Kleinwald bewirtschaften: Urwaldnah. Ein Ratgeber

Der neue alte Wohlleben: Eine ausführliche Rezension des Ratgebers „Mein erstes Waldstück“ sowie eine Verteidigung des vom Forst-Establishment angefeindeten Bestseller-Autors Peter Wohlleben, von Florian Grassl.

(Foto: Matthias Schickhofer)

Ehrlicherweise: ich bin Fan. Fan von Peter Wohlleben, dem Förster und Erfolgsautor, den man nicht mehr vorstellen muss und Fan der (Wald-)Welt, die er uns mit seinen Büchern und seiner für alle verständlichen einfachen Sprache näher bringt. Nichtsdestotrotz muss ich gleich hier festhalten, „Mein erstes Waldstück“ ist nichts für eingefleischte Wohlleben-Fans: Das als neu angepriesene Werk ist eine nur marginal aktualisierte Neuauflage von „Mein Wald“, und hat damit auch weitgehende inhaltliche Überschneidung mit anderen Büchern von ihm (z.B. „Der eigene Wald“). Wer also eines dieser gelesen hat, braucht sich das Neue nicht zu kaufen und auch hier nicht weiterzulesen, es gibt bis auf ein paar bekannte Einzelthemen, (z.B. Eschentriebsterben) nichts Neues zu erfahren.

Für Wald- und Wohlleben-Neulinge ist „Mein erstes Waldstück“ ein gutes Einsteigerbuch, insbesondere für Leserinnen und Leser, die einen kleineren Wald erben, übernehmen oder kaufen möchten oder einfach interessiert sind. Die Beispiele im Buch werden häufig anhand von nur wenigen Hektar großen Parzellen dargestellt. Im Fokus liegt das Verständnis der Vorgänge im Wald und wie diese durch (waldbauliche) Maßnahmen beeinflusst werden.

Waldwissen, brauchbar vermittelt
Ein weites Themenspektrum mit Relevanz für „Neo-Kleinwaldbesitzer“ kommt zur Sprache. Von den Überlegungen beim Kauf eines Waldgrundstücks, den wesentlichen zu betrachtenden Eigenschaftes des Bodens und des Waldbestandes hin zu Beschreibungen von Baumarten, Zeigerpflanzen wie auch Methoden zum Verjüngen, Auszeichnen, Rücken, Durchforsten, Ernten, und Umwandeln von klassischen Fichtenwäldern. Ein eigenes Kapitel ist dem Thema der Gefahren, die der Wald ausgesetzt ist, gewidmet (Wildschäden und Einfluss der Jagdwirtschaft, Käfer, Pilze, Klimawandel, etc.).

Klare Empfehlung: „Mein erstes Waldstück“ von Peter Wohlleben bietet Waldwissen für die Praxis, ist für Laien lesbar und erfordert kein forstwirtschaftliches Knowhow. (Foto: Ulmer Verlag)

Wohlleben schafft es dabei ohne forstwirtschaftliche Komplexitäten auskommen, aber trotzdem die wichtigsten Fachbegriffe (z.B. Plenterwald vs. Altersklassenwald; Vorrats- vs. Erntefestmeter) einfach zu erklären – nicht jeder Kleinwaldbesitzer braucht ein wandelndes Lexikon zu Holzfeuchtegraden oder Formeln für die Forstbetriebsplanung sein. Das macht das Buch auch leichter lesbar als ein klassisches (forstwirtschaftliches) Sachbuch.

Beim inhaltlichen Tiefgang geht der Autor davon aus, dass der Waldbesitzer Durchforstung, Holzernte und –verkauf primär von Dienstleistern durchführen lässt, denn auf Themen wie Fällen und den Rückenvorgang selbst, respektive welches Werkzeug und Maschinen dafür wie eingesetzt werden, wie auch auf den Holzverkauf, geht er nicht im Detail ein. Des Weiteren ist es natürlich mit Blick auf Deutschland geschrieben, deswegen finden Spezifika zum in Österreich dann doch relevanteren Gebirgswald und Wirtschaften im steileren Gelände nur am Rande Notiz.
Zu diesen Themen gibt es aber auch eine Reihe anderer Bücher am Markt (z.B. „Forsttechnik für Kleinwaldbesitzer“, „Waldwirtschaft heute“, „Zeitgemäße Waldwirtschaft“).

