O Totholzbaum!

Entscheidend für gesunde Wälder ist nicht allein, was in den großen teils öffentlichen Waldgebieten geschieht, sondern auch, dass es gelingt, die unzähligen KleinwaldbesitzerInnen für den Mehrwert der Vielfalt zu begeistern.

Baum liegend
Ein österreichischer Kleinwald ist laut Statistik Austria kleiner als 200 Hektar, für die in Deutschland als Kleinprivatwälder bezeichneten Waldstücke gilt das gleiche. Bild: Maria Hörmandinger/Region Elsbeere Wienerwald.

Gar nicht so selten ist nicht einmal klar, wo der geerbte Wald genau liegt. Die Zielgruppe der sogenannten »hoffernen« WaldbesitzerInnen wohnt fernab des Grund und Bodens, den ihre bäuerlichen VorfahrInnen einst bestellten; sie orientiert sich in die Städte, lebt vielleicht längst dort oder hat selbst die Landwirtschaft schon vor Jahren aufgegeben, Felder und Wiesen verpachtet, möchte den Wald aber – aus emotionalen Gründen oder als Geldanlage – nicht verkaufen. Dieser Zielgruppe will Nicole Silhengst vermitteln, dass ihr Besitz mehr ist als bloß eine Ansammlung von Bäumen; und im Idealfall vor allem: mehr als ein Fichtenforst, in dem sich die Stämme in Reih und Monokultur in die Höhe strecken. Denn die Gruppe der KleinwaldbesitzerInnen ist groß. Unüberschaubar groß sogar, wie Nicole Silhengst weiß.

Was fehlt: Beratung und Waldwissen

Die Niederösterreicherin betreut das von der EU geförderte Projekt »Ökologische Kleinwaldbewirtschaftung« der LEADER-Region Elsbeere Wienerwald. Dafür haben sich 13 Gemeinden zwischen den Ballungsräumen Wien und St. Pölten zusammengetan, weil viele Waldstücke zu verwahrlosen drohten, gleichzeitig aber bewusste Maßnahmen getroffen werden müssen. Andernfalls drohen die häufiger werdenden »Windwürfe infolge extremer Wetterereignisse wie Stürme sowie Borkenkäferkalamitäten nach ausgedehnten Trockenperioden«, die der aktuelle »Grüne Bericht« des zuständigen Landwirtschaftsministeriums für ganz Österreich ausweist, ganze Landstriche zu entwalden. Das heißt: Der Wald muss aktiv an den Klimawandel angepasst werden.

Waldwissen & Beratung
Umfassende gemeinsame Plattform von vier Forschungsanstalten aus Süddeutschland, der Schweiz und Österreich, die Wissen in den Bereichen Waldwirtschaft, Lebensraum Wald, Bildung, Technik & Planung aufbereitet sowie Dossiers erstellt.
waldwissen.net

Auch in Silhengsts LEADER-Region heißt es, waldbauliche Versäumnisse und Fehler von früher – vor allem weitflächige Monokulturen von schnellwachsenden, für Standorte in tiefen Lagen aber ungeeigneten Fichten – zu korrigieren. Allzu große »Hofferne« sowie fehlendes Wissen um die komplexen Zusammenhänge im Ökosystem Wald sind solchen Maßnahmen nicht gerade förderlich. Erfolgversprechende Aufklärungsarbeit lässt sich aber nur leisten, wenn bekannt ist, wer erreicht werden soll. Das Problem: »Die Gemeinden haben zwar Grundstückskataster, aber fast jedeR BesitzerIn hat mehrere Parzellen, weshalb nicht genau zu sagen ist, wie viele BesitzerInnen es eigentlich gibt«, erzählt Nicole Silhengst. 


Was bedeutet LEADER?
LEADER ist ein Akronym aus Liaison entre actions de développement de l’économie rurale. Das Maßnahmenprogramm der EU fördert seit 1991 modellhafte Projekte für die Entwicklung des ländlichen Raums. In Deutschland gibt es aktuell 321 LEADER-Regionen, in Österreich 77.
Professionelle individuelle Beratung über einen Zeitraum mehrerer Jahre für »hofferne« WaldbesitzerInnen: ermöglicht durch eine Unterstützung von Blühendes Österreich, die Stiftung von Rewe Österreich. Bild: Maria Hörmandinger/Region Elsbeere Wienerwald.

»Die Gruppe der neuen waldfernen WaldbesitzerInnen wird durch die traditionellen Informationsanbieter wie Berufs- und Interessensverbände leider auch nicht erreicht«, bedauert auch das österreichische Bundesforschungszentrum Wald auf seiner Website – und dass diesen »häufig auch die erforderliche technische Ausrüstung und die Kenntnis ihrer Handhabung« fehlen.

Infotafeln für den Kohlenstoffspeicher

Im Wienerwald ging man deshalb pragmatisch vor und wandte sich in einer ersten Pilotphase vorerst an vier WaldbesitzerInnen – man betreut mittlerweile 25 WaldbesitzerInnen mit einer Gesamtfläche von 60 Hektar Projektwald. Diese sollen vorbildlich wirken. Liegen die betreuten Waldgebiete entlang von Rad- oder Wanderwegen, wurden in den Gemeinden Infotafeln aufgestellt, die Vorbeikommenden vermitteln sollen, dass die vor ihnen liegenden Waldstücke ökologisch bewirtschaftet werden. Denn in einem umsichtig genutzten Wald geht zusammen, was mitunter auch in Konflikt miteinander gerät: der Erhalt, die Förderung und der Schutz vielfältiger Arten und aktiver Klimaschutz. Werden nur einzelne erntereife Bäume entfernt und Kahlschläge verhindert, dann bleibt der Wald ein wichtiger Kohlenstoffspeicher und verhindert, dass Treibhausgase freigesetzt werden. Weil mächtige alte, eben »erntereife« Bäume aber auch besonders wichtig für die Artenvielfalt sind, gehört rechtzeitig entschieden, welche Riesen am besten ganz bewusst geschont werden.

