Zurück in die Zukunft unter Segeln
Emissionsfreier Warentransport über die Ozeane wurde wiederentdeckt: Die Frachtsegler sind zurück.

Text: Ulrike Potmesil
Die Dekarbonisierung der Frachtschiffindustrie ist ihre erklärte Mission, sie liefern ihre Produkte mit Windenergie über den Ozean: Frachtsegel-Transportunternehmen des 21. Jahrhunderts. Ein ambitioniertes Firmenkonzept, das weder realistisch noch wirtschaftlich scheint, aber – auf unterschiedliche Weise – funktioniert.
Die großen Frachtsegler wurden im vergangenen Jahrhundert außer Dienst gestellt, nun sind wieder welche unterwegs. Eines von ihnen ist das Schiff »Grain de Sail«. Das gleichnamige französische Unternehmen mit Sitz in der Bretagne wurde 2012 als kombiniertes Geschäftsmodell mit einer Firma, die auf Herstellung und Handel von Biokaffee und Bioschokolade spezialisiert ist, und einem maritimen Unternehmen gegründet. 2020 ließ man das erste Frachtsegelschiff vom Stapel.
Grain de Sail wurde von zwei bretonischen Brüdern, Jacques und Olivier Barreau, gegründet. Die beiden sind Fachleute für erneuerbare Energien.
graindesail.com/fr
Das Unternehmen setzt auf moderne Segeltechnologie plus Frachtfunktionalität. »Wir reduzieren den CO2-Fußabdruck der maritimen Logistik um über 90 Prozent gegenüber den mit Schweröl betriebenen Frachtschiffen«, teilt Marketingdirektor Stefan Gallard mit. Völlig emissionsfrei ist man nicht unterwegs, denn die Segelschiffe sind mit Hilfsmotoren, die bei Hafenmanövern zum Einsatz kommen, ausgestattet. Gallard informiert: »Wir haben einen umfassenden CO2-Reduktionsplan, der auch erneuerbare Energien, nämlich Wasserkraft und Solarenergie, für die an Bord benötigte Energieerzeugung beinhaltet.« Grain de Sails Schiffe variieren in Größe und Kapazität. 24 Metern Länge und 50 Tonnen Frachtkapazität wies das erste Schiff auf, »Grain de Sail II« hat das siebenfache Frachtvolumen. Mit der kostenlosen Energiequelle Wind sind die Transportkalkulationen von Ölpreisschwankungen entkoppelt, der entscheidende Faktor für die Transportkosten ist aber das Frachtvolumen. Daher plant man, mit Hilfe von Investoren, 20 Millionen Euro in den Bau des nächsten Schiffs zu stecken. »Grain de Sail III«, die 2027 vom Stapel läuft, transportiert 200 Container, ist 110 Meter lang und ihr Frachtvolumen beträgt 2800 Tonnen. »Mit ihr reduzieren wir die Emissionen auf ein bis zwei Gramm CO2 pro transportierter Tonne Fracht und zurückgelegtem Kilometer«, berechnet Gallard. Derzeit segelt man auf der Transatlantikroute, weitere Schifffahrtsrouten sind in Planung. Auf der Importroute von Lateinamerika nach Europa transportiert Grain de Sail Bio- und Fair-Trade-zertifizierten Kaffee und Kakao, auf der Exportroute nach Nordamerika liefert man konventionelle, hochpreisige Weine, Kosmetika und Parfüms. Noch sind die Produkte nur in den USA und Frankreich erhältlich, laut Gallard will man das Vertriebsnetz bis 2026 erweitern und auch nach Deutschland expandieren.
Wer mitsegeln will, braucht vor allem das Mindset. »Auf unseren zertifizierten Handelsschiffen müssen wir Seeleute der Marineakademien und spezialisierte SeglerInnen einstellen, darüber hinaus bieten wir Schulungen für Personen mit wenig Segelerfahrung an«, teilt Gallard mit.

»Ein Signal setzen«
Mit einem Schiff von ganz anderem Kaliber ist die deutsche Reederei Timbercoast am Atlantik unterwegs. 104 Jahre hat die »Avontuur« auf dem Buckel. Seit das Schiff vor zehn Jahren für den Frachttransport in Dienst gestellt wurde, überquerte es 22 Mal den Atlantik. Timbercoast arbeitet mit Angestellten und Freiwilligen, den sogenannten Shipmates. Knapp 5000 Euro zahlen letztere für fünf Monate Leben und Arbeiten auf einem Frachtsegler.
Avontuur, ein fast 100 Jahre alter Schoner aus den Niederlanden, den die Timbercoast-Crew auf der Elsflether Werft in Niedersachsen restauriert.
timbercoast.com/de
Auch die »Avontuur« hat einen Dieselmotor an Bord. Laut der Reederei setzt ihn die Crew für ein Prozent der Strecken ein. Dann arbeitet der Bootsmechaniker im Maschinenraum. Viel Arbeit, um ein Signal zu setzen, denn gewinnbringend ist die »Avontuur« nicht. Reeder Cornelius Bockermann erklärt: »Die Besatzung fährt für weniger Gehalt als branchenüblich und unsere Freiwilligen bezahlen sogar dafür, dass sie mitmachen dürfen – und auch etwas lernen. Dennoch ist bei diesem Projekt kein Geld zu verdienen.« Die »Avontuur« transportiert in erster Linie konventionellen Kakao und biofairen Kaffee. So zum Beispiel Bohnen aus Nicaragua, die von ProduzentInnen des Kooperativenverbandes Tierra Nueva stammen. Sie bauen ihren Bio-Arabica-Kaffee in ökologisch wertvollen Mischkulturen an.
SCHIFFSTRANSPORTÜber 90.000 Berufsschiffe sind auf den Weltmeeren unterwegs. Frachtschiffe, Passagierschiffe sowie Serviceschiffe. Fischereischiffe sind in dieser Statistik nicht enthalten.
90 Prozent des Warenverkehrs läuft über die Schifffahrt. Dabei werden jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlenstoffdioxid produziert, das sind fünf Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes.
In der Seeschifffahrt werden überwiegend Schweröle als Kraftstoff eingesetzt. Dabei handelt es sich um die meist zähflüssigen, schadstoffhaltigen Reststoffe aus dem Raffinerieprozess. Um das Schweröl an Bord der Schiffe zu verwenden, muss es energieintensiv aufbereitet werden: Es muss sowohl zur Pumpfähigkeit erhitzt als auch von Feststoffen gesäubert werden. Aus dieser Aufbereitung fallen Rückstandsschlämme an, die im Hafen entsorgt werden müssen. Teilweise werden diese aber immer noch illegal im Meer entsorgt.
Drei Prozent der Treibhausemissionen
Bis zu 90 Prozent aller Waren auf dem Globus werden auf dem Seeweg transportiert – auf über 60.000 Frachtschiffen. Fast alle fahren mit Schweröl, Marinediesel oder Flüssigerdgas und verantworten damit knapp drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Hinzu kommen Belastungen durch Lärm über und unter Wasser, Einträge von Abwässern, Abfällen und aus Beschichtungen. Die weltweite Schifffahrtsindustrie hat 2023 beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden, was hauptsächlich durch neu entwickelte Kraftstoffe gelingen soll.
Die 80 Meter langen Zweimaster von TOWT können 1100 Tonnen Fracht transportieren. Die größten konventionellen Stückgutfrachter transportieren mehr als 50.000 Tonnen.
towt.eu/en/home
Raus aus der Romantik-Nische
Radikal modern ist der Ansatz der französischen Transoceanic Wind Transport (TOWT) mit Sitz in Le Havre, die Transporte mit Segelschiffen vermittelt. »Frachtsegeln muss aus der Romantik-Nische heraus, wenn es sich als robuster Wirtschaftszweig etablieren soll«, sagt Generaldirektor Guillaume Le Grand. Man setzt auf Hightech und ließ vor zehn Jahren zwei Frachtsegler mit Aluminiumrumpf und Carbon-Masten bauen. 85 Meter lang ist die »Anemos«, die von Le Havre auf ihre Jungfernfahrt startete, Kurs auf New York, mit 900 Containern Cognac, Champagner und biozertifiziertem Wein an Bord. Von den USA aus steuert »Anemos« Kolumbien an, wo Kaffee an Bord kommt. »Auf der Route von Le Havre nach Südamerika und wieder zurück sparen wir mit einem Schiff 2400 Tonnen CO2-Emissionen«, sagt Diana Mesa, Mitbegründerin und Generaldirektorin von TOWT. Zum Vergleich: Ein mittelgroßes Frachtschiff verbraucht bei voller Ladung 300 Tonnen Schweröl pro Tag.
