Wie die Landwirtschaft auf ihren Burnout zusteuert

Bild: Bettina Fürst-Fastré

Bild: Bettina Fürst-Fastré

Die deutsche Journalistin und Autorin Tanja Busse hat ein lesenswertes Buch über Intensivtierhaltung geschrieben.

Die Autorin kommt selbst vom Bauernhof. Würde man das in ihrem neuen Buch nicht ohnehin erfahren, man müsste es wissen, um zu verstehen, wie eine der profiliertesten Agrar-Journalistinnen Deutschlands ein Werk verfassen kann, das gleichermaßen anprangernd wie verständnisvoll beschreibt, welch fragwürdiges Business die Landwirtschaft ist. »Die Wegwerfkuh« lautet der Titel. Das soll provokativ wirken. Allerdings funktioniert diese Provokation 2015 wohl nur noch bei denjenigen, an denen die zeitgenössische Agrardebatte bislang vorübergegangen ist. Wer das Buch in die Hand nimmt, steckt spätestens nach wenigen Seiten unweigerlich mittendrin im Diskurs um die Frage, welche Landwirtschaft sich wer von wem zu welchen Bedingungen wünscht.

Was eine Kuh zur Wegwerfkuh macht, wird schnell klar. Allerdings ist das Thema weiter gefasst, als es der Titel suggeriert. Der Bogen der Argumentation spannt sich von diversen – überwiegend norddeutschen – Kuhställen über Geflügelfarmen und Schweinemastanlagen bis nach North Carolina und Australien.

 

 

Biorama: Sie beschreiben einige ziemlich befremdliche Auswüchse des Agrarsystems. Sind sie eigentlich noch überrascht von den Zuständen in der industrialisierten Landwirtschaft, oder wundert sie inzwischen nichts mehr? 

 

Busse: Doch! Es hat mich sehr befremdet, dass Milchbauern in Australien ihre fünf Tage alten Bullenkälber ganz legal erschlagen dürfen, wenn kein Schlachthof in erreichbarer Nähe ist. Und dass dort über Transportzeiten von 20 Stunden ohne Wasser für Kälber diskutiert wird. Dabei haben ja gerade Milchbauern – bei aller Intensivierung – oft ein enges Verhältnis zu ihren Tieren. Und was mich noch schockiert hat, ist die Schweinemast in den USA. In North Carolina, einem der Zentren der Schweinefleischproduktion, dürfen die Mäster ihre Gülle einfach in riesige Lagunen kippen, die bei Hochwasser überlaufen. Die Gülle wird von dort auf viel zu kleine Felder gespritzt, die die unglaublichen Mengen überhaupt nicht aufnehmen können.

 

Das sind Entwicklungen, die nicht nur ökologisch, sondern zumindest langfristig auch ökonomisch ziemlich fragwürdig sind. Wer sind eigentlich die großen Gewinner von kurzfristigen Profiten, wie sie die moderne Landwirtschaft abwirft? 

 

Kühe, die auf der Weide stehen und Gras in Milch verwandeln, brauchen nicht viel. Hochleistungskühe dagegen können ihre gigantischen Milchleistungen nur mit viel Input erreichen. Davon profitieren Futtermittelimporteure, Händler und Trader, Stallanlagenbauer, die Produzenten von Melkcomputern, Pflanzenschutzmitteln, Veterinärpharmaka, Desinfektionsmitteln und Futterzusatzstoffen.

 

Landwirte stehen heute unter enormem Druck, ihre Betriebe zu modernisieren, zu wachsen und offenbar immer an den Belastbarkeitsgrenzen von Menschen,Tieren und Böden zu arbeiten, und das alles unter finanziellen Risiken. Wieso sind es trotzdem die Landwirte selbst, die diese Drucksituation für den einzigen Weg der Landwirtschaft halten? 

 

Ich habe Kubikmeter von landwirtschaftlichen Fachzeitschriften gewälzt, und mein Eindruck ist, dass die herrschende Meinung der Landwirtschaftskammern, Berater, Verbände und auch der nicht-grünen Politikern ganz eindeutig ist: Die Intensivierung ist der einzig mögliche Weg. Abweichler und Kritiker werden in der Regel belächelt oder totgeschwiegen. Und wer als Landwirt eine halbe Million in ein intensives Produktionssystem investiert hat und dann Zweifel bekommt – was soll der denn sagen? Der kann nicht mehr zurück.

 

Viele Landwirte belächeln auch die modernen Konsumenten und finden die Vorstellung von glücklichen Tieren reichlich naiv. Es wirkt so, als würden in Agrarkreisen überhaupt nur die Ansichten von Bauern und Funktionären etwas gelten. Wieso besteht diese Kluft zwischen Landwirten und Verbrauchern? 

 

Die urbanen Konsumenten kennen meist nur den Umgang mit Haustieren und schließen von Pony und Katze auf die Tiere im Stall – aus biologischer und tierrechtlicher Sicht ist das auch völlig berechtigt, denn natürlich sind Schweine genauso sozial und intelligent und schmerzempfindlich wie Haushunde. Die Landwirte dagegen haben die Selbstverständlichkeit, dass man Tiere für seine Zwecke nutzen und töten soll, quasi als familiäres Erbe übernommen und sind dann in den Intensivierungssog geraten. Aus ihrer Sicht ist die Kritik an den »naiven Großstädtern« auch berechtigt: Sie werfen den Landwirten Tierquälerei vor, gehen aber trotzdem zum Discounter und kaufen billiges Fleisch. Das geht eben auch nicht!

