Motivation per App

Schwitzend Sportübungen vor dem Handy zu machen klingt nicht unbedingt attraktiv. Dennoch schaffen es Fitness-Apps mit psychologischen Tricks, zu mehr Bewegung zu motivieren.

Fitness-Apps boomen
Immer mehr Menschen nutzen Fitness-Apss, um in Form zu bleiben. 2020 gab es eine Millarde NutzerInnen. Bild: Istock.com/iwat1929

Die Zahl registrierter NutzerInnen von Fitness-Apps stieg 2020 auf über eine Milliarde, wie aus einer Erhebung (Statista Digital Market Outlook, 2020) hervorgeht. Somit nutzt mehr als jeder achte Mensch eine Fitness-App, also eine Fitness- oder Ernährungsanwendung für das Smartphone, wie beispielsweise Lauftracker oder Kalorienzähler.

In Deutschland sollen sich die NutzerInnen von 2017 bis 2024 fast verdoppeln, prognostiziert der Statista Digital Market Outlook. Bliebe die EinwohnerInnenzahl gleich, wäre dann jedeR vierte bis fünfte EinwohnerIn NutzerIn einer Fitness-App. An der Johannes-Kepler-Universität Linz wurde im März 2020 ein Überblick über wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Fitnesstracker erstellt und insgesamt knapp 121.000 Fitness-Apps gezählt, fast 93 Prozent davon waren kostenfrei erhältlich.

Motivation durch Gamification

Die Apps funktionieren, indem sie unterschiedliche psychische Bedürfnisse der NutzerInnen erfüllen und diese so zu mehr sportlicher Betätigung motivieren. Eine im März 2020 im »European Journal of Management and Business Economics« veröffentlichte Studie hat ergeben, dass die Bedürfnisse Kompetenz, Unabhängigkeit und Verbundenheit durch leistungsbezogene Gamification-Elemente erfüllt werden. Beispielsweise ermöglicht das Erstellen eines individuellen NutzerInnenprofils mit eigenem Avatar das Eintauchen in eine andere Realität, die NutzerInnen fühlen sich kompetent und unabhängig. Weitere Studien bestätigen die gesteigerte sportliche Motivation durch Gamification-Elemente, zum Beispiel durch das Setzen erreichbarer Ziele und die Verwendung von Fortschrittsbalken, auf denen der Weg zum Ziel visualisiert wird.

Das Gamification Element
Gamification-Elemente sind spieltypische Elemente, die in einem spielfremden Kontext verwendet werden. Dazu gehören beispielsweise Punkte, Ranglisten und Fortschrittsbalken. Bild: Istock.com/iwat1929.

Soziale Interaktion

Noch motivierter sind NutzerInnen in einer Community: Soziale Elemente und virtuelle Wettbewerbe, wie das Erstellen von Teams oder Ranglisten, erfüllen das Bedürfnis nach Verbundenheit. Eine 2018 veröffentlichte Studie hat zwei Apps miteinander verglichen und berichtet von einer stetigen Leistungssteigerung und einer höheren Bereitschaft zur weiteren Nutzung der App, die auf Interaktion und Wettbewerb basiert, im Vergleich zu der, die über ein Belohnungssystem funktioniert. 

Fitness-Apss verbinden
Eine Community, auch wenn sie nur digital existiert, kann auch das psychische Wohlbefinden stärken. Bild: Istock.com/iwat1929.

Sport und Psyche in der Pandemie

»Virtuelle Vernetzung ist eine Ergänzung und eine Erweiterung des Angebots, kann aber die persönlichen Kontakte nie ganz ersetzen«, sagt Malte Claussen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. »Die Technik versucht auf immer raffiniertere Weise, die sozialen Aspekte des Sports aufzunehmen und nachzubilden, gänzlich ist das aber natürlich nicht möglich.«

Malte Christian Claussen im Portrait
Malte Christian Claussen ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Facharzt für Neurologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Privatklinik Wyss AG und den Psychiatrischen Diensten Graubünden. Bild: Privatklinik Wyss AG/Nathalie Flubacher.

Dennoch sei Sport gerade während der Pandemie eine Möglichkeit, präventiv gegen die Risiken und Belastungen für die psychische Gesundheit vorzugehen. »Unspezifische Wirkfaktoren der Bewegung, aber auch spezifische neurobiologische und neuroendokrinologische Veränderungen durch die körperliche Aktivität, also Veränderungen im Nerven- und Hormonsystem, können hierzu beitragen«, erklärt Claussen. Sport habe zum Beispiel Einfluss auf den Cortisolhaushalt, ein Hormon, das auch bei Stress und Depressionen erhöht ist – weshalb viele Menschen Sport zum Stressabbau nutzen.

Erfolg durch Überwachung

Unsere Selbstvermessung ist kein neues Phänomen, denken wir etwa an die regelmäßige Messung des Körpergewichts. Sie gewinnt allerdings neue Bedeutung. »Gerade für junge Leute ist es wichtig, sportlich auszusehen«, sagt Ursula Meidert, Dozentin am Institut für Gesundheitswissenschaften der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Der Körper wird als Ergebnis der persönlichen Leistung gesehen – Fortschritt ist dank Fitness-Apps und Wearables überprüfbar. Der persönliche Erfolg kann genauestens überwacht werden und motiviert so zu noch mehr sportlicher Betätigung.

Ursula Meidert im Portrait
Ursula Meidert ist stellvertretende Projektleiterin der Studie »Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin« und Dozentin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Doch die gestiegene Motivation wird mit sensiblen Daten bezahlt. Nutzungsgewohnheiten können analysiert und von AkteurInnen wie Pharmaunternehmen, SportartikelherstellerInnen und Krankenversicherungen unternehmerisch genutzt werden, um angebotene Produkte und Dienstleistungen an den Markt anzupassen. »Nicht alle gesammelten Daten sind relevant für die Funktionalität der Fitness-Apps«, gibt Meidert zu bedenken. »Irrelevant können beispielsweise der NutzerInnenstandort und der Name sein.« Die Möglichkeiten, bei den Apps nur die für die Bewegung relevanten Daten anzugeben, seien jedoch stark beschränkt. »Größer als die Konsequenzen auf persönlicher Ebene sind die Konsequenzen auf gesellschaftlicher Ebene. Denn je mehr Menschen bereit sind, ihre Daten abzugeben, umso mehr wird es auch gefordert werden«, schließt Meidert.

Neugier, lass nach

Die Apps haben noch einen Haken: eine meist nur beschränkte Nutzungsdauer. Verantwortlich dafür ist der nachlassende Neuigkeitswert, der besagt, dass sich Leistungen im Umgang mit neuen Technologien erst mal verbessern, auf lange Sicht und mit zurückgehender Neugier allerdings wieder nachlassen. Je länger die Apps genutzt werden, desto weniger spaßig und interessant werden sie meist für die NutzerInnen. Sollte die Motivation für die Nutzung einer App also schon bald nachlassen, gibt es immerhin noch 120.999 weitere Apps, die helfen könnten.

BIORAMA #71

Dieser Artikel ist im BIORAMA #71 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL