Wie transportiert man eine Sense mit der U-Bahn?

Im Kampf gegen Artenschwund und Klimakrise erweist sich die Sense als wirksames Werkzeug.

Bild: Senserei/Ewald Fohringer.

Es ist nicht lange her, da dachte man in Roßleithen darüber nach, die Sache ganz bleiben zu lassen. Seit 1540 werden dort in der Schmiede von Franz de Paul Schröckenfux Sensen hergestellt. Auch ein halbes Jahrtausend später sind die Qualitätssensen aus Oberösterreich – bekannt als »Austrian Scythes« – weltweit gefragt. Die Nachfrage geht aber seit Jahrzehnten zurück, während gleichzeitig der Preis für die Rohware stieg und sich Lehrlinge nur noch selten dafür begeistern, das alte Handwerk zu erlernen. Welcher Digital Native möchte schon als angehender Sensenschmied schief angeschaut werden? Doch dann, vor etwa eineinhalb Jahren, stieg plötzlich die Nachfrage. Zunächst war man darüber vor allem eines: verwundert.

»Wir wurden gefragt«, erinnert sich Georg Gasteiger, »ob wir eine Erklärung dafür haben, was da gerade passiert.« Und für Gasteiger ergab das alles durchaus Sinn. Bereits seit 2011 hält der studierte Betriebswirt regelmäßig Sensenkurse ab – nicht ausschließlich, aber hauptsächlich in Wien. Von seinem Job als Innovationsberater in der staatlichen Förderagentur AWS verabschiedete er sich Schritt für Schritt. Mittlerweile ist er ausgebildeter Sensenmähmeister. Dutzenden Interessierten hat er das motorlose Mähen bereits beigebracht. Gasteiger selbst ist die Speer-, oder besser: die Sensenspitze einer Bewegung, die versucht, im eigenen Wirkungsbereich handfest die Biodiversität zu fördern und das Klima zu schützen. »Wir wollen die Sense in die Stadt bringen, um den Rasenmäher zumindest zu ergänzen, besser noch zu ersetzen«, sagt er selbstbewusst. Wir – das ist einerseits der Sensenverein, in dem sich Gasteiger und Gleichgesinnte seit einiger Zeit engagieren und auch international vernetzen. Und andererseits die »Senserei«, die er Mitte Dezember mit seiner Geschäftspartnerin Doris Fröhlich in der Wiener Sechshauser Straße eröffnet hat. Auch Fröhlich ist angehende Sensenlehrerin. Gasteiger, ihren ehemaligen Kollegen in der Innovationsberatung, konsultierte die Hobbygärtnerin einst selbst, weil sie wissen wollte, ob ihre alte Sense – ein Erbstück – noch zu gebrauchen wäre.

Onlineshop
»Silvanus« aus Oberösterreich bietet Forstbedarf – und ist der Sensenshop im Netz.
silvanus.at

Slow Mowing heißt wachsen lassen

Die gemeinsame »Senserei« verstehen die beiden als niederschwelliges Fachgeschäft, das auch zum Treffpunkt und zur Anlaufstelle all jener werden soll, die sich in Wien und Umgebung für das schweißtreibende Vergnügen interessieren. Nach reichlicher Überlegung prägen sie dafür den Begriff »Slow Mowing«. Denn das im Englischen ebenso gebräuchliche »Scything« ist in der deutschsprachigen Welt wenig geläufig. Der Hashtag #scythe wird zwar auch fürs Sensenmähen verwendet, diesen hat aber vor allem die Gothic- und Tattooszene in Beschlag genommen – als Allegorie für den Tod und das Werkzeug des Sensenmanns. Umso stimmiger, dass sich »Mowing« schön auf »Growing« reimt. Beim Mähen mit der Sense geht es nämlich weniger ums Niedermetzeln von Grashalmen als ums Wachsenlassen.

»Rasenmäher sind wahre Killermaschinen. Mit seinem saugenden Rotationsmähwerk tötet ein Rasenmäher bis zu 70 Prozent der Bodenfauna.«

