Veranstaltung und Gegenveranstaltung prägten zuletzt die forstliche Diskussion in Deutschland.

Im Grunde genommen scheinen sich ja alle einig zu sein, dass der Wald einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann, sogar muss. Über das Wie wird aber jedenfalls in Deutschland heftig gestritten, auch angesichts der massiven Waldschäden der vergangenen Jahre. Dies zeigte auch so manche Diskussion am Nationalen Waldgipfel 2021 sowie umso mehr auf dessen »Gegenveranstaltung«, dem Nationalen Waldgipfel 2021. Dass es sich um zwei verschiedene Events von verschiedenen Veranstaltern handelt, die aber eins zu eins den gleichen Titel verwenden, spricht schon für sich. Der erste genannte Waldgipfel wurde im Juni primär digital vom forstwirtschaftlich zuständigen deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und dessen Ministerin Julia Klöckner (CDU) ausgetragen. Zu Zweiterem hatten die beiden Geschäftsführer von Wohllebens Waldakademie und Öko-Förster Peter Wohlleben selbst für Anfang August mit weitgehend persönlicher Teilnahme der Diskutierenden und Vortragenden eingeladen, durchaus bewusst als Gegenveranstaltung, weil aus ihrer Sicht die BMEL-Veranstaltung nicht der Brisanz des Themas und der akuten Situation gerecht wurde. Schauen wir uns dies also mal an.


Wohllebens Waldakademie
Wohllebens Waldakademie bietet Seminare, Ausbildungen und Erlebnisse zum Ökosystem Wald an, durchgeführt von WaldexpertInnen sowie Peter Wohlleben selbst.
wohllebens-waldakademie.de

Der Starförster Peter Wohlleben ist unter anderem Autor des international erfolgreichen Buches »Der lange Atem der Bäume«. Während die Relevanz seines Schaffens für mehr öffentliches Bewusstsein für das Ökosystem Wald schwer in Abrede zu stellen ist, ist das wissenschaftliche Fundament vieler von Wohllebens Aussagen regelmäßiger Kritik von Forstwirtschafts-, aber auch WissenschaftsvertreterInnen ausgesetzt.

Forstpolitikgipfel

Den ersten offiziellen Waldgipfel könnte man im Nachhinein auch präziser als Forstpolitik- und/oder Forstwirtschaftsgipfel bezeichnen, bei dem das Geldverdienen respektive das Verteilen und Empfangen im Vordergrund stand. Die Veranstaltung wurde politikgerecht ein paar Tage vor der dortigen Landtagswahl in dem von der CDU regierten Sachsen-Anhalt durchgeführt und bot dem sich zur Wiederwahl stellenden CDU-Ministerpräsidenten somit auch eine Bühne. Strukturiert war der Tag entlang der verschiedenen Interessensgruppen zu Forstpolitik und Forstwirtschaft (Holzanbau). InteressensvertreterInnen in Sachen Wald im eigentlichen Sinne, Klimaschutz, Umweltschutz oder Biodiversität haben hier keine prominente Rolle gespielt. Man hörte also neben der Ministerin und dem Ministerpräsidenten unter anderem die forstrelevanten SprecherInnen der Bundestagsfraktion, die forstrelevanten MinisterInnen oder StaatssekretärInnen aus verschiedenen Bundesländern oder Vertreter der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Forst (letzteres durchwegs Männer, die in Landesministerien arbeiten). Man hörte auch drei ausgewählten WissenschaftlerInnen zu, diese waren klar handverlesen, zum vorherrschenden Meinungsbild passend.

Jilia Klöckner beim Nationalen Waldgipfel 2021
Bundesministerin Julia Klöckner bei einer Waldbegehung vor dem digitalen Waldgipfel. Bild: BMEL/FlorianGaertner/photothek.net.

Da eine FSC- oder PEFC-Zertifizierung ausreicht, um die Förderung zu erhalten, hat sogar der Bundesrat bemängelt, dass dies keine Lenkungswirkung entfaltet.

