Vom Recht auf Dunkelheit

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ILLUSTRATION Katharina Hüttler/agentazur.com

Wenn es Nacht wird, gehen allerorts die Lichter an. Das erscheint uns selbstverständlich, dabei hat es nicht nur Vorteile. Lichtverschmutzung könnte noch ein großes Thema werden. 

Zugegeben: Es gibt Angenehmeres als Dunkelheit. Wenn das Licht im Keller oder Stiegenhaus überraschend erlischt, jemand zum Spaß den Lichtschalter drückt, während man unter der Dusche steht, oder man aus Interesse oder Unvernunft während einer nächtlichen Autofahrt kurz die Scheinwerfer ausschaltet, dann verspürt man einen Moment lang das ungute Gefühl, etwas Unsichtbarem ziemlich schutzlos ausgeliefert zu sein. In der Dunkelheit wird der alltäglichste Gegenstand zur Stolperfalle, die Natur zur Fallgrube. Zum Glück ist man ziemlich selten in der Dunkelheit, schließlich gibt es die kaum noch. Brauchen tun wir sie dennoch.

Die Finsternis zwischen Unter- und Aufgang der Sonne hat etliche Jahrtausende lang eine große Rolle für die Entwicklung des Menschen gespielt – und nun ist sie fast verschwunden, binnen weniger Jahrzehnte. Das ist allzu verständlich. Wer möchte sich schon vom Stand der Sonne vorschreiben lassen, wann der Tag zu Ende geht? Es gibt ziemlich plausible Erklärungen dafür, dass wir mit immer weniger Dunkelheit leben. Inzwischen gibt es allerdings auch einige Erkenntnisse darüber, was das Verschwinden der nächtlichen Dunkelheit für gesundheitliche Folgen hat, für manche stärker, für manche weniger stark, doch letztlich für alle von uns.

Nicht nur wer nachts arbeitet oder eine Neigung zum exzessiven Feiern hat, weiß, wie anstrengend es ist, in einen Tag-und-Nacht-Rhythmus zu geraten, der mit dem natürlichen Wechsel von hell und dunkel wenig zu tun hat. Die Medizin verbindet mittlerweile eine ganze Menge von typischen Zivilisations-Krankheitsbildern mit der Verschiebung von Tag und Nacht, mit dem Verschwinden der natürlichen Dunkelheit. Schließlich dient der Schlaf der körperlichen Produktion von Melatonin, das wichtig für unser Immunsystem ist. Den ärztlichen Rat, sich Ruhe zu gönnen, kann man zwar auch im Hellen befolgen. Doch wirklich erholsamer Schlaf findet in Dunkelheit statt, ohne Ablenkung durch visuelle Reize, die auch durch geschlossene Augenlider wahrgenommen werden.

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Auch Tieren ist es zu hell

Auswirkungen hat das Verschwinden der Nacht nicht nur für Menschen. Schließlich teilen wir uns die Umwelt mit allerhand Getier und Pflanzen, und so haben auch die einen Lebensraum, der nachts von beleuchteten Tankstellen, Fast-Food-Restaurants, Straßenlaternen, Werbetafeln und anderen Lichtern, Leuchten, Lampen erhellt wird. Die ökologischen Folgen sind längst keine Vermutungen mehr. Desorientierung, Beeinträchtigung der Futtersuche, gestörte soziale Interaktion, eingeschränkte Aktionsradien, gestörte Ruhephasen durch Licht: das alles sind vielfach beschriebene Phänomene in der Biologie. Katharina Mahr ist Wissenschaftlerin an der Veterinärmedizinischen Uni in Wien und beschäftigt sich mit den Folgen von Lichtverschmutzung im Tierreich: »Wir gehen davon aus, dass sich Licht in der Nacht negativ auf die Partnerwahl weiblicher Vögel auswirkt. Die Vögel sind weniger wählerisch. Das wirkt sich wiederum auf den Reproduktionserfolg aus. Die Nachkommen sind dann weniger robust, das Immunsystem weniger gut ausgebildet, das Überleben gefährdet.« Die Verhaltens-Ökologin sorgt drei Wochen lang für künstliche Beleuchtung in der Nähe von Blaumeisen-Nestern im Wienerwald. Morgens und abends verkürzt sie die Nacht der Vögel durch Licht. Sie erhebt Daten über die Frequenz der Futtergabe, die Qualität des Futters, darüber, zu welchen Zeitpunkten die Vögel mit der Paarung beginnen, über Stresshormone und die Verwandtschaftsgrade der Nachkommen. Die gleichen Untersuchungen führt sie zum Vergleich mit Blaumeisen durch, die Nächte ohne künstliche LED-Beleuchtung erleben. Das ganze passiert natürlich nicht zum Spaß. »Ist das Fortpflanzungsverhalten gestört, hätte das langfristige Konsequenzen für Wildvögel, die momentan wenig sichtbar sind, aber in Zukunft verheerende Folgen haben könnten.«

Verzicht auf Licht zum Vogelschutz, das klingt einmal mehr nach einer umweltpolitischen Forderung mit überschaubaren Erfolgsaussichten. Das weiß auch Katharina Mahr: »Städtische Beleuchtung ist natürlich wichtig für unsere Sicherheit und unseren Komfort, dennoch sollte berücksichtigt werden, wo Lichtquellen wirklich nötig sind. Auf beleuchtete Werbetafeln kann man möglicherweise verzichten. Die Studie soll Entscheidungsträger ermutigen, sich über das Thema Gedanken zu machen.« Lichtverschmutzung wird erst langsam ein großes Thema. Umweltbeeinträchtigungen durch Lärm sind längst anerkannt, und wo immer Nachtflugverbote, Autobahn-Neubauten oder anderes diskutiert wird, das mit Lärm zu tun hat, sind die Menschen sensibel. Wer über einem Lokal wohnt, in dem es nachts laut ist, der verleiht seinen Ansprüchen auf geruhsamen Schlaf nicht selten juristischen Nachdruck. Laternen, Schaufenster, Autos, die einen der nächtlichen Dunkelheit berauben, sind seltener die Ursache von Zwist in der Nachbarschaft.

