Tausend Monde hell

AktivistInnen wie die »Paten der Nacht« kämpfen gegen exzessive Beleuchtung und taghelle Nächte – vor allem mit Aufklärung und durch leuchtende Vorbilder, die freiwillig verdunkeln.

Zu sehen ist eine Stadt und all ihre Lichter bei Nacht.
Eine Stadt bei Nacht und die Lichter die von ihr zu sehen sind. Bild: Istock.com/Elleon.

Zu viel ist zu viel, da sind sich alle einig. Ausgenommen vielleicht diejenigen, die vom Verkauf von Laternen und Leuchtreklame leben. Wie viel aber ist zu viel? Welcher Lichtschein angenehm ist, wie viel Leuchtkraft ausreichend, das lässt sich nicht allgemeingültig sagen. »Das ist persönliche Ermessenssache und lässt sich nicht messen«, weiß Manuel Philipp, »der Mensch reagiert nicht rational, was Licht angeht.« Dabei entspräche es dem Naturell des bayerischen Physikers, der mit seiner Diplomarbeit einst ein erstes mobiles Messgerät für den UV-Index entwickelt hat, klar mit Zahlen, Richt- und Grenzwerten zu arbeiten. Als Aktivist aber hat er sich angewöhnt, in Gleichnissen zu sprechen und sein Gegenüber emotional zu erreichen. Denn Dauerlicht, Blendung und grelles Blinken empfinden alle als störend. Und dass die Zahl der Lichtquellen in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat – Hotels mit LED-Schläuchen als Hängebeleuchtung, Scheinwerfer vor Supermärkten, ausgeleuchtete Autohäuser, blinkende Weihnachtsdeko oder im Strahlenschein inszenierte Baumskulpturen –, das ist niemandem entgangen. Auch dass wirkliche Dunkelheit selten geworden ist, selbst abseits der Hauptverkehrswege. »In der Praxis«, sagt der Physiker, »werden in Deutschland Wohnstraßen mit 15 Lux beleuchtet. Das entspricht 75 Vollmondstärken. Hauptstraßen leuchten wir mit 60 bis 80 Lux aus, also mit mindestens 300 Vollmondstärken.« Solche Zahlen würden sein Gegenüber oft erstaunen, sagt er, schaffen aber einen Konsens: Das ist zu viel, viel zu viel. Und gehört zurückgedreht.

»In Gegenden mit viel Industrie, etwa im Ruhrpott, und in Städten, die etwas sind oder die was sein wollen, wie Berlin, München, Köln oder Hamburg, dort ist es am hellsten«

Manuel Philipp, Pate der Nacht

An die 50 Gleichgesinnte hat Manuel Philipp bereits um sich geschart. Als »Paten der Nacht« engagieren sie sich in Deutschland und Österreich für den Schutz der Nacht. Gemeinsam kämpft man gegen Lichtverschmutzung, gegen die unbedachte Verschwendung von Energie und für einen bewussten Einsatz von Licht; zum Wohlbefinden aller – auch der Flora und Fauna, die durch den verrückten Tag-Nacht-Rhythmus zumindest beeinträchtigt ist.
Am augenscheinlichsten ist Lichtverschmutzung in Ballungsräumen. »In Gegenden mit viel Industrie, etwa im Ruhrpott, und in Städten, die etwas sind oder die was sein wollen, wie Berlin, München, Köln oder Hamburg, dort ist es am hellsten«, sagt Philipp. Doch auch der ländliche Raum ist betroffen. Light Pollution Maps, für die Satellitendaten über Google-Karten gelegt werden, zeigen das immer deutlicher. In Nordrhein-Westfalen nennt der Bericht des Landesamts für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz neben Innenstädten und Industriegebieten beispielsweise auch »große nicht abgeschirmte Treibhäuser« als »besonders lichtintensiv«. Sogar die Landwirtschaft zählt also zu den VerschmutzerInnen.

