Cowork-Camp

Campingplätze, die digitales Arbeiten ermöglichen – ein Konzept für alle Altersgruppen?

Relax and get some work done.
Im Workation Retreat «Coconat» hört man meistens gesprochenes Englisch, das Publikum ist international. Bild: Coconat Rooms.

In der Alten Schule im Dorf Letschin im Oderbruch, einer abgelegenen Gegend, wurde früher gelernt. Heute stehen auf den Holztischen Macbooks und Kaffeebecher, denn hier tippen digitale ArbeiterInnen fleißig in ihre Tastaturen. Ringsum viel Natur, menschenleere Landschaft und ein breiter Strom, die Oder. Ist es Urlaub, oder Arbeit? Manche nennen es Workation und drücken damit aus, es ist ein bisschen was von beidem. Und damit mutmaßlich womöglich auch keines von beiden. Aber längst nicht nur eingefleischte Digital Nomads und Eltern von Kindern mit wochenlangen Schulferien kommen auf die Idee, kürze Ausflüge oder auch den ganzen Sommerurlaub mit Arbeit verbinden zu wollen. Wer’s ausprobiert hat, weiß: Damit das klappt, braucht es basale Infrastruktur – ganz vorne in der Liste: eine stabile Internetverbindung und einen halbwegs ruhigen Arbeitsplatz.
In den ehemaligen Letschiner Schulhof kann man sein Wohnmobil stellen, auch einen Grillplatz gibt es, die Wurst kann man beim Dorfmetzger nebenan erstehen, der allerdings nicht auf Biofleisch spezialisiert ist. Zum Arbeiten geht man in die Schule. Diese Urlaubs- oder eben Arbeitsform hat sich hier anscheinend noch nicht herumgesprochen, meist ist es in der Alten Schule noch sehr leer. Auch Plattformen wie camp-work.de zeigen noch nicht viele Orte für Workation dieser Art. Einer ist der Stover Strand, ein 5-Sterne-Campingplatz am Ufer der Elbe bei Hamburg. Der Coworking-Bereich ist hier gerade im Aufbau. Im Odenwald River Camp in Neckargerach gibt es auch Tipis zum Übernachten. Man sei mehr als ein Campingplatz, eher ein Basislager für Ausflüge, heisst es auf der Webseite. Auch hier ist der Coworking-Bereich noch im Aufbau. 

Workation Retreat

Ruhe zum Arbeiten und Ruhe zur Erholung – aber Menschen, wenn man Gesellschaft sucht, lautet hier das Konzept.

Laut Bundesverband Coworking Spaces e.V. (BVCS) kam es allein im Jahr 2020 zu einer Vervierfachung der Coworking-Spaces und auch wenn es nicht mehr in diesem Tempo weitergeht, die Alternative zum Office und Home-Office scheint mehr als ein kurzlebiger Trend. 
Einen Vorteil, den Coworking fast immer hat: die Netzwerke, die sich an diesen Orten bilden. Sei es beim gemeinsamen Essen, beim Plausch in der Kaffeeküche, oder bei der After-Work-Party, den viele Coworking-Spaces anbieten. Und es sind nicht nur 22-jährige Start-up-GründerInnen, die hier am Laptop sitzen. Auch ein freier Architekt in seinen 50ern oder ein Forstarbeiter kommen bisweilen in die Gemeinschaftsbüros, um in Gesellschaft zu arbeiten. Und wenn man schon die Vorteile der Gemeinschaft sucht, warum dann nicht auch unterwegs und im Urlaub?