Es wird rasant heller

Der historische Weg von der Petroleum-Fackel über Gaslaterne, Bogenlicht, Glühfadenlampe, Hochdruck-Natriumdampflampe bis hin zur modernen Light-Emitting-Diode ist kaum 200 Jahre lang. Die Kosten für Beleuchtung sind gleichzeitig gesunken und die optimale Nutzung von Licht blieb angesichts sinkender Preise und wachsender Möglichkeiten eher ein Randaspekt. Sich über Lichtverschwendung aufzuregen, das hat fast etwas Puritanisches. Allein die Stadt Wien strahlt Nacht für Nacht zwei Megawatt Lichtleistung in den Himmel. Und durch neue, energiesparende Technologien wie LED-Beleuchtung bedeutet das immer mehr Helligkeit. Die durchschnittliche Effizienz von Lichtkörpern hat sich allein seit 1960 jährlich um etwa fünf Prozent erhöht. Das ist ein rasanter technischer Fortschritt. In Europa und Amerika leben etwas mehr als hundert Jahre nach Beginn des elektrifizierten Dauerleuchtens bereits zwei Drittel der Menschen in Gegenden, die als lichtverschmutzt gelten, schreibt der amerikanische Literatur- und Umweltwissenschaftler Paul Bogard in seinem Buch »Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt«. Darin, nun ja, »beleuchtet« er die Kulturgeschichte des künstlichen Lichts und dessen Folgen. Die alljährliche Verschwendung durch überflüssige Außenbeleuchtung allein in der EU versieht er darin mit einem Preisschild. 1,7 Milliarden Euro könnte sich Europa danach pro Jahr sparen, wenn es auf unnützes Licht verzichtete. Doch welches Licht ist unnötig? Wo ist Beleuchtung angemessen, wo soll der Lichtverzicht beginnen? Viele unserer nächtlichen Lichtquellen dienen schließlich der Sicherheit. Noch im 19. Jahrhundert wurden in Paris Abend für Abend Seile durch die Seine gespannt, um jene, die in den damals noch dunklen Nächten das Ufer nicht rechtzeitig ausmachen konnten und in den Fluss fielen, aufzuhalten.

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Licht per SMS

Könnten vielleicht Bewegungsmelder Teil einer Lösung des Problems der Lichtverschmutzung sein, oder rigorose Verbote beleuchteter Werbung, vielleicht Zeitschaltuhren? Schon heute gibt es einige smarte Ansätze, die Lichtverschmutzung zu reduzieren. An einigen Flecken der Erde lässt sich die Beleuchtung im Bedarfsfall per SMS aktivieren. Argumentiert wird der Schritt in die Dunkelheit meist ökonomisch. Einen anderen Weg hat Großmugl in Niederösterreich vor vier Jahren gewählt. 2010 beantragte die Marktgemeinde den Schutz ihres Sternenhimmels durch die UNESCO. Viele Orte, an denen man einen ungetrübten Blick auf die Milchstraße werfen kann, gibt es inzwischen nicht mehr – zumindest nicht in den hochindustrialisierten Gegenden der Welt. An politischen Regelungen werden wir vermutlich nicht vorbeikommen.

Licht-Politik

Die grundsätzliche Entscheidung der UNESCO, von Lichtverschmutzung wenig betroffene Gegenden zu schützen, lässt den Verdacht zu, dass die Verteidigung der natürlichen Dunkelheit bald auch ein größeres politisches Thema wird. Schließlich geht es dabei nicht nur um Nachbarschaftsstreitigkeiten betreffend Gartenbeleuchtung, sondern um Ökologie, Gesundheit und Energieeffizienz. Naturwissenschaftler, Umweltschützer, Mediziner benennen das Problem und umweltpolitisch Engagierte denken über Maßnahmen zur Lösung des Problems nach. Diese laufen auf eines hinaus: den Verzicht auf Licht, zumindest an der einen oder anderen Stelle. Solche Selbstbeschränkungen finden in der Politik bekanntlich selten eine Mehrheit. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren an den Deutschen Bundestag gerichtete Petitionen gegen Lichtverschmutzung. Erfolgreich war keine. Bei der Lichtverschmutzung ist es wie bei so vielen Themen: Als in Hannover, einer mutmaßlich ebenfalls mehr als ausreichend illuminierten Stadt, vor einiger Zeit über nächtliche Helligkeit diskutiert wurde, und ein Antrag zur Reduktion der Lichtverschmutzung zur Debatte stand, zeigte sich, dass die Sensibilisierung für die Folgen der Lichtverschmutzung noch nicht sehr weit gediehen ist. »Das ist der dümmste Antrag, den ich je gelesen habe. Er zeigt die ideologische Regulierungswut«, schäumte ein Konservativer. »Die Sicherheit der Bürger wird aufs Spiel gesetzt«, befürchtete ein Liberaler und Vertreter des Einzelhandels gaben zu bedenken: »Eine Verdunkelung zu fordern ist weltfremd. Licht lockt Leute und steigert den Umsatz.« Ein Recht auf Dunkelheit ist schwierig zu realisieren. Eine Debatte ist es trotzdem wert.

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