Doris Fröhlich, Sensenlehrerin in spe

Bedarf für die Sense gibt es, weil naturnahe Wiesen höchstens zwei bis drei Mal im Jahr gemäht werden sollen. Nur hochgewachsen können Wiesenpflanzen auch wirklich Samen ausbilden, aussäen und weiterhin Nahrungsquelle und als Teil des Ökosystems Wiese auch Lebensraum für Insekten und andere Tiere sein. Selbst wenn in Hinterhöfen, Schulgärten oder Reihenhaussiedlungen nur wenige Quadratmeter wirklich Wiese sein dürfen, stellt sich naturgemäß die Frage, wie man diese Fläche mähen kann. Auch viele leistungsstarke Rasenmäher scheitern zudem am hohen Gras. Außerdem erübrigt sich bei Verwendung eines Rasenmähers ein Gutteil der kleinräumigen Biodiversitätsbemühungen gleich wieder. »Rasenmäher sind wahre Killermaschinen«, sagt Doris Fröhlich. »Egal ob elektrisch oder fossil angetrieben, mit seinem saugenden Rotationsmähwerk tötet ein Rasenmäher bis zu 70 Prozent der Bodenfauna.« Eine bayerische Metastudie über »Die Wirkung des Mähens auf die Fauna der Wiesen« (der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege) erhob 2014 teilweise sogar höhere Todesraten von bis zu 88 Prozent. Der Landwirtschaft empfehlen die Autoren Dennis van de Poel und Andreas Zehm deshalb eine Reduktion der jährlichen Wiesenschnitte und einen Umstieg von Rotationsmähern auf schneidende, möglichst breite Mähbalken (um auch durchs Befahren wenig Schaden mit breiten Reifen anzurichten). In Gärten ist der Einsatz solcher Gerätschaft freilich impraktikabel. Stefan Strobelberger von der Initiative »Natur im Garten« empfiehlt im Kleinen deshalb »als schonendste Mähmethoden für die Insekten und Tiere Handsense und Sichel«.

»Die Sense ist das ideale Urban-Gardening-Tool, um aus Kurzrasengärten lebendige Oasen der Vielfalt zu schaffen.«

Georg Gasteiger, Sensenmähmeister

Wer seltener mäht, schont also die Tierwelt – und spart neben Zeit auch eine andere wertvolle Ressource: Im Vergleich zu kurz getrimmten Rasenteppichen verbrauchen gewachsene Wiesen deutlich weniger Wasser. Gleich einem Urwald in Miniatur kühlen sie die Umgebung ab. So kommt der Wiederentdeckung der Wiesenlust auch eine unmittelbare Bedeutung beim lokalen Abschwächen von Hitzeextremen zu. »Die Sense mag in der Landwirtschaft weitgehend ausgedient haben«, sagt Georg Gasteiger, aber »sie ist das ideale Urban-Gardening-Tool, um aus Kurzrasengärten lebendige Oasen der Vielfalt zu schaffen«.

Schwitzen fürs Mikroklima

Die Wiesen zwischen den Bauten der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte in Wien-Favoriten werden seit 2019 nur noch mit der Sense gemäht – nun leben dort auch Feldhasen und vom Aussterben bedrohte Feldhamster. Die NGO Global 2000 zeichnete die Pionieroase als »Nationalpark Garten« aus. Bild: Global 2000/Christopher Glanzl.

Ideal für die Stadt ist die Sense auch, weil dort vor allem überschaubare Flächen zu mähen sind. Und nicht zuletzt, weil sie weder Lärm noch Abgase verursacht. Gemäht werden kann also auch an Wochenenden und Feiertagen. Hinzu kommt, dass Motormäher CO2 emittieren. »Es gibt Berechnungen, dass ein Benzinrasenmäher pro Stunde für zwei Kilogramm CO2 verantwortlich ist und ein Elektrorasenmäher für ein Kilogramm CO2.«, sagt Doris Fröhlich. Das klinge wenig. Doch unter der Annahme, dass dort pro Saison annähernd zwanzig Mal gemäht wird, kommt sie auf bis zu 40 Kilogramm CO2 pro Gartensaison. Genaue Zahlen gibt es nicht. Grobe Recherchen der beiden einstigen WirtschaftsberaterInnen haben ergeben, dass allein im deutschsprachigen Raum um die sechs Millionen Benzinrasenmäher im Einsatz sein dürften. Einsparungspotenzial gibt es also genügend.

