Siegel für Produkte ohne Plastik kommt

Nicht bei allen Produkten ist auf den ersten Blick erkennbar, ob sie Kunststoff enthalten. Ein Unternehmen namens Flustix hat daher ein Siegel entwickelt und auf den deutschen und den österreichischen Markt gebracht. Ab Herbst werden erste Produkte mit dem Plastikfrei-Siegel in den Supermarktregalen zu finden sein, so Malte Biss, Gründer von Flustix. Im BIORAMA-Interview erklärt er, wie er das Siegel auf den Markt gebracht hat und warum daraus dann doch vier Siegel geworden sind.

Bild: Flustix

BIORAMA: Ein Siegel, das ausweist, ob ein Produkt plastikfrei ist, leuchtet ein. Aber warum braucht es drei Subsiegel? Bedeutet einzig das petrolfarbene Flustix-Siegel, dass ein Produkt gar kein Plastik enthält?

Malte Biss: Unser ursprünglicher Ansatz war das Siegel „Flustix Plastikfrei“, womit wir im Dezember 2017 gestartet sind. Unser Anspruch ist es aber, so viel unnötiges Plastik wie möglich einzusparen. Die drei weiteren Siegel sind im Zuge der „Begriffsdefinition Kunststofffrei/Plastik“ entstanden. Es gibt viele Produktinhalte, die plastikfrei sind oder plastikfrei hergestellt werden könnten, bei denen aber gesetzlich festgelegt ist, dass sie in Plastik verpackt werden müssen – beispielsweise im medizinischen Bereich, um Sterilität zu gewährleisten. Um diese auszuzeichnen, haben wir das Siegel „Flustix Produktinhalt ohne Plastik“ entwickelt.

Umgekehrt ist es bei Lebensmitteln, die von Rechts wegen kein Plastik enthalten dürfen, aber durchaus kunststofffrei verpackt sein können. Das Flustix-Siegel für plastikfreie Verpackungen soll daneben Hersteller von plastikhaltigen Produkten auszeichnen, die auf Plastikverpackungen verzichten, die ohnehin unmittelbar nach dem Auspacken der Ware vom Verbraucher weggeworfen werden. Ein Beispiel sind Handy- und Computer-Hersteller. Über den Kosmetikbereich fließen jährlich ungefiltert über 500 Tonnen reines Plastik durch deutsche Abflüsse und gelangen so in unseren Trinkwasserkreislauf oder in die Meere. Hier schafft das Siegel „Flustix Produktinhalt ohne Mikroplastik“ die Lösung.

Der Name „Flustix“ ist eine auf den Wörtern „free of plastics“ basierende Wortschöpfung.

Die Erweiterung des Siegels um einzelne Bereiche eines Konsumproduktes soll es so ermöglichen, zumindest in jenen Bereichen zu Plastikverzicht zu motivieren, wo dies möglich ist, auch wenn dadurch nicht das gesamte Produkt inklusive Verpackung plastikfrei wird.

Welche Stoffe umfasst das Verbrauchersiegel? Anders gefragt: Was ist für Flustix „Plastik“?

Gute Frage, mit der wir auch wir gestartet sind. Denn heutzutage ist längst nicht mehr alles plastikfrei, was plastikfrei erscheint. Wenn wir kunststofffreie Produkte leicht und schnell für den Konsumenten erkennbar machen wollen, dann muss erst einmal festgestellt sein, was Plastik und somit Plastikfreiheit ist.

Dafür haben wir über RAL, das Deutsche Institut für Kennzeichnung und Gütesicherung (vergleichbar mit der ÖQA „Österreichische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Qualität“) eine wissenschaftlich fundierte Definition des Begriffes „kunststofffrei/plastikfrei“ in über 50 Fach- und Verkehrskreise zur Bescheidung gesendet, und deren Anmerkungen wiederum eingearbeitet. So haben wir mit allen betroffenen Verbänden, NGOs, Ministerien und Kreisen der Wirtschaft diese Definition in über einem Jahr Arbeit erstellen können. Diese ist für jeden auf unserer Homepage einsehbar. Flustix ist eine Chance für die Wirtschaft, klar und erkennbar die Nachfrage nach geprüft plastikfreien Produkten zu bedienen. Alle, Hersteller, Handel und Konsument gewinnen also, und am meisten die Umwelt.

