Die steinreichen Flüsse

Die Auswirkungen von Begradigung, Kanalisierung und Stauung wurden jahrzehntelang verkannt. Jetzt versucht man vermehrt, mit Geschiebemanagement entgegenzuwirken. 

Das Flussbett der Vjosa
Die Vjosa liegt im Südwesten Albaniens und ist einer der letzen großen Wildflüsse Europas. Bild: iStock.com/OLLIRG.

Dass man niemals zweimal in denselben Fluss steigen kann, hat auch noch andere Gründe als die, die Heraklit in seiner Flusslehre benennt. Neben Wasser transportieren Flüsse riesige Mengen an Sedimenten – gelöst im Wasser als Schwebstoffe und als Geschiebe in Form von Schotter und Geröll an der Flusssohle. Dem alten Griechen ist dabei aber kaum ein Vorwurf zu machen. »Das wurde nicht mitgedacht, obwohl die Verbauung der Flüsse immer nach dem gleichen Schema verlief: zuerst begradigen und kanalisieren und dann Staustufen errichten«, sagt Ulrich Eichelmann von der NGO Riverwatch.

Vom letzten Wildfluss lernen

Aufgrund der massiven Verbauung von Flüssen gibt es aber kaum mehr Gelegenheiten, einen ungestörten Geschiebetransport zu studieren. »Die Vjosa ist der letzte Wildfluss des Balkans und einer der letzten Europas. Für die Universität für Bodenkultur Wien war das eine einmalige Gelegenheit, sich anzusehen, wie ein freier Geschiebetransport funktioniert und was der geplante Kraftwerksbau bedeuten würde«, erklärt Eichelmann, der gemeinsam mit NGOs in Albanien für den Erhalt des Flusses kämpft. Die Studie der Boku zeigte, dass die Vjosa für die Wasserkraft nur wenig geeignet ist. Das geplante Staubecken würde nach zwanzig Jahren etwa 40 Prozent seines Fassungsvermögens und das Wasserkraftwerk damit genauso viel Leistung verlieren.

Aufgrund der dann fehlenden Sedimente würde sich der Fluss im Unterlauf drastisch eintiefen und der Grundwasserspiegel absacken: Das bedeutet Probleme für die Landwirtschaft, vertrocknende Auen und ein stark erhöhtes Risiko bei Überschwemmungen. Ohne einen ständigen Zufluss von Sand und Geschiebe würden die Strände rasch von der Adria weggespült werden. Diese bieten nicht nur Schutz vor Stürmen, sondern sind auch für den Tourismus bedeutsam.

Donau so tief

Fehlt das Geschiebe, gräbt sich der Fluss immer tiefer ein. Damit sinkt der Grundwasserspiegel, was sich negativ auf Wasserversorgung und damit auch auf Landwirtschaft und Auen auswirkt. Das fehlende Geschiebe gefährdet zudem technische Infrastruktur wie Brückenpfeiler, die so leichter unterspült werden können. Nicht zuletzt werden Uferbereiche und Flusssohle in ihrer Funktion als produktive Lebensräume stark eingeschränkt. Anstatt durch den Fluss transportiert zu werden, sammelt sich das Geschiebe vor Staumauern, was das Fassungsvermögen von Staubecken einschränkt und die Funktion von Turbinen und Notauslässen beeinträchtigen kann. Damit sinken Sicherheit, Effizienz und Rentabilität. So ergibt sich eine recht einzigartige Interessenkoalition aus Umweltschutz, Wasserkraft und – wo vorhanden – Schifffahrt: Wie bekommen wir den Schotter in den Griff? 

Um diesem Problem beizukommen, lautete das Patentrezept bisher, weitere Staustufen zu errichten und künstliche Sedimente in die Flüsse einzubringen. Im Donaulauf zwischen Wien und Bratislava, wo sich die Flusssohle innerhalb von 50 Jahren um einen Meter eingetieft hatte, fiel Variante eins flach. Die massiven Proteste für den Erhalt der Hainburger Au 1984 und 1985 verhinderten den Bau eines weiteren Kraftwerks. Damit blieb nur noch Variante zwei: Fortan wurden bis zu 200.000 Kubikmeter Kies pro Jahr hinter dem Kraftwerk Freudenau in die Donau gekippt. Das war weder besonders kosteneffizient noch effektiv und auch nicht ausreichend, um die Eintiefung zu stoppen.

