Respekt und Abstand

Wildschweine begegnen uns beim Wandern, dringen aber auch in Großstädte vor. Was tun, wenn einem ein Muttertier mit Frischlingen begegnet?

Eine Bache mit ihren Frischlingen.
Weit verbreitet, aber mit Vorsicht zu beobachten: Wildschweine. Gerade Frischlinge führende Bachen sind nötigenfalls wehrhaft. Bild: Daniela Fett.

Wie das Wildschwein zu seinem Ruf kam, besonders gefährlich zu sein, ist Anneli Noack immer noch ein Rätsel. Eine Erklärung dafür hat die Forstingenieurin trotzdem: »Es ist ein beeindruckendes Muskelpaket.« Noack ist Betriebsleiterin des »Wildwald Vosswinkel«, dem frei zugänglichen Teil eines historischen Jagdgatters im Sauerland. Dort lebt eine Vielzahl von Wildtieren, doch das Schwarzwild – wie die Wildbiologie die wilden Vorfahren der Hausschweine nennt – hält sie für »die faszinierendste, intelligenteste Art, die wir in Europa überhaupt haben«. Und Anneli Noack weiß wie wenige sonst, wovon sie spricht: 2011 zog sie drei verwaiste Frischlinge auf, wilderte die Tiere später aus und begleitete sie sechs Jahre hautnah als Teil einer zwanzig Sauen zählenden Rotte. »Von sich aus sind Wildschweine überhaupt nicht angriffslustig und wenn sie wo gelernt haben, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht, dann flüchten sie auch nicht«, sagt Noack. Vorsicht ist trotzdem angebracht. Denn als Profiteur des Klimawandels mit seinen milden Wintern vermehrt sich Schwarzwild stark – und mittlerweile ganzjährig. Und dank einer jährlichen Reproduktionsrate von 330 Prozent dringt es mittlerweile sogar in Vorstädte vor. Gerade wenn die  Bachen kleine Frischlinge führen, kennen die Muttertiere keinen Spaß. Sehen sie ihren Nachwuchs in Gefahr, sind sie überaus wehrhaft. »Egal, wo es uns begegnet: Schwarzwild lassen wir immer Vorfahrt. Auf keinen Fall gehen wir darauf zu oder werfen ihm gar Brot hin.« Am sichersten ist ein Rückzug oder das großräumige Umgehen der Rotte.

»Wie auch immer ein Wildschwein reagiert, es ist überlegen. Es mag plump erscheinen, ist aber unglaublich wendig und schnell.«

Anneli Noack, Forstingenieurin im Wildwald Vosswinkel

»Kommen Frischlinge neugierig auf uns zu, ist auf jeden Fall ein Rückzug angesagt, sonst geht die Bache dazwischen«, rät Noack. Das schlimmste Fehlverhalten ist es, ein Jungtier hochzuheben: »Das ist komplett wider die Natur eines Frischlings. Er fängt fürchterlich zu quieken an und dieser Angstschrei bringt die Mutter auf den Plan. Dann wird es wirklich gefährlich.« Ein Angriff sehe immer gleich aus: »Erst überrennt einen die Bache mit ihren 70, 80 Kilo Körpergewicht, dann dreht sie sich blitzschnell um und rammt einem ihre spitzen Zähne in die Schenkel.« Zu gebührendem Respektabstand rät auch Egbert Gleich, Wildbiologe und Wildschweinexperte bei der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft: »Distanz ist auch beim Fotografieren oder Filmen geboten. Ein gesundes Tier verfügt zwar über einen natürlichen Feindvermeidungsreflex. Man weiß aber nie, ob es sich nicht vielleicht um ein von einem Verkehrsunfall oder Schuss verletztes Tier handelt, das anders reagiert.«

Unmissverständliche Drohgebärden einer Bache: aufgestellte Ohren und Schwanz sowie hochgestellte Nackenborsten. Bild: Daniela Fett.

Beide ExpertInnen raten, besser auf frequentierten Wegen zu bleiben. »Wirklich gefährlich sind Bachen nach der Geburt«, weiß Anneli Noack, »dafür suchen sie sich aber einen ruhigen Ort. Wenn ich unbedarft einem Wildwechsel ins Dickicht hinterhertripple und ein, zwei Meter an ihrem Wurfkessel vorbeikomme, womöglich noch mit Hund, dann nimmt eine Bache, die vielleicht noch Schmerzen von der Geburt hat, keinerlei Rücksicht, zeigt kein Warnverhalten und greift an.«

Das Buchcover von «Unter Wildschweinen» von Anneli Noack.

Buchtipp

»Unter Wildschweinen. Meine Jahre als Frischlingsmutter im Schwarzwildrevier«,

Ulmer Verlag, 2018.

Hier kann man nachlesen, wie man sich zu verhalten hat, wenn einem sonstige Tiere auf Spaziergängen oder Wanderungen über den Weg laufen.

BIORAMA #84

Dieser Artikel ist im BIORAMA #84 erschienen

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