Luxus-Campingurlaub mit Sauna und Arbeitsplatz in Raddistanz

Eine Workation in einem romantischen Tal in Österreich? Das ist möglich im Almtal Camping Pettenbach. Der Campingplatz ist außergewöhnlich gut ausgestattet mit Wellnesswelt mit Saunen, beheiztem Schwimmbad, Wifi. Wer darauf verzichten kann findet ein paar Kilometer weiter, in Viechtwang bei Scharnstein, auf dem direkt an der Bahnstrecke und am Fluss Alm gelegenen, den familiär geführten Campingplatz »Schatzlmühle« mit einen erschlossenen Bereich und einen »wilden«, in dem nur Zelte aufgestellt werden dürfen, keine Camper. Biogastronomie gibt’s auf der anderen Seite der Alm im Biobistro der Grüne-Erde-Welt 10 Kilometer talaufwärts, in Grünau, befindet sich das Coworking Almtal, das gerade frisch aus der Taufe gehoben wurde. Dort gibt es fixe und flexible Arbeitsplätze auf 150 Quadratmetern, zwei Seminarräume, einen Parkplatz mit E-Ladestation, und Bus und Bahn sind nur 400 Meter entfernt.

Im Coconat versucht man gerade, den Bezug von Lebensmitteln bei einer regionalen Genossenschaft auf- und auszubauen. Bild: Coconat Rooms.

Auch Brandenburg hat liebreizende Weiler für Urlaub und Arbeit, zum Beispiel Klein Glien mit weniger als 100 Einwohnern nahe des Kurortes Bad Belzig und seinen Gutshof, der das gar nicht so kleine Workation-Retreat »Coconat« beherbergt. Dazu buchbar ist Verpflegung mit leichtem Jugendherbergscharakter: Für Frühstück, Mittagessen und Abendessen wird für alle das Gleiche gekocht, und alles ist vegetarisch, aber nicht bio. Die Zielgruppe des Gutshofes sind »Kreativmenschen« – etwa SchriftstellerInnen, FotografInnen oder BloggerInnen – die die natürliche Atmosphäre der Umgebung schätzen und sich für ihre Arbeit inspirieren lassen wollen. Das Publikum ist international, rund 50% der Gäste reisen aus dem Ausland an, meist hört man im Haus Englisch. Verschiedene Arbeitsräume wie ein Skype-Zimmer oder Coworking-Räume sind vorhanden. Für die Möglichkeit des Coworking verlangt Coconat eine Tagespauschale von 11,90 Euro. 
Für kalte Winterabende gibt es ein auf dem Anwesen ein Kaminzimmer mit offenem Kamin, auf dem Gutsgelände befinden sich eine Picknickwiese, ein Gemüsegarten, eine Spielwiese, mehrere Hängematten, eine Fasssauna und eine Feuerstelle. Alles ist darauf abgestellt, Besuchern Erholung und die Möglichkeit zum Netzwerken zu bieten. Auch die Möglichkeit zum Zelten gibt es – auf der Zeltwiese haben zehn Zelte Platz, dabei wird pro Person eine Gebühr von 10 Euro erhoben. Wohnmobile und Caravans sind willkommen, für sie werden 20 Euro pro Nacht berechnet. Neu sind die hochwertig ausgestatteten Glamping-Zelte wie auch die Hängezelte im Garten.

Gekühlte Afterwork-Drinks ohne Kühlschrank?

In Letschin in Brandenburg kann man mit einem Tagesticket um 12 Euro dank schnellen Wlans an Tischen und Sofas bequem digital arbeiten. Oder man mietet sich im Garten hinter der Schule um 35 Euro pro Nacht in den vorhandenen Wohnwagen ein. Man kann natürlich auch mit dem eigenen Caravan kommen, dann kostet die Nacht 25 Euro. 

Coworking im Freien in der wilden Heimat.
Rush Hour in der Wilden Heimat: Hier könnte auch gearbeitet werden. Muss aber nicht. Bild: Dirk Engelhardt.