Wo Deutschland am hellsten strahlt

Wirkliche Fortschritte im Kampf gegen die taghelle Nacht gibt es bislang vor allem aus Sternenparks zu vermelden. Das sind Regionen wie beispielsweise der Biosphärenpark Rhön, die sich ganz dem Schutz der Nacht widmen. Dort wird die Dunkelheit geradezu zelebriert. In Ballungsräumen tut man sich offensichtlich schwerer. Vielleicht auch, weil Licht als Symbol der Moderne für Urbanität steht und – nicht zu unterschätzen – ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. In Nordrhein-Westfalen, einem der hellsten Punkte auf Deutschlands Light Pollution Map, engagiert sich Kerstin Schnücker als Referentin für Stadtnaturschutz des lokalen BUND gegen Lichtverschmutzung. Erfolgsprojekte kann sie keine nennen: »Daran arbeiten wir noch.« Seit Jahren fordere man eine landesweite Einführung von Lichtmanagementplänen. Bislang vergebens.
»Beim Thema Lichtverschmutzung gestaltet sich die Arbeit unserer Aktiven vor Ort mit den Kommunen leider oft eher konfrontativ als kooperativ«, berichtet Schnücker. »Die Bereitschaft, überflüssige Beleuchtung abzustellen, ist oft nur aus Kostengründen gegeben. Auch wenn auf der Sachebene nichts dagegenspricht, wird wegen des subjektiven Sicherheitsempfindens leider meist mit der Lichtverschmutzung fortgefahren.«

Der im halbdunkeln fotografierter Grenzturm Point Alpha.
Erinnerungsort im Halbdunkel der Rhön: der Grenzturm Point Alpha, als Nato-Beobachtungsturm bis 1990 Schauplatz des Kalten Kriegs. Bild: Falk Ziebarth.

Um positive Vorbilder zu schaffen, haben die »Paten der Nacht« deshalb vergangenen Mai die Aktion »22 Uhr – Licht aus« gestartet. Firmen, die frühestmöglich, aber spätestens ab 22 Uhr freiwillig und bewusst auf Werbebeleuchtung verzichten, werden ins mediale Scheinwerferlicht gestellt. Neben vielen kleinen Familienunternehmen beteiligt sich etwa der Hagebaumarkt mit seinen Filialen. Dann kamen die kriegsbedingte Energiekrise und die Verordnung des Bundeswirtschaftsministers, die Beleuchtung von Anfang September bis Ende Februar 2023 ab 22 Uhr flächendeckend ganz abzudrehen. Vorübergehend pausierte man deshalb, die Vorbilder zu kommunizieren. Von der Effektivität der bundesweiten Verordnung ist man nicht ganz überzeugt. »Gut gemeint«, seufzt der Physiker und Aktivist Manuel Philipp. Aber die Verordnung wäre völlig an der Praxis vorbei umgesetzt. »Weder Zuständigkeiten noch Konsequenzen bei Nichteinhaltung sind geklärt. Vielleicht greift sie ja noch. Aber dort, wo ich in Bayern unterwegs bin, da wurden keine Lichter ausgemacht. Wir wissen aus der Praxis, dass es bei kleinen Geschäften zuweilen mehrere Monate braucht, bis die ihren Elektriker gerufen haben, um die Zeitschaltuhr der Beleuchtung umzuprogrammieren.«

»Jedes Fahrzeug muss ohnehin beleuchtet sein. Die Dunkelheit der Nacht ist kein regelwidriger Zustand.«