Und wie würden Sie das Ergebnis für den Laien zusammenfassen?

Zum ersten Mal gibt es anerkannte und geprüfte Klarheit darüber, welches Produkt plastikfrei oder plastikreduziert ist. So hat endlich jeder erstmalig die zuverlässige Möglichkeit, selbst und sicher zu entscheiden, was er kaufen möchte.

Plastikmüll auf den Seychellen. Bild: Flustix.

 

Warum bedeutet plastikfrei nicht 100% plastikfrei?

Kunststoffe wurden in den letzten Jahrzehnten so inflationär und sorglos von uns verwendet, dass diese überall in unserem Leben und Alltag zu finden sind. Da wir die Kreislaufwirtschaft befürworten, z. B. bei Papier und Kartonage, mussten wir auf 99,5 Prozent gehen. Ansonsten könnten wir keinen Recyclingkarton mehr als Verpackung auszeichnen, denn im Recyclingprozess können Mikroplastikplastikpartikel oder Klebereste nicht ausgefiltert werden. Die maximal 0,5 Prozent dürfen aber einzig durch Kontaminationen bedingt sein.

Wie wird mit kompostierbaren Kunststoffen umgegangen?

Kompostierbare Kunststoffe sind leider bisher meist nur unter industriellen Kompostierbedingungen erprobt und werden beim allgemeinen Kompostprozess ausgefiltert und lediglich verbrannt. Insofern lehnen wir deren Einsatz in Produkt oder Verpackung noch ab – mehr dazu finden Interessierte auf unserer Homepage unter „Plastikfrei“.

Ist Styropor – etwa in der Verpackung eines Produkts – miterfasst?

Styropor welches Teil einer Verpackung ist, ist ein Ausschlusskriterium für das Siegel plastikfreie Verpackung. Ja, Styropor wird ganz klar als Kunststoff behandelt und ebenso nach Analyse gewertet.

Inwieweit wird auch die Verpackung, die in der Transportlogistik, eingesetzt wird, berücksichtigt? Die sieht der Konsument ja oft gar nicht.

Der Transport ist aus dem Verfahren ausgeschlossen, wie es auch extra in der Definition aufgeführt ist. Warum? Im Transportwesen kann Kunststoff einen großen Dienst leisten, nämlich CO2 einsparen. Hier betonen wir nur immer wieder, dass wir den Mehrweg des eingesetzten Plastiks fördern wollen und zum Beispiel Transportkisten mehrfach genutzt werden – da sind wir auf einem guten Weg. Auch in der Medizin, der Forschung oder bei der Sicherheit kann derzeit nicht auf Kunststoff verzichtet werden. Wir wollen Plastikmüll reduzieren, da wo es Sinn macht und nicht den wertvollen Werkstoff Plastik stigmatisieren. Das ist uns wichtig.

Malte Biss, Gründer von Flustix. Bild: Flustix.

Wie langwierig und aufwendig ist der Prozess, ein solches Siegel auf den Markt zu bringen?

Am Anfang stand unsere Idee: die Umwelt zu schützen, indem wir den Plastikverzicht wirtschaftlich interessant machen – durch ein Siegel. Es braucht einen griffigen Namen, ein Logo mit Wiedererkennungswert. Wichtig war es, im nächsten Schritt die Glaubwürdigkeit sicherzustellen. Ein wasserdichtes Prüfsystem ist unerlässlich. Mit der Wessling GmbH hat Flustix dafür einen kompetenten und international akkreditieren Audit-Partner gefunden.

