihrer Speaker eingeladen, einen Workshop im Hub abzuhalten, nämlich den Architekten Cameron Sinclair, Gründer der NGO Architects for Humanity. Wir haben eines unserer Konzepte vorgestellt, in der Folge wurden wir in das Netzwerk von Architects for Humanity eingeladen und haben den Zuschlag für ein Trinkwasserprojekt für Bergregionen in Nepal bekommen.

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen du in deinem Arbeitsalltag klarkommen musst?
Ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Unternehmen auf die Beine zu stellen.

www.taliaYsebastian.com

vienna.the-hub.net

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