»In den Pfützen schwimmt Benzin« – Fliegen im Mobilitätsvergleich

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So wie Reinhard Mey vor 40 Jahren einen romantisch verklärten Blick auf die Luftfahrt zu werfen, verunmöglicht die zunehmende Gewissheit über deren Folgen. Eine entsprechende Verhaltensänderung ist aber ausgeblieben. Im Gegenteil: Der Flugverkehr nimmt stetig zu. 

Reisen ist der Fetisch der Mittel- und Oberschicht. Es erfüllt unterschiedlichste Bedürfnisse – Beruf, Erholung, Bildung – nicht zuletzt auch Distinktion. Es ist das Automobil des 21. Jahrhunderts und das noch bessere Statussymbol, weil es so vieles – von Materialismus bis Postmaterialismus – symbolisieren kann. In einer Gesellschaft, in der Mobilität vorwiegend positiv konnotiert ist und an Vorstellungen von Freiheit knüpft, erfährt es selbst eine quasi religiöse Verehrung. Problematisch ist die Art und Weise, wie man diesem goldenen Kalb huldigt: »Menschen wollen mobil sein. Fliegen ist daher subjektiv natürlich immer sinnvoll. Es erlaubt uns, dem Wunsch nach globalen Austausch mit einer globalen Mobilität zu begegnen. Das Problem ist der große ökologische Rucksack. Objektiv betrachtet ist es daher sehr selten sinnvoll«, so Stephan Rammler, Professor für Transportation Design an der HKB Braunschweig.

Während die Entwicklung des motorisierten Individualverkehrs in weiten Teilen Europas stagniert, wächst der Flugverkehr stetig. Das ist nicht verwunderlich, denn die Eigenschaften des Flugzeugs entsprechen den sich verändernden gesellschaftlichen Anforderungen: »Wir leben in der Beschleunigungsmoderne. Die Zeitabläufe werden im Grunde immer dichter. Das ist der goldene Käfig der Ökonomie und wir sind gezwungen, da mitzuschwimmen«, erklärt Rammler. Oder eben mitzufliegen.

Am Boden bleiben

Wie die Massenmotorisierung des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, stehen Mobilitätsverhalten und gesellschaftliche Rahmenbedingungen in einem Wechselspiel von Bedingen und Ermöglichen. Die Fähigkeit, größere Distanzen schnell überwinden zu können, hat zu einem explosionsartigen Wachstum der Vorstädte beigetragen. Da Suburbia in Beton gegossen ist, hat der motorisierte Individualverkehr damit gleichzeitig die eigene Notwendigkeit zementiert. Genau wie dieser schafft der Flugverkehr – mit 3,6 Milliarden Passagieren rechnet man heuer, um 800 Millionen mehr als noch vor fünf Jahren – seine eigene Realität. Teil dieser sind einerseits der Verbrauch fossiler Energieträger und die daraus resultierenden Emissionen, andererseits eine Vielzahl neuer Chancen zu internationaler Kooperation und Austausch. Eine Rückkehr zum Status Quo ante ist weder wünschenswert noch realistisch. »Es geht nicht darum, komplett auf das Fliegen zu verzichten. Für viele Menschen ist das aufgrund beruflicher oder familiärer Eingebundenheit auch gar nicht möglich. Die Globalisierung hat familiäre Netzwerke entstehen lassen, die in manchen Fällen über mehrere Kontinente verteilt sind«, sagt Rammler. Er erinnert aber daran, dass die unaussprechliche isländische Flugpause – der Vulkan Eyjafjallajökull – gezeigt habe, dass physische Präsenz nicht immer notwendig ist: »Die Unternehmen haben ihre Videokonferenzanlagen in Betrieb genommen. Die Schwierigkeiten waren überschaubar. Natürlich lassen sich nicht alle Verhandlungen und Gespräche damit substituieren.« Das gilt natürlich umso mehr für private Angelegenheiten, wo die Virtualisierung von Kommunikation viel früher an ihre Grenzen stößt – ein Chat ist kein Ersatz für eine Umarmung.

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Luftschiffe statt Luftschlösser

Die Anreise der Delegierten zur Weltklimakonferenz per Flugzeug verursachte rund 3.000 Tonnen CO². Die Umsetzung der beschlossenen Vereinbarungen hat natürlich einen tausendfach höheren Einfluss auf das Klima als die Konferenztätigkeit selbst. Selbst wenn es kaum einen besseren Grund zu Fliegen geben dürfte als um den Planeten zu retten, setzte man sich auch anlässlich der Konferenz kritisch mit dem Mobilitätsverhalten auseinander. Die Initiative »Train to Paris« brachte Delegierte aus Europa, China, der Mongolei und Russland aus diesem Grund per Zug nach Paris.


Übrigens: 

Basierend auf aktuellen Trends werden sich die CO²-Emissionen der globalen Tourismusindustrie – aktuell ca. fünf Prozent – bis 2035 mehr als verdoppeln. Für die Hälfte davon wird die kommerzielle Luftfahrt verantwortlich sein. Dabei sind die CO²-Emissionen nur ein Teil des Problems. Die Emissionen finden in besonders sensiblen Regionen unserer Atmosphäre statt. Experten gehen davon, aus dass der Anteil am menschenverursachten Klimawandel deutlich größer ist als jener an den Emissionen. Während der Luftverkehr für rund zwei Prozent aller CO²-Emissionen verantwortlich ist, wird ein doppelt bis fünfmal so hoher Anteil am Klimawandel angenommen.


Verhaltensänderungen wie diese – innerhalb Europas mit der Bahn zu reisen und der sinnvolle Einsatz von Fernflügen – werden sich aber nicht über guten Willen allein herstellen lassen. Es braucht politische Initiativen zur Verbesserung der Infrastruktur – Ausbau der internationalen Bahnverbindungen – und Schaffung von Anreizen, diese auch zu nutzen. Sprich: eine Verteuerung des Fliegens, etwa durch eine Kerosinsteuer, um Folgekosten realistisch abzubilden. Nicht zuletzt wird es auch technische Innovationen brauchen, um Flugreisen zu ersetzen. Rammler wünscht sich etwa eine Renaissance des Luftschiffs – die technischen Möglichkeiten existieren bereits, abgesehen von längeren Reisezeiten spricht nichts dagegen. Der Erfolg nachhaltiger Mobilitätsformen wird aber auch auf ein entschleunigtes Wirtschaftssystem mit langsameren Transportzyklen angewiesen sein. Das Mobilitätsbedürfnis der gegenwärtigen Konfiguration der Weltwirtschaft hat seinen Preis: Der Transportsektor verursacht rund ein Viertel der globalen CO²-Emissionen. Für Rammler ist daher klar:

»Mobilität ist nicht nur ein Bedürfnisbereich oder ein politisches Handlungsfeld neben anderen, sondern einer der zentralen Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit unserer globalen Zivilisation überhaupt.«

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