Auf dem Gelände des Campingplatzes Wilde Heimat war einmal eine Fabrik. Die Fabrikanlagen sind weitgehend verschwunden, übrig ist noch ein Bahngleis, das quer durch das Gelände führt. Einfallsreichtum besaßen die MacherInnen beim Kühlen von verderblichen Lebensmitteln: weil Camper, die mit dem Zelt kommen, gewöhnlich keinen Kühlschrank dabei haben, wurde ein Eiskeller ausgehoben, in dem es immer kühl ist und den alle kostenlos nutzen dürfen. 
Genial ist auch der Verleih für Fischräucherofen, Angeln, Pfeil und Bogen und Gitarre (!) auf dem Platz. Auch eine Sharing-Box für Essen ist vorhanden. Für Coworker gibt es einen extra Bauwagen samt schnellem Internet.
Der gläserne Bauernhof im Vogtland ist zwar kein Bauernhof mehr, der wurde stillgelegt. Statt Ställen gibt’s jetzt Stellplätze und wer keinen eigenen Wohnwagen hat, kann sich einen mieten, voll ausgerüstet und mit Nasszelle, Toilette und Heizung. Alternativ steht auch noch ein Scheunendorf bereit – dass die kleinen Blockhütten wenig mit Scheunen gemein haben, tut der Sache keinen Abbruch. Coworking ist möglich im Haupthaus, hier gibt es schnelles Wlan, ein (nicht biozertifiziertes) Café, das auch kleine Speisen serviert, sowie einen Hofladen mit regionalen Produkten (hoher Bioanteil und Wildbret), der Handwerksprodukte aus Sachsen führt.

Glamping mit Faxanschluss

Ein Ort für richtig coole Camper (aber auch für alle, die keine Lust auf Camping haben, gibt es schöne Zimmer) ist die Schnitzmühle im Bayerischen Wald. Denn hier entscheidet man sich auf der Startseite online als Erstes, ob man campen oder »wohnen« – oder einfach nur zum vegetarischen Essen (nicht biozertifiziert) vorbeikommen möchte. Grillplätze, Bongo Bar, Flussbaden und Highspeedinternet warten hier. Wer nicht im Fluss baden will, kann das stilvoll gestaltete Spa besuchen. Der Nassbereich verfügt über eine Trockensauna und, weil Sauna und Schwimmbecken zu langweilig klingt, auch noch eine »Golden Heat Sauna« – eigentlich eine ganz gewöhnliche Sauna –, ein Bubble Basin – ein Whirlpool –, und die Flying Garden Lounge – ein Gärtchen mit Liegestühlen zum Ausruhen.

Zwischen den Mahlzeiten der thailändisch-bayerischen Küche kann man in der Schnitzmühle auf voll ausgestattete Meetingräume zurückgreifen. Bild: Schnitzmühle.

Wlan gibts überall, explizit zum Arbeiten ist allerdings das Future Labor: ein »architektonisch ausgeklügelter Meta-Raum für neue Klarheiten und Intelligenzen«, der einem Konferenzraum mit Couchecke ähnelt. Technisch ist dieser auch für die Übertragung von Bild und Ton von Videokonferenzen und grundausgestattet.

Wer allerdings einen Faxanschluss sucht, findet diesen – und vieles mehr – zum Beispiel nahe Neumünster. Dort liegt der Hof Viehbrook, ein typisch niedersächsischer Bauernhof in Ziegelsteinbauweise auf dem platten Land. Wer möchte, kann hier auch richtig anpacken: Der Biobauernhof wird bewirtschaftet, das touristische Angebot ist hier nur eine zusätzliche Einnahmequelle. Seit 2020 verfügt der Hof über einen Coworking-Space, ausgestattet mit einer Teeküche und nicht nur Wlan, Beamer und Drucker/Scanner, sondern auch Fax- und Telefonapparat. Wer eine Workation ohne Notebook machen kann und sich traut, das Handy zuhause zu lassen, kann also hier auch nach Hause telefonieren wie früher. Von Mai bis Oktober kann man hinter dem Bauernhof auch campen. Dafür stehen 15 Luxuszelte bereit, die hoch genug sind, um auch darin zu stehen.

Mehr über die Campingplätzen und Coworkingspaces herauszufinden gibt es auf
hof-viehbrook.de
schnitzmuehle.de
glaeserner-bauernhof.de
wilde-heimat.de
coworking-oderland.de
coworking-almtal.at
almtal-camp.at
coconat-space.com

BIORAMA #84

Dieser Artikel ist im BIORAMA #84 erschienen

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