Sabine Frank, Nachtschutzbeauftragte im Sternenpark Rhön

Dabei ist auch der oberste Pate der Nacht überzeugt, dass Freiwilligkeit langfristig nicht reichen wird, um erfolgreich gegen die Lichtverschmutzung vorzugehen. Ohne klare Vorgaben werde es nicht gehen. »Vorher brauchen wir aber Aufklärung und eine breite Sensibilisierung für das Problem«, ist er überzeugt. Als Beispiel nennt er Bayern, wo ein landesweites Immissionsschutzgesetz unter anderem »vermeidbare Lichtemissionen« regelt. Seit 2019 ist in Bayern von 23 Uhr bis zum Morgengrauen mit der Außenbeleuchtung von Kirchen und öffentlichen Gebäuden Schluss. Zumindest laut Gesetz. »Tatsächlich leuchten auch drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes spätnachts noch viele Kirchen und Amtsgebäude. Das klappt also nicht einmal bei den Gemeinden, obwohl hohe Strafen vorgesehen wären.« In Baden-Württemberg ist es in der Hauptflugzeit der Insekten von April bis September mittlerweile sogar ganz verboten, Gebäude nachts zu beleuchten. Ausgenommen sind Kirchen. Sonst gibt es in Deutschland nirgendwo eine landesweite Lichtregulierung. Um weiterzukommen, fordert Philipp: »Wir brauchen da zuerst breite Bewusstseinsbildung und dann statt des drohenden Flickenteppichs an Gesetzen und kommunalen Verordnungen eine einheitliche Regelung, im Idealfall EU-weit.«

Dunkelheit ist nicht verboten

Eine allgemeine Pflicht zur Beleuchtung gibt es in Deutschland jedenfalls nicht. »Die Kommunen haben immens großen Handlungsspielraum«, weiß Sabine Frank aus ihrer Praxis als Nachtschutzbeauftragte im Sternenpark Rhön. Als solche führt sie im Dunkeln BesucherInnen durch den nächtlichen Biosphärenpark und berät tagsüber Gemeinden und Unternehmen, wie sie Licht behutsam und sinnvoll einsetzen können. Theoretisch, sagt Frank, wäre es rechtlich sogar gedeckt, die Lichter nachts zur Gänze auszumachen: »Die Verkehrssicherungspflicht liegt prinzipiell beim Verkehrsteilnehmer, der oder die sich an Sichtverhältnisse anpassen muss. Jedes Fahrzeug muss ohnehin beleuchtet sein. Die Dunkelheit der Nacht ist kein regelwidriger Zustand.«

Spenden gegen das Burnout

Zu viel droht es indes auch den NachtschutzaktivistInnen selbst zu werden. Sabine Frank, deren Sternenpark europaweit als vorbildlich gilt, wird für Vorträge gebucht und ist als Beraterin gefragt. Sie hofft, dass es bald auch in anderen Regionen und Städten Nachtschutzbeauftragte gibt. In Düsseldorf beispielsweise wurde das bereits wiederholt im Stadtrat debattiert. »Ich berate wirklich gerne, aber ich kann das als Person alleine bald nicht mehr leisten«, sagt sie. Öffentlich finanzierte Fachleute mit fundiertem Wissen würden die Sache wesentlich voranbringen.
Die »Paten der Nacht« wurden 2021 mit dem Umweltpreis der Bayerischen Landesstiftung ausgezeichnet. Finanziert wurde das Engagement bislang aber im Wesentlichen von Manuel Philipp. »Alles aus privater Tasche zu zahlen, kann und will ich mir nicht mehr leisten«, sagt der Physiker und Nachtpate. Da das Netzwerk der Nachtschutzaktiven nun auch offiziell als gemeinnützige Organisation eingestuft ist, kam er seinem Ziel, MitarbeiterInnen gegen Bezahlung anzustellen, einen wichtigen Schritt näher. Für Aktionen wie »22 Uhr – Licht aus« sucht er nun SpenderInnen und Stiftungen – um die gemeinsame Sache voranzubringen. Dabei ist Manuel Philipp insgesamt optimistisch: »Im Gegensatz zu anderen Umweltproblemen lässt sich die Lichtverschmutzung verhältnismäßig leicht eindämmen.« Was allerdings das Schlimmste wäre: im Kampf gegen Lichtverschmutzung selbst auszubrennen.

Die Paten der Nacht sind eine gemeinnützige Organisation und Plattform ehrenamtlicher NachtschutzaktivistInnen aus Deutschland und Österreich. 2021 wurden sie mit dem Umweltpreis der Bayerischen Landesstiftung ausgezeichnet.

Im Mai 2022 starteten die PatInnen das Projekt »22 Uhr – Licht aus«. Es setzt auf die Vorbildwirkung von Unternehmen.

BIORAMA #81

Dieser Artikel ist im BIORAMA #81 erschienen

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