Cultured Pork

Obwohl weltweit an »Cultured Meat« geforscht wird, scheint Schweinefleisch aus dem Labor vorerst keine Bedeutung zu haben. Warum das so ist – und warum auch »Cultured Pork« keinesfalls halal sein kann.

Cultured Meat
Stammt unser Fleisch künftig aus dem Labor? Bild: Istock.com/CSA-Plasstock.

»Die Landwirtschaft will davon überhaupt nichts wissen, das ist eh klar«, sagt Karl Christian Handl. »Aber das ist keine kleine Community mehr. Das wird unterschätzt. Das Ding ist aus der Kinderschuhphase raus.« Wir sprechen mit dem älteren der beiden Handl-Brüder, der vom Tiroler Oberland aus in vierter Generation die Geschicke einer mittlerweile weltweit tätigen Fleischerdynastie lenkt. Exportquote: 60 Prozent; spezialisiert auf Speck, Salami, Schinken; bis vor kurzem saß Clemens Tönnies im Aufsichtsrat, der vom nordrhein-westfälischen Fleischriesen Tönnies. Zwar führt man seit zwei Jahren ein wachsendes Teilsortiment in Bioqualität. Doch Karl Christian Handl ist der Gottseibeiuns all jener, die sich bewusst von Massentierhaltung abgewandt oder gar ganz vom Fleischessen verabschiedet haben. Kurzum: Wir sprechen mit dem personifizierten Fleisch-Business, dem Repräsentanten einer Branche in Bewegung. Handl selbst spricht gar von einer »Revolution«, die bevorstehe.

Revolution aus dem Reaktor

Mit »keine kleine Community mehr« meint der Tiroler allerdings nicht die lautstarken VeganerInnen. Im Veganismus sieht er ein eher vernachlässigbares Nischenphänomen. Er spricht von Cultured Meat, also von im Labor kultiviertem Zellfleisch. Denn die Revolution kündige sich in Bioreaktoren an.

Seit 2013 der erste »Laborfleischburger« öffentlich verkostet wurde, wird weltweit erforscht, wie sich in Nährstofflösungen Zellkulturen züchten und zu Nahrungszwecken nutzen lassen. Davor hatte sich vor allem die Medizin für Kunstfleisch interessiert, etwa um verbrannte Haut ersetzen zu können. Doch Fleisch aus Massentierhaltung befeuert die globale Erwärmung und ist weiterhin dafür verantwortlich, dass Regenwälder für Anbauflächen von Futtermitteln gerodet werden. Und da mitten in der Klimakrise mit der Weltbevölkerung auch deren Hunger auf Fleisch wächst, könnte proteinreiches »Clean Meat« ein Teil der Problemlösung sein, für die – so die Hoffnung – in naher Zukunft auch keine Tiere geschlachtet werden müssen. Die Beratungsfirma AT Kearney kam 2019 nach umfassenden Recherchen entlang der Fleischproduktionskette zu dem Schluss, dass 2040 nur noch 40 Prozent des gegessenen Fleischs von geschlachteten Nutztieren stammen werden. Allein 2020 wurden geschätzt 400 Millionen US-Dollar in die Erforschung und Produktentwicklung von Cell Meat gesteckt. An Start-ups wie Aleph Farms, Mosa Meat oder Eat Just haben sich nicht nur FinanzinvestorInnen und GlücksritterInnen beteiligt, sondern auch die großen PlayerInnen der Fleischindustrie. »Aus Angst«, meint Karl Christian Handl, »denn man möchte einen Fuß in der Tür haben«. Ja, auch er habe mit Start-ups in den USA und in Israel geredet. Doch einfach nur Millionen zu überweisen, das war ihm zu wenig. Er hätte mitreden wollen. Also ließ er es bleiben (»An einem Start-up aus Österreich würde ich mich aber sofort beteiligen«). Angst vor der Konkurrenz aus der Nährlösung hat er selbst aber keine. Einerseits werde – »warum auch immer« – weltweit vor allem an künstlichen Substituten für Rindfleisch, Geflügel und Fisch laboriert. Sein Business hingegen ist das Verarbeiten von Schweinefleisch.

Burger aus dem Labor
Mit erdölbasierten Energiequellen könnte die Klimabilanz bei der Erzeugung von Kulturfleisch schlechter aussehen, als die von herkömmlichem Tierfleisch. Bild: Istock.com/CactuSoup.