Und TOWT expandiert: Mit weiteren sechs Schiffen werde man in Zukunft nach eigenen Angaben durch den Transport von 200.000 Tonnen Gütern zur Einsparung von 40.000 Tonnen CO2 und damit 95 Prozent gegenüber Frachtschiffen, die mit fossiler Energie betrieben werden, beitragen. Die Diesel-Generatoren an Bord springen bei sehr wenig Wind zur Unterstützung an. Umgekehrt fungiert das Segelschiff als Kraftwerk: Ab sieben Knoten Fahrt erzeugt man durch die Fahrtbewegung Bordstrom per Hydrogeneration.
TOWT untermauert nachhaltiges Konsumbewusstsein mit dem Label: »Produkt umweltfreundlich unter Segeln transportiert«. Jedes Etikett ist mit einer Reisenummer versehen, auf der Webseite findet man Aufschluss über CO2-Emissionen und Reiseverlauf des Produkts. Die Waren sind auch in Deutschland und Österreich erhältlich.
Tres Hombres wurde 2010 gegründet, seitdem transportiert das Schiff vorwiegend Fairtrade-Produkte über den Atlantik. Es besteht die Möglichkeit, mitzusegeln.
fairtransport.eu/de
Drei Männer machten den Anfang
Ein Pionier unter den Frachtseglern ist ein österreichisch-niederländisches Trio: Tres Hombres. Im Jahr 2000 hatten sich die Segler Andreas Lackner aus Österreich und die beiden Niederländer Jorne Langenlaan und Arjen van der Veen auf einem Schulschiff kennengelernt, 2010 realisierten sie ihre Vision: Mithilfe von 150 Freiwilligen sanierten sie einen über 60 Jahre alten Kriegsfischkutter, die »Tres Hombres«, und transportieren seit 14 Jahren Produkte unter Segeln aus der Karibik nach Europa. Ihre Absatzmärkte sind unter anderem die Niederlande, Österreich, Deutschland und Schweden. Mit 32 Metern Länge und 35 Tonnen Kapazität gehört sie zu den Zwergen der Frachtschifffahrt, aber den drei Männern geht es nicht um gewinnbringenden Massentransport, sondern darum, ein Zeichen zu setzen: »Wir liefern Luxusgüter, Dinge, die kein Mensch zwingend braucht.« Karibischer Rum war ihr erstes Frachtgut, mittlerweile werden vor allem zertifizierter Kaffee und Kakao wie auch Schokolade (alle drei ausschließlich in Bioqualität, der Großteil davon auch fairtrade-zertifiziert) über den Atlantik nach Europa gebracht. Richtung Westen transportiert die »Tres Hombres« Hilfsgüter in karibische Krisengebiete, auch Turngeräte oder – aktuell – leere Rumfässer. »Gewinn machen wir mit dem Gütertransport Richtung Europa, ein Drittel unseres Einkommens lukrieren wir aus den Zahlungen der Freiwilligen, wir haben Platz für acht MitseglerInnen plus sieben angestellte Crewmitglieder«, teilt Lackner mit. Auch Personen ohne Segelerfahrung dürfen mit auf die dreiwöchige Fahrt in die Karibik, beziehungsweise die gesamte Reise von Den Helder in den Niederlanden über den Atlantik und wieder retour. Lackner verrät: »Achtzigjährige MitseglerInnen schicken wir nicht auf den Mast, die Trainees, von denen viele aus der Seefahrtschule Enkhuisen kommen, müssen jeden Tag hinauf.«

Die »Tres Hombres« besitzt keinen Motor, was die Anlegemanöver herausfordernd gestaltet, aber Kern der Firmenphilosophie ist: Transportemissionen einsparen. Lackner, Langenlaan und van der Veen führen mittlerweile auch die Agentur »Fairtransport«, haben mehrere Partner, darunter Timbercoast, und sind für Organisation, Bemannung und Befrachtung der Schiffe verantwortlich. Die Flotte wird laufend erweitert, neben der Transatlantikroute und der Route Den Helder – Skandinavien, während der karibischen Hurrikansaison, sind weitere Linien in Planung. Für die Fahrt Richtung Indischen Ozean ist die kleine »Tres Hombres« nicht geeignet, andere Partnerfirmen wie die niederländische Eco Clipper planen bereits, größere Schiffe für diese Route zu bauen und wollen in Zukunft auch die Transpazifiklinie und die Weltlinie befahren. Als Konkurrenz sieht Lackner den Mitbewerb nicht, er betont: »Ich bin froh darüber, wir wollen so viele Frachtsegler wie möglich auf die Meere bringen.«