Großteils ging es um (Eigen-)Lob für die Bundesministerin für das Verteilen von Fördergeldern infolge der massiven Waldschäden der vergangenen Jahre und ums Vorstellen eines neuen Fördermodells, das zusätzlich die CO2-Speicherung bei Nichtnutzung des Waldes oder die Nutzung von langlebigen Holzprodukten abgelten soll. Insgesamt also eine sehr geräuschlose, politisch meinungskonforme Veranstaltung. Dabei ist natürlich unbenommen, dass das Thema der Förderungen für den Wald grundsätzlich wichtig ist. Einzig in der Runde der Waldsprecher der Bundestagsfraktionen kam es zu einer echten Diskussion – und Widerspruch. Der Vertreter der Grünen hat hierbei das eben erwähnte Prinzip der (zu) leicht zugänglichen Förderungen scharf kritisiert, aus seiner Sicht im Wesentlichen eine reine »Flächenprämie«. Da eine FSC- oder PEFC-Zertifizierung ausreicht, um die Förderung zu erhalten, hat sogar der Bundesrat bemängelt, dass dies keine Lenkungswirkung entfaltet. Dazu muss man wissen, dass auch trotz PEFC-Zertifizierung ein flächendeckender Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (Bioziden) möglich und eine Polterbegiftung zur Borkenkäferabwehr gar nicht reglementiert ist. Auch das Pflanzen fremdländischer Baumarten ist möglich. Die zugehörige Reglementierung verlangt nur, dass es »… nicht zu einer Beeinträchtigung der Regenerationsfähigkeit anderer Baumarten … kommt« (PEFC-Standards). Da die VertreterInnen der damals noch regierenden Großen Koalition im Bundestag die Regierungspolitik unisono unterstützten, kam bei den Oppositionsmeldungen das Gefühl auf: /die müssen ja dagegen sein./ Beiträge mancher Oppositioneller blieben in der Qualität und Undifferenziertheit des FDP-Vertreters (»der Wolf hat seinen Lebensraum in Osteuropa und macht bei uns nur Probleme«).

Insofern passte auch das offensichtlich bereits vorverfasste und durch die Staatssekretärin im BMEL nur vorgelesene Schlusswort zu dem Tag, an dem sehr offensichtlich kein Diskurs erwünscht war.

Breites Meinungsspektrum – Echter Diskurs

Waldsterben 2.0
Diskussion Waldsterben 2.0: Bei Diskussionen in Wohllebens Waldakademie konnte es in der Sache schon mal heftig werden. Bild: Wohllebens Waldakademie.

Der Waldgipfel seitens der auch sogenannten »Waldrebellen« rund um Peter Wohlleben fand in Wohllebens Waldakademie und damit unter erschwerten Bedingungen statt. Die Waldakademie liegt in Wershofen, ganz in der Nähe des Ahrtals, das kurz vor der Veranstaltung von den heftigen Fluten betroffen war. Die Hochwasser in dieser und anderen Regionen Deutschlands haben aber auch wieder mal waldbauliche Fehler aufgezeigt, wenn es um die Wasserspeicherfähigkeit des Waldes geht; sie boten somit direkt eine Vorlage für den Gipfel. Das Event war anhand von Themen strukturiert – so ging es zum Beispiel um Nachhaltigkeit, Waldumbau, Holznutzung, Holzeinschlag in Schutzgebieten, Jagd und Artenvielfalt.

»Letztendlich wissen wir über den Wald sehr vieles nicht, weil es nicht erforscht ist und die Zusammenhänge im Ökosystem Wald zu komplex sind.«

Pierre Leonhard Ibisch

Die VeranstalterInnen haben wohl versucht, zu den meisten Themen das Meinungsspektrum abzubilden. Das ist leider nicht zu allen Themen gelungen, aber doch zu einigen, vor allem dank jener, die dediziert anderer Meinung als Peter Wohlleben sind und trotzdem in die Waldakademie gekommen waren, um sich einem Gespräch nicht zu verschließen. So kam es in zumindest fünf der Diskussionsrunden zu heftigem Schlagabtausch und Widerspruch, es kam zur Erarbeitung von Konsens und Dissens und man hat zumindest beim Thema des neuen, im Vorfeld heftig diskutierten Studiengangs »Ökologische Waldbewirtschaftung« festgestellt, dass es im bisherigen »Streit« gar nicht um Inhalte ging, sondern nur um den Umgang miteinander. Nicht nur bei ZuhörerInnen entsteht das Gefühl: Endlich reden da die Leute miteinander und nicht nur übereinander! Einer der Diskutanten hat dies sogar genau so ausgesprochen. Natürlich durfte die Politik auch hier nicht fehlen. Vertreten war die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sowie der grüne Co-Parteivorsitzende Robert Habeck (Peter Wohlleben zufolge hätte es keinen Sinn gehabt, Julia Klöckner einzuladen, da sie sich einer Diskussion mit Wohlleben & Co. grundsätzlich verweigern würde). Unabhängig von der Politik diskutierten hier im Kern UniversitätsprofessorInnen, Förster, VertreterInnen vom Deutschen Jagdverband sowie von Peta jeweils aus verschiedenen Meinungslagern – um nur ein paar Beispiele zu nennen. So war mit Christian Ammer, Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, auch einer der Wissenschaftler dabei, die beim BMEL-Event vorgetragen hatten. Leider gab es keineN VertreterIn der privaten WaldbesitzerInnen vor Ort; das hätte die eine oder andere Diskussion sicherlich noch bereichert.