Einfache, einprägsame Sprache
Das Markenzeichen von Peter Wohlleben ist seine Sprache, geprägt durch Metaphern aus dem täglichen Leben und ‚Vermenschlichung‘, die Zustände oder Vorgänge im Wald damit sehr plastisch näherbringen – manche davon könnte man als markige Sprüche bezeichnen.
Ein paar Beispiele:

  • „ein Baum ist wie ein prall gefülltes Warenhaus“ – an allen möglichen Nährstoffen für eine Reihe Organismen (Käfer, Pilze, etc.);
  • „ich finde, dass die Z-Baum Wirtschaft mit der Massentierhaltung vergleichbar ist“ – Aufzucht „ohne Eltern“, schnelles Wachstum, Ernte im Jugendstadium, Einsatz industrieller Verarbeitungsmethoden;
  • „gepflanzter Wald ist wie eine grüne Kolonne von Rollstuhlfahrern“ – gepflanzte Bäume haben häufig ein verkrüppeltes Wurzelsystem.

Kritik an Wohlleben: oft feige und uninspiriert
Wohllebens Sprache hat mittlerweile zu einem eigenen Diskurs unter Forstwissenschaftlern geführt. Ohne ins Detail zu gehen, ist primär festzuhalten: Wohlleben will gar keine wissenschaftlichen Werke veröffentlichen und der Erfolg gibt ihm Recht: Millionen verkaufte Bücherexemplare, womit sich trotz heutiger Themenvielfalt viele Menschen mit Ökologie, Wald und Naturschutz beschäftigen. Das bewusste Spiel mit der Verflechtung von Einsichten aus „wissenschaftlicher Sekundärliteratur, mündlichen Mitteilungen von Forstwissenschaftlern, eigenen Beobachtungen und darüber hinausgehenden Spekulationen“ (adaptiert nach Prof. Pierre Ibisch) spricht die Menschen an, solange es nachvollziehbar beschrieben ist. Der Rest ist natürlich ein gewisses Vertrauen in Wohllebens Aussagen, das er sich durch konsequente Authentizität erarbeitet – er lebt was er schreibt.

Gängige Sachbücher und v.a. die Standardwerke zur Waldwirtschaft sind allesamt für Experten verfasst.

Kritik an waldwirtschaftlicher Praxis
Nebst der sprachlichen Kritik, gibt es intensive inhaltliche Debatten zu Wohllebens Ansichten, Kritik kommt hier primär vom „forstwissenschaftlichen Establishment“. Da aber Peter Wohlleben viele Grundsätze der klassischen Forstwirtschaft zumindest in Frage stellt, muss das ja Widersacher auf den Plan rufen. Ein Beispiel: „Der Borkenkäfer ist keine Naturplage sondern er hilft waldbauliche Fehler aufzuzeigen“ – dazu muss man wissen, ein kerngesunder Baum kann sich gegen Käferbefall grundsätzlich wehren. Vorrausetzungen für einen kerngesunden Baum sind u.a. natürlicher Standort, aus Samen gewachsen (nicht verpflanzt / unterschnitten), von einem Mutterbaum ‚großgezogen‘, etc. Im weit verbreitenden Altersklassenfichtenwald sind diese Vorrausetzungen häufig nicht erfüllt.
Leider führt dieser Diskurs dazu, dass Passagen im Buch durchaus mal emotional sind, und implizit eher die fachlichen „Gegner“ ansprechen als die eigentliche Zielgruppe.

Am Ende bleibt es aber den Wohlleben-Kritikern freigestellt, ihrerseits ihre Sichten zu veröffentlichen. Wenn dies auch einer breiteren Öffentlichkeit sprachlich zugänglich ist, wird auch das Leser finden – auf ein derartiges Werk warte ich aber seit Jahren vergeblich (falls jemand eines kennt, bitte aufzeigen!). In Form von anonymen Petitionen, wie in Deutschland geschehen, ist es aber nur schlechte Stimmungsmache.