Wichtig: die richtige Schneid

Auch Bedarf für Beratung zum richtigen Umgang mit einer Sense sollte es in nächster Zeit ausreichend geben. Welche Fragen Neulinge beschäftigen, weiß Georg Gasteiger aus seiner jahrelangen Kurserfahrung. Wie man richtig mäht, zeigt er am liebsten in der Praxis. Doch auch im Sensensimulator in der Sechshauser Straße lässt sich auf einem Juteteppich ausprobieren, wie es geht – und ob man gerade das richtige Werkzeug in Händen hält. Denn mit einer zu kurzen oder falsch eingestellten Sense ruiniert man sich schnell auch den Rücken. »Entscheidend sind die richtige Länge des Sensenbaums (also des Stiels der Sense, Anm.) und – weil wir alle unterschiedliche Arm- und Beinlängen haben – die richtige Einstellung des unteren und oberen Griffs«, weiß Gasteiger. Richtig gemäht werde relativ aufrecht. »Männer haben da einen gewissen Vorteil«, meint Fröhlich, »weil man am besten recht breitbeinig und affig dasteht und den Hintern rausstreckt.« Mit der standardisierten Ware aus dem Baumarkt stehe man beim Mähen fast immer schief, sagen beide. Auch alte Sensen sind selbst in gutem Zustand nicht immer geeignet. Meist liege das daran, dass die Menschen früher kleiner waren. »Ganz entscheidend ist aber die richtige Schneid«, sagt Gasteiger, »mit einem stumpfen Sensenblatt reißt man. Das ist ganz schlecht für den Rücken.«

Georg Gasteiger und Doris Fröhlich reagieren mit ihrer »Senserei«, einem neu eröffneten Fachgeschäft für »Slow Mowing«, auf steigende Nachfrage und das wachsende Bewusstsein, dass Wiesen selten gemäht werden sollten, um darin lebende Arten zu schützen. Bild: Senserei/Ewald Fohringer.

Das richtige Dengeln mit dem richtigen Wetzstein wird deshalb in jedem Kurs unterrichtet. Gasteiger und Fröhlich überlegen, auch gemeinsam mit der Sensenschmiede Schröckenfux ein »Immer scharf«-Service anzubieten. Der Gedanke: Solch ein Abo könnte garantieren, dass das Sensenblatt – das in 25 aufwendigen Arbeitsschritten durch abwechselndes Schmieden, Abkühlen und Wiedererhitzen vom kompakten Voest-Stahl-Rohling zur messerscharfen Klinge ausgebreitet wurde – Jahr für Jahr im Idealzustand einsatzbereit ist. Und auch über »eine Art Wiesen-Parship« wird in der »Senserei« nachgedacht. Denn nicht immer sind diejenigen, die mit Leidenschaft die Sense schwingen, auch diejenigen, die eine artenreiche Wiese zu mähen haben. »Wir wollen der Slow-Mowing-Community beim Wachsen helfen«, sagt Mähmeister Gasteiger. »Wir werden diejenigen, die eine Wiese haben und diese, ohne selbst mähen zu wollen, in den Dienst der Biodiversität stellen möchten, mit denen zusammenbringen, die mähen wollen, selbst aber über keine Wiese verfügen.«

Senserei
Fachgeschäft für »langsames Mähen« mit der Sense; Kurse, Beratung und Altsensenbegutachtung bei Voranmeldung.
Sechshauser Straße 97, 1150 Wien
senserei.at

Unterwegs in der U-Bahn

Ist eine Sense so verpackt, dass sie auch bei einer Vollbremsung niemanden verletzen kann, ist ihr Transport in den Öffis grundsätzlich erlaubt. Bild: Senserei/Ewald Fohringer.

Bleibt die Frage, wie man, auf den eigenen CO2-Footprint bedacht, eine Sense mit einem 60, 65 oder gar 80 Zentimeter langen Sensenblatt im besten Fall transportiert. Mit dem Bus, mit der U- oder Straßenbahn? Prinzipiell spreche da nichts dagegen, heißt es etwa aus der Rechtsabteilung der Wiener Linien: »Eine Sense darf transportiert werden, allerdings muss sie so verpackt sein, dass sich keine Fahrgäste daran verletzen können. Auch bei einer Notbremsung muss die Sicherheit gewährleistet sein.« Ähnliches gilt auch für die Berliner Verkehrsbetriebe. Der Transport sei grundsätzlich erlaubt, erklärt man in der BVG-Pressestelle. Die Sense müsse allerdings sicher verpackt sein – »so, dass sich auch bei einem Unfall oder einer Gefahrenbremsung niemand daran verletzen kann«.

Auch in Roßleithen in Oberösterreich beschäftigt man sich dieser Tage mit Grundsätzlichem. Die Sensenschmiede Schröckenfux bereitet ein Imagevideo vor. Es soll helfen, einen jahrhundertealten Lehrberuf wieder attraktiv zu machen.

Sensenverein
Vernetzt (auch international) und veröffentlicht Broschüren, z. B. über »Die richtige Einstellung einer Sense«; unmittelbar im Berliner Umland bietet Stefan Bauer (erreichbar über den Verein) in Havelaue Sensenkurse an.
sensenverein.at
sensenverein.de

BIORAMA Wien–Berlin #2

Dieser Artikel ist im BIORAMA Wien–Berlin #2 erschienen

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