 

Bild: Flickr, Kuhstall_Biogas Tour, CC BY 2.0

Bild: Flickr, Kuhstall_Biogas Tour, CC BY 2.0

Auch innerhalb der Landwirtschaft gibt es Konflikte. Zwischen moderner Intensiv-Landwirtschaft und ökologischer Landwirtschaft tobt eine Art Kulturkampf. Gibt es eigentlich auch so etwas wie einen Mittelweg? 

 

Der Milchbauer Hauke Jaacks, den ich in meinem Buch porträtiere, schafft so etwas: Er züchtet Hochleistungskühe, aber setzt dabei seine eigenen Maßstäbe: Für ihn dürfen die Kühe keine »Hungerhaken« sein, wie es lange das züchterische Ideal war, sondern sie sollen gesund und gut genährt aussehen. Und er hält einen engen persönlichen Kontakt mit seinen Kühen für unerlässlich. Er lässt sie auch auf die Weide. Aber Kuh-Liebhaber wie er, die ihr Leben im Stall verbringen, darf man nicht zum Maßstab für alle machen.

Aber ich glaube, viele Landwirte versuchen, die Haltungsbedingungen ein bisschen zu verbessern. Sie experimentieren mit Spielzeug im Stall oder versuchen, ihre Hühner etwas langsamer zu mästen, weil das weniger Stress für die Tiere bringt. Insgesamt aber glaube ich, dass solche kleinen Veränderungen nicht weit genug gehen. An der Ökologisierung der Landwirtschaft führt kein Weg vorbei.

 

Und ist eine solche Agrarwende bei den geltenden gesellschaftlichen Wachstumsvorstellungen und -erwartungen überhaupt denkbar? 

 

Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat im März ein Gutachten veröffentlicht: »Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung«. Darin steht tatsächlich, was sonst nur Tier- und Umweltschützer so deutlich gesagt haben: So wie jetzt geht es nicht weiter! Diese Deutlichkeit hat viele überrascht, zumal der Beirat durchaus nicht aus Rebellen und TIerrechtlern besteht.

 

Vielleicht kann man das als Hoffnungszeichen sehen? 

 

Die noch vorherrschende naive Vorstellung vom ewigen Wachstum wird ohnehin bröckeln, wenn die multiplen Krisen und Funktionsstörungen des Kapitalismus unser Alltagsleben weiter verändern. Finanzkrise, Peak Oil, Klimawandel und der Kulturkampf um die Industrialisierung der Landwirtschaft – das alles hängt ja mit dieser Idee von Wachstum und Globalisierung und neoliberalen Reformen zusammen. Aber es ist gut, dass es Pioniere gibt, die im Kleinen vormachen, wie es besser, gerechter und ökologischer gehen könnte. Auf ihr Wissen und ihre Erfahrung kann die Politik zurückgreifen, wenn sie bereit ist, auf die multiplen Krisen, wie die Forscher sagen, zu reagieren.

 

Hoffen sie bei der Agrarwende auch auf die Macht der Verbraucher? Immerhin sind es die selben Verbraucher, die mit ihrer Nachfrage bisher einen Markt für Dumping-Lebensmittel schaffen. 

 

Ja, es ist schwer, nicht zynisch zu werden. Aber man darf deswegen auf keinen Fall den Schwarzen Peter hochhalten, die Schuldfrage klären und daraus Untätigkeit ableiten. »Die Verbraucher kaufen billiges Fleisch, also produzieren wir das für sie«, argumentieren viele Landwirte. So aber kommen wir nicht weiter. Es muss klar sein, dass alle Akteure Verantwortung tragen: Konsumenten, Handel, Produzenten und Erzeuger und die Politik sowieso. Und je mehr Macht ein Akteur hat, desto mehr Verantwortung darf man von ihm erwarten. Jetzt, in Zeiten eines großen Protests gegen Agrarindustrie und Massentierhaltung, sollte die Politik mutig vorangehen und die Agrarwende in Angriff nehmen. Dabei sollte sie die Bauern mitnehmen und ihnen Alternativen bieten und gleichzeitig den Konsumenten erklären, warum es jkein billiges Fleisch mehr geben darf.

Aber es gibt möglicherweise noch einen Weg: Wir haben in Deutschland ein gutes Tierschutzgesetz, das festlegt, dass Tiere nicht ohne vernünftigen Grund getötet werden dürfen. Was dieser vernünftige Grund sein könnte, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen – und auch schon Urteile, die das Töten frisch geschlüpfter Küken verbieten. Ich glaube, auch auf dem juristischen Weg können wir viel erreichen.

 

Und wird diese nächste Agrar-Revolution gelingen, oder sind Sie eher pessimistisch? 

 

Deutschland ist ja erst nach dem Unfall in Fukushima aus der Atomkraft ausgestiegen. Und ich höre immer wieder, dass die Politik erst auf Katastrophen reagiert. Wäre ja schön, wenn es bei der Agrarwende anders ginge.

 

Tanja Busse: »Die Wegwerfkuh« (Blessing Verlag)

978-3-89667-538-5

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