Best Practice Nationalpark Donauauen 

Beim Geschiebemanagement der Donau bei Hainburg wird der laufend gebaggerte Kies dem Fluss nicht dauerhaft entnommen, sondern flussaufwärts wieder zugegeben. Bild: viadonau.org

Die für den Betrieb der Wassertrasse zuständige Via donau und der Nationalpark Donauauen begannen darum gemeinsam mit der Boku nach eleganteren Lösungen zu suchen. Das stellte zugleich den Beginn einer nunmehr europaweit einzigarten Erfolgsgeschichte dar: »Wir haben hier die einzigartige Möglichkeit, mit unseren ProjektpartnerInnen Maßnahmen unter realen Bedingungen zu testen. Natürlich machen wir viele Experimente im Labor – teilweise mit Modellen 1:10 –, aber der Fluss hat einfach ein Eigenleben, das nicht exakt vorhergesagt werden kann«, erklärt Marcel Liedermann vom Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung der Boku Wien. Die Forschung konzentrierte sich auf eine effizientere Einbringung von Schotter. 

Weitere Instrumente im Arsenal der ForscherInnen sind die Revitalisierung von Altarmen und der Uferrückbau. Die Schaffung permanent durchströmter Seitenarme befreit zudem lokale Auen von Sedimenten. Für den Rückbau der Ufer wurden Hunderttausende Tonnen Felsblöcke aus den Böschungen entfernt – mit spektakulären Ergebnissen: Teilweise wurde die Donau bis zu 40 Meter breiter und es entstanden binnen kürzester Zeit meterhohe Abrisskanten, die etwa dem Eisvogel zum Nisten dienen. Gesamt konnten eine Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse, des Hochwasserschutzes und die Stabilisierung der Stromsohle erreicht werden.
Auch der Nationalpark Donauauen profitiert durch eine gesicherte Wasserversorgung von diesen Maßnahmen. »Im Abschnitt Hainburg besteht die Möglichkeit, Strukturgüte II zu erreichen. Das bedeutet: bedingt naturnah. Für einen schiffbaren Fluss wäre das einzigartig«, so Ulrich Eichelmann. Die Suche nach neuen, innovativen Methoden des Geschiebemanagements wird allein schon deshalb nicht eingestellt. 

Ab in die Röhre

Diese sind natürlich auch von den jeweiligen geografischen Gegebenheiten abhängig: In Bergregionen kann man sich etwa das höhere Gefälle zunutze machen. So wurde 1998 für das Pumpspeicherkraftwerk Okuyoshino, mit 1206 MW eines der größten Japans, ein 2350 Meter langer Tunnel in Betrieb genommen, der das Geschiebe am Kraftwerk vorbeitransportiert. Taifune und Rodungen führten zu einer stark erhöhten Sedimentfracht und damit zu einem zunehmenden Kapazitätsverlust des Beckens. Dank des Tunnels konnte die Sedimentablagerung um 80 Prozent verringert werden. Die Geschiebefracht erreicht nun auch wieder den Unterlauf des Flusses und hat dort zu einer Erholung des Flussbetts geführt. Nachteil dieser Methode sind die hohen Kosten für die Errichtung und Instandhaltung. Gerade nach starken Taifunen kann der Abrieb an der mit Stahl verstärken Betonkonstruktion bis zu 20 Zentimeter betragen. 

Ein ähnliches System sorgt auch beim Schweizer Solis-Staudamm für Abhilfe. Die Albula hatte das Staubecken schon zur Hälfte mit Geschiebe gefüllt und drohte die Grundablässe der Staumauer zu verstopfen. Verwendung finden solche Bypass-Tunnel mittlerweile auch bei Kraftwerksneubauten. In Patrind im Norden Pakistans soll die Anlage dabei helfen, die gewaltigen Sedimentmengen des im Himalaya entspringenden Kunhar zu bewältigen. Etwa 40 Millionen Tonnen Sand und Schlick transportiert der Fluss pro Jahr. Das macht es zusätzlich notwendig, sämtliche Anlagen regelmäßig »durchzuspülen«.

Selbst die ausgeklügeltsten technischen Vorrichtungen und Verfahren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede kommerzielle Nutzung eines Flusses zu massiven Veränderungen in diesem Ökosystem führt. Mit der Umwandlung des Naturraums Fluss und einer Kulturlandschaft entstand gleichzeitig der Bedarf, diesen entsprechend zu managen, um angerichteten Schaden zu minimieren oder, wie im Fall der Donau, soweit wie möglich rückgängig zu machen. Nicht zuletzt deshalb ist es geboten, Eingriffe möglichst gering zu halten beziehungsweise wie im Fall der Vjosa von solchen ganz abzusehen.

Das Unterbecken des Pumpspeicherkraftwerkes Okuyoshino am Asahi, Japan.
Bild: CC BY-SA 3.0/Querren (talk).

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