Das ökohumanistische Manifest
Pierre Leonhard Ibisch analysiert gemeinsam mit Jörg Sommer in seinem neuen Buch die aktuellen globalen Probleme und hebt damit die Diskussion auf eine Ebene darüber, indem er der traditionellen menschenzentrierten Gedankenwelt die von der Natur ausgehende Philosophie des Ökohumanismus entgegensetzt.

Interessant wurde es zum Beispiel beim Thema Waldumbau: Ulrich Schraml von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg vertritt als einer von vielen der deutschen Forstzunft die Meinung, man müsse auf Schadflächen aktiv pflanzen, wenn man mit dem Wald wieder Geld verdienen möchte, denn sonst kämen von selbst wieder nur vom Borkenkäfer und der Trockenheit gefährdete Fichten nach. Dagegen kann Pierre Leonhard Ibisch, Biologe und Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, belegen, dass auch auf ehemaligen Fichtenplantagen durch Naturverjüngung Laubmischwälder entstehen können (nicht zwingend immer und überall, aber es funktioniert). Insofern hält er es für sinnvoll, die Natur erst mal »machen zu lassen« und erst, wenn man merkt, dass sich die Natur auf dem betreffenden Gebiet nicht selbst regulieren kann, einzugreifen. Diskursiv wird es auch, wenn von den einen Totholz als gefährliches Zeug verteufelt wird, trotz Konsens, dass es der schnellen Wiederbestockung der Flächen dienlich ist. Dann erzählt etwa Knut Sturm, Oberförster im Stadtwald Lübeck, von seiner überdurchschnittlich guten Unfallstatistik – obwohl er mehr als das Dreifache des deutschen Durchschnitts an Totholz in »seinen« Wäldern stehen hat – und kann somit belegen, dass sich das in der Praxis bewährt hat. Auch beim Thema Jagd hinterfragt Knut Sturm grundsätzlich und schlägt vor, als ersten Schritt einmal von »Wildtiermanagement« statt von Jagd zu sprechen. Und dann die Themen Wildtiermanagement sowie Wald und Forst in einem gemeinsamen Ökosystemansatz und diesem entsprechenden Gesetz abzubilden, statt ständig separat die FörsterInnen auf Basis des Forstgesetzes gegen die JägerInnen auf Basis des Jagdgesetzes »kämpfen« zu lassen.

Naturwald Akademie
Die Naturwald Akademie mit einem Team rund um den Oberförster des Stadtwalds Lübecks, Knut Sturm, berät und unterstützt bei ökologischer Waldbewirtschaftung, neben eigener Forschung und Bereitstellung von Waldwissen.
naturwald-akademie.org

Zwei interessante Tage, an denen man als ZuhörerIn auch Neues über den Wald lernen konnte, mündeten in einem Vortrag von Professor Ibisch über das Nichtwissen und den Umgang damit. Denn letztendlich wissen wir über den Wald sehr vieles nicht, weil es nicht erforscht ist und die Zusammenhänge im Ökosystem zu komplex sind. Wie berücksichtigen aber die PraktikerInnen im Wald diesen Umstand? Es scheint: primär zu wenig bis gar nicht.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die neue Regierung zusammenrauft, eine Politik für Wald und Forst sowie Umwelt- und Klimaschutz aus einem Guss zu machen, wie das Robert Habeck in seiner Keynote Speech in der Waldakademie gefordert hat. Einer insgesamt gemeinsamen Diskussion, dem Miteinander- anstatt nur Übereinander-Reden auf noch breiterer Basis wäre das durchaus dienlich. Und dem Wald wäre es jedenfalls zu wünschen.

BIORAMA #76

Dieser Artikel ist im BIORAMA #76 erschienen

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