Außerdem ist es essenziell, den Dialog zu suchen – das Team von Flustix ist auf das Umweltministerium und das Umweltbundesamt zugegangen. Bei beiden standen die Türen weit offen und man hat sich Zeit für unsere Idee genommen. Sobald die Idee fundiert stand, ging es an die rechtlichen Grundlagen: Verträge mussten aufgesetzt und AGBs verfasst werden. Das erforderte lange Telefonate mit den Vertragspartnern sowie viel kleinteilige Anwaltsarbeit unserer Kanzlei Arnecke Siebeth Dabelstein, bis am Ende die Einigung stand.

Das heißt: Sie die Überprüfung der Standards nicht selbst durchführen, mussten Sie damit ein Institut beauftragen? 
Ja, denn ohne unabhängige Partner wie Flustix sie hat, kann kein seriöses und glaubwürdiges System existieren. Bei Flustix gibt es drei Prüfeinheiten, was die Unabhängigkeit, Transparenz und Glaubwürdigkeit garantiert. Gemeinsam mit unseren Partnern erarbeiteten wir wie eingangs beschrieben für das neue Siegel eine Definition des Begriffes „kunststofffrei/plastikfrei“, die es bis dahin weltweit noch nicht gab, und garantieren so ein rein auf Prüfkriterien ausgerichtetes unabhängiges System. Selbstverständlich wurden auch die Vertreter der Kunststoffindustie mit ihrem konstruktiven Feedback einbezogen und berücksichtigt. Ist alles geregelt und rechtlich abgesichert, muss das Siegel auf den Markt gebracht werden und bekannt werden. Dabei geht viel über den persönlichen Kontakt, aber auch der Aufbau einer verständlichen und transparenten Website ist wichtig.

Gibt es auf anderen Märkten schon vergleichbare Siegel oder gab es ein anderes Vorbild?

Flustix ist das erste und das einzig seriöse Siegel für Plastikfreiheit auf dem Markt.
Es ist zwar mittlerweile in Großbritannien ein Siegel auf dem Markt. Dieses besitzt jedoch keine Vergabebasis.

Bild: „Küste gegen Plastik“, Jennifer Timrott für Flustix.

Was heißt das? 

Es wird hier nicht definiert, was „Plastik“ alles umfasst. Es liegt kein Zertifizierungsprogramm zugrunde und es steht keine unabhängige Institution dahinter. Und es zeichnet sogar Biokunststoffe als kunststofffrei aus, was wir als problematisch erachten.

Soll das Siegel Flustix künftig auch auf den britischen Markt?

Um so viel wie möglich zu erreichen, schließen wir den internationalen Markt langfristig nicht aus.

Wem gehört Flustix und wie finanziert sich das Unternehmen?

Flustix gehört meiner Frau, Julia, und mir. Bisher wurde die Flustix-Initiative rein aus privaten Mitteln finanziert, ohne öffentliche Gelder und ohne Gelder aus Unternehmen, um die Unabhängigkeit zu wahren. Wir hoffen, dass sich die Flustix-Initiative eines Tages aus Gebühren selbst trägt.

Die Gebühren (die ja dann von den Unternehmen kommen, die die Produkte herstellen) beeinträchtigen die Unabhängigkeit nicht?

An Flustix gehen außer der Bearbeitungsgebühr von 100 Euro keinerlei direkte Zahlungen – egal welches Produkt sich prüfen lässt. Alles Finanzielle darüber hinaus liegt bei RAL e.V., dem Institut für Kennzeichnung und Gütesicherung, die unter anderem auch den Blauen Engel oder die Siegel der Stiftung Warentest vergeben. Es wird eine klare Trennung von Amt und Mandat praktiziert. Prüfung und Vergabe basieren auf Fakten seitens öffentlich anerkannter und akkreditierter Institutionen und sind somit absolut unabhängig und überparteilich. Das macht ja unser System so glaubwürdig, transparent und vertrauenswürdig.

Was kostet eine Lizenz und wie lange ist sie gültig?

Für diese Fragen – alle finanziellen Fragen – ist einzig unser Logo- und Lizenzpartner, das Institut für Kennzeichnung und Gütesicherung, RAL e.V., zuständig. RAL stellt auf seiner Homepage hierzu alle Informationen absolut transparent zur Verfügung. Flustix hat eine Vision und Mission und will Plastikmüll reduzieren. Um uns darauf voll und ganz zu konzentrieren, haben wir alles andere an die unabhängige Institution RAL abgegeben.

Gibt es schon erste Produkte, die das Siegel tragen?

Derzeit befinden sich mehrere Produkte in der Prüfung. Wenn die Laboruntersuchungen bestätigen, dass sich diese Produkte für das jeweilige Siegel qualifizieren, also plastikfrei sind, können die Hersteller bei unserem Logo- und Lizenzpartner RAL e.V. die Nutzung des Flustix-Siegels beantragen und dann final auf dem Produkt anbringen. Wir rechnen damit, dass das etwa im Herbst 2018 soweit sein wird.

Wie sieht das mehrstufige Prüfmodell anhand eines Produkts aus und wie oft wird das wiederholt? Werden auch nachträgliche Stichproben durchgeführt?

Will ein Hersteller sein Produkt mit dem Siegel kennzeichnen lassen, so muss er je zwei originalverpackte Produkte bei uns und unserem unabhängigen Partnerlabor Wessling einreichen. Im Labor wird das Produkt dann mit den aktuellsten Analyseverfahren der Labortechnik auf Kunststoffe überprüft. Die Untersuchung und das Ergebnis dienen schließlich als Entscheidungsgrundlage für die Vergabe des Siegels, welches ausschließlich durch unseren Logo- und Lizenz-Partner RAL vergeben wird.

Bild: „Küste gegen Plastik“, Jennifer Timrott für Flustix.

Die zertifizierten Produkte werden in alle zwei Jahre einer Analyse durch das Prüflabor unterzogen. Daneben finden unangekündigte „Mystery Shopping“-Tests statt, im Rahmen derer die Produkte ebenfalls überprüft werden. So wird kontinuierlich die Einhaltung aller Flustix-Standards von unserem unabhängigen Laborpartner kontrolliert.
Zugleich sondiert unser Logo- und Lizenz-Partner den Markt, um den Missbrauch des Siegels auszuschließen.

Warum hat man sich für dieses Institut entschieden und wie viele Flustix-Mitarbeiter sind in das Prüfverfahren eingebunden?

Unser Prüfpartner Wessling ist führend in der Kunststoffanalyse, ist unter anderem auf EU-Ebene an unterschiedlichen Forschungsprojekten und an unabhängigen Kommissionen beteiligt, die sich gezielt mit Kunststoffanalysen beschäftigen. Insofern ist Wessling der kompetenteste und unabhängigste Partner, der derzeit in diesem Bereich europaweit zur Verfügung steht – und genießt im Übrigen den besten Ruf international.

Einstellung der Deutschen zu Plastik. Quelle: Flustix.

Wie schätzen Sie die Konsumenten ein: In welchen Bereichen würden Produkte weniger gekauft, wenn klar ersichtlich wäre, dass sie aus Plastik oder mit Plastik hergestellt sind?

Aus Studien wie der Kunststoffstudie des Marktforschungsinstituts Kantar TNS geht klar hervor, dass Produkte eher gekauft werden, wenn sie plastikfrei sind. Bereits mehr als zwei Drittel der Konsumenten (71 Prozent) achtet beim Kauf von Produkten darauf, Verpackungsmüll aus Plastik zu vermeiden. Jeder Dritte würde für einen reduzierten Kunststoffanteil in Produkt oder Verpackung sogar einen höheren Warenpreis akzeptieren. Für Unternehmen bietet sich daher mit unseren Flustix-Siegeln die Chance, ihre Produkte positiv auf dem Markt zu positionieren und gegen Mitbewerber hervorzustechen.

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