»Wir haben den Leuten gezeigt, was in ihrem Wald bereits an Biodiversität vorhanden ist.«

Stephanie Wohlfahrt, Trainerin beim Projekt »Ökologische Waldbewirtschaftung«

Was ist da? Was könnte da sein?

»In den ersten waldökologischen Begehungen mit den BesitzerInnen haben wir uns jeweils zwei bis drei Stunden Zeit genommen«, sagt die Biologin Stephanie Wohlfahrt, die das Projekt als Trainerin begleitet. »Dabei haben wir den Leuten gezeigt, was in ihrem Wald bereits an Biodiversität vorhanden ist – Waldameisen, Spechte, seltene Orchideen, Moose, Flechten, Seidelbast, junge Tannen oder Tierspuren.« War der Blick für den Wald und seine Besonderheiten erst einmal geschärft, zeigte Wohlfahrt vor Ort, was möglich und nötig wäre, um diese Vielfalt noch einmal zu erhöhen. »Wir haben uns angesehen, welche großen Samenbäume in der Umgebung vorhanden sind und wie stark der Wilddruck ist – also ob im Wald überhaupt eine Naturverjüngung zustande kommt oder ob das Wild alles, was hochzukommen versucht, verbeißt und die kleinen Bäume deshalb eingezäunt gehören.«

Biodiversitätsberatung
gibt es kostenlos im Rahmen der Initiative »Wir schauen auf unsere Wälder«; Voraussetzung: eine landwirtschaftliche Betriebsnummer in Österreich.
waldarchiv.biodiversitaetsmonitoring.at

Schließlich wurden individuelle ökologische Bewirtschaftungskonzepte erstellt, die weit über den Projektzeitraum hinausreichen. Dafür wäre, so Nicole Silhengst, nicht nur eine »engmaschige, intensive Betreuung der WaldbesitzerInnen« nötig, sondern auch der Aufbau von Vertrauen. Denn vielfach gebe es Sorgen und Befürchtungen, »etwa wenn sich Leute fragen: Werde ich beim Schlägern über den Tisch gezogen? Bekomme ich beim Verkauf des Holzes einen fairen Preis? Vielen fehlt allein das Bewusstsein, was eine Arbeitsstunde im Wald wert ist, warum welcher Baum gefällt wird, gerade dieser dort aber stehen bleibt. Wir schaffen Transparenz. All das hat bei der normalen Dienstleistung des Schlägerns ja keine Zeit. Da muss alles schnell gehen.«

Totholzbaum
T wie Totholz. Bäume, die mit einem T markiert werden, dürfen alt werden und absterben – als Hort des Lebens und der Artenvielfalt. Bild: Maria Hörmandinger/Region Elsbeere Wienerwald.

Leben im Totholz

Komplette Kahlschläge sind in der ökologischen Waldbewirtschaftung jedenfalls verpönt. Es gibt Bäume, die ihren gesamten natürlichen Lebenszyklus über im Wald wachsen dürfen, ohne genutzt zu werden. Manchmal sind das alte Eichen, auf denen bis zu 500 teils seltene Käferarten leben. Und nicht selten sind das krumm gewachsene Bäume, deren Holz ohnehin schlecht verwertbar wäre. Sie werden beim gemeinsamen Durchforsten mit einem T markiert. T für Totholz. Künftiges Totholz, genau genommen. Denn absterbende oder abgestorbene Bäume sind der Hort des Waldlebens schlechthin. Nirgendwo sonst leben so viele Arten. Das hätten – durchaus eine Überraschung – alle TeilnehmerInnen am Projekt »Ökologische Kleinwaldbewirtschaftung« verinnerlicht. »Wir waren uns da anfangs ehrlich gesagt nicht so sicher«, gesteht Nicole Silhengst, »aber es ist eine Freude zu sehen, wie sehr alle diesen ökologischen Schwerpunkt schätzen.« Viele hätten auch den Mehrwert erkannt, empfinden ihren Besitz nicht mehr als Belastung, sondern als Bereicherung. »Ich denke«, sagt die Projektleiterin hörbar zufrieden, »die Leute haben erkannt, dass das nichts Kurzfristiges ist, sondern etwas für künftige Generationen, ein Ort, wo sie etwas für den Umwelt- und Klimaschutz tun können«. Ihren Wald finden alle am Projekt Beteiligten mittlerweile jedenfalls ohne Umschweife.

Ausbildung
In Österreich vermitteln die Forstlichen Ausbildungsstätten (FAST) auch Basiswissen. In Deutschland sind die diversen Waldbauernschulen Ländersache. Auch Wohllebens Waldakademie von Ökoförster Peter Wohlleben bietet Kurse an, in Lübeck berät die Natur Waldakademie beim Waldumbau.
fastort.at
fastossiach.at
waldbauernschule.bayern.de
waldbauerschule-brandenburg.de
wohllebens-waldakademie.de
naturwald-akademie.org
Buchcover »Mein erstes Waldstück«
Buchtipp: »Mein erstes Waldstück. Naturnah und nachhaltig bewirtschaften«, Peter Wohlleben, 2018, Ulmer Verlag.

BIORAMA #76

Dieser Artikel ist im BIORAMA #76 erschienen

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