Ist Waldrand wirklich „überflüssig“?
Und damit zurück zum Buch selbst: Peter Wohlleben hat eine sehr klare und konsequente Vorstellung was „naturnah und nachhaltig bewirtschaften“ (der Untertitel des Buches) bedeutet, auf die er im Buch immer und immer wieder hinsichtlich der unterschiedlichen Aspekte zurückkommt. Er versucht möglichst nah an den Vorgängen im Urwald zu bleiben und einen sinnvollen Kompromiss mit der „Bewirtschaftung“, dem Geldverdienen mit (und auch ohne) Holz, zu finden. Als Referenz dient ihm der ursprüngliche Buchenwald in Europe. Damit macht er aber auch klar, dass Waldränder eine „überflüssige Kulisse“ sind (Waldränder sind nicht natürlich, wo sind im Amazonas die Waldränder?), dass Offenlandarten durch die Landwirtschaft zu schützen sind, respektive nach Windwürfen ohnehin genug Flächen hätten. Dass es hierzu durchaus sehr unterschiedlichen Sichten gibt, habe ich hier bereits an anderer Stelle besprochen.

Verkürzt zusammengefasst ist sein Ansatz: Buchen(misch)wald im Plenterbetrieb mit Naturverjüngung, wenigen und sachten Eingriffen im Winter, Rückegassen-Abstand von mindestens 40 Metern mit strikter Rückegassenpflicht für Fahrzeuge, motormanuelle Fällung, Rückung mit dem Pferd, respektive Rückezug ab Rückegasse. Dass hierbei weder Pestizideinsetz noch Kalkung und dergleichen in Frage kommen, ist selbstredend; dass dies in dieser Form im Steilgelände nicht vollständig funktioniert ist für Deutschland kaum relevant. Ob man auf dieser Basis auch profitabel wirtschaften kann, ist in der Literatur umstritten, in Wohllebens eigenem Revier aber Tatsache.
Wenn ich eine spezifische Kritik anbringen darf: Die Argumentation, warum gemäß seiner Hypothese Plenterung mit jedem Wald, also allen Baumarten(mischungen) funktioniert und die Umwandlung in jedem Stadium starten kann, finde ich persönlich zu dünn – da würde ich gerne mehr verstehen, bevor ich loslegen würde.

Auch für Laien lesbar
Er beschreibt aber auch andere Ansätze und deren Vor- und Nachteile wie Auswirkungen auf den Wald und das Holz. Im Einzelfall bleibt es natürlich jeder und jedem Einzelnen überlassen, für eine spezifische Gegebenheit die Bewirtschaftungsform zu wählen und damit auch zu entscheiden wie urwaldnah, naturnah, ökologisch, etc. man sein möchte (nicht jeder Vegetarier ist auch gleich Veganer). Der Wald mag dann am Ende auch anders aussehen als bei Wohlleben. Aber für ein gesundes Abwägen braucht es ein gewisses Verständnis der Optionen, und da schließt Wohlleben ganz klar eine Lücke. Standardwerke der Forstwirtschaft sind für Laien schwer lesbar (man ziehe sich mal „Waldbau auf ökologischer Grundlage“ rein) und behandeln den Plenterwald in der Regel nur „unter ferner liefen“. Durch Plenterwirtschaft-spezifische Bücher (da gibt es nur sehr wenige, z.B. „Das Plenterprinzip“, „Der Plenterwald“) muss man sich dann schon regelrecht durchkämpfen.

Warum es einfach lesbare Bücher wie sie Wohlleben bietet braucht: Es gibt nun mal sehr viele Kleinwaldbesitzer (40 Prozent des österreichischen Waldes ist Kleinwald unter 50 Hektar) und noch weitere, die es gerne werden möchten oder auch ungewollt werden (Erbschaft). Neben den forstlichen Ausbildungsstätten des Bundesforschungszentrums für Wald, den Waldbauernvereinen, forstlichen Dienstleistern, etc. ist Wohlleben somit ein Eckpfeiler zur Verbreitung von waldbaulichem Wissen an eine breitere Zielgruppe.

Ich kann daher nur empfehlen: Wohlleben lesen, es macht Spaß und man versteht am Ende mehr vom Wald.

„Mein erstes Waldstück“ von Peter Wohlleben ist im Ulmer Verlag erschienen.

 

Weiterlesen zum Thema Wald? – Hier suchen wir Antworten auf die Frage „Wie bio ist die Forstwirtschaft?“

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