Neben dem britischen Start-up Higher Steaks und Mission Barns aus den USA (das sich fokussiert um Cultured Bacon kümmert) widmet sich vor allem das niederländische Start-up Meatable explizit dem Thema »Cultured Pork« – und hält sich mit griffigen Provokationen wie »Save the planet. Eat pork« oder »Save pigs. Eat pork« im Gespräch. »Wir arbeiten darauf hin, unser Produkt 2025 in den Läden zu haben«, verkündeten die beiden Gründer aus Amsterdam zuletzt online. Wie weit die Forschung in China diesbezüglich gediehen ist, darüber gibt es keine aktuellen Auskünfte. 2019 ist es ForscherInnen der Nanjing Agricultural University gelungen, aus Stamm- und Muskelzellen vom Schwein Cultured Pork herzustellen. Zum selben Zeitpunkt hatte Meatable bereits verkündet, ganz ohne das teure und ethisch umstrittene Serum aus den Stammzellen von Rindern (Fetal Bovine Serum) auszukommen. Dieses wird aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen, für das eine trächtige Kuh geschlachtet und das Blut dem Kälberfötus direkt aus dem noch schlagenden Herzen abgezapft werden muss.

Schweinefleisch als Billigprodukt

»Bei traditionellen Produkten wie Speck und Salami mache ich mir jedenfalls keine Sorgen«, sagt der Tiroler Specktycoon. »Die Menschen wollen ja auch die Story dahinter. Wir können das alles natürlich noch viel tiergerechter machen, aber die KonsumentInnen müssen es halt zahlen.«

Einer der möglichen Gründe, warum zwar große Anstrengungen in Cultured Beef und Cultured Poultry gesteckt werden, Cultured Pork aber weniger attraktiv erscheint, ist, dass Schweinefleisch ein Billigprodukt ist. Damit wird es vermutlich verhältnismäßig lange dauern, bis das derzeit noch vielfach teurere In-vitro-Fleisch mit jenem aus den großen Mastanlagen und Schlachthöfen mithalten kann. Auch wenn die Produktionskosten für Kulturfleisch laufend sinken. Noch sind viele Unbekannte im Spiel. Die US-Branchenplattform »Food Navigator« verglich im März 2021 mehrere Studien zum Thema Clean Meat und folgerte, dass Zellfleisch »preistechnisch innerhalb der nächsten Dekade wettbewerbsfähig sein könnte«. Ungewissheit besteht auch deshalb, weil alle bisherigen Produktionsweisen im kleinen Maßstab funktionieren und es bislang keinen einzigen industriellen Bioreaktor gibt, in dem Zellfleisch in großen Mengen wachsen könnte.

Was für Cultured Pork spricht

Dabei gibt es durchaus einige Argumente, die für In-vitro-Schweinefleisch sprechen. »Genauso wie bei anderem Zellfleisch ist der Ressourcenverbrauch bei Cultured Pork geringer als bei der klassischen Herstellung, wo Mastschweine rund sechs Monate leben und in dieser Zeit Energie verbrauchen«, sagt Carsten Gerhardt, der bei AT Kearney für die Bereiche Landwirtschaft und Nachhaltigkeit zuständig ist. »In der Mast wird aus etwa drei Kilogramm Futter nur ein Kilogramm Lebendgewicht beim Schwein. Das Futter-Fleisch-Verhältnis ist noch schlechter, weil mit den Organen, Fell, Knochen etc. ja noch weitere Gewichtsbestandteile entstehen, die man nur bedingt verwenden kann.« Derzeit werden laut Food and Agriculture Organisation (FAO) täglich vier Millionen Schweine geschlachtet. Auch wenn das Good Food Institute schätzt, dass sich der Landverbrauch durch Laborschweinefleisch im Vergleich zu Mastschweinen um 72 Prozent senken ließe und die freigesetzten Treibhausgabe um die Hälfte. Ob es wirklich einen nennenswerten Impact hat, das wagen auch diverse Studien nicht einzuschätzen. »Da noch niemand so einen Rieseninkubator gebaut hat, kennt niemand genaue Zahlen«, meinte dazu Silvia Woll, Philosophin vom Karlsruher Institut für Technologie, in der »Süddeutschen Zeitung«. Absolute Voraussetzung wäre, dass die energieintensiven Bioreaktoren aus erneuerbaren Stromquellen gespeist würden. Andernfalls könnte die Klimabilanz von Kulturfleisch am Ende sogar schlechter sein.

»Die massiven Auswirkungen der Schweinegrippe auf die Fleischindustrie haben Cultured Pork attraktiver gemacht und die Forschung vorangetrieben.«

Ahmed Khan, Zellbiologe und Branchen-Reporter (»Cell AG«)

Dass Krankheiten wie die Afrikanische Schweinepest oder die Schweinegrippe zuletzt den Weltmarkt für Schweinefleisch ins Stocken brachten, hat die Anstrengungen im Labor keinesfalls kleiner werden lassen. »Die massiven Auswirkungen der Schweinegrippe auf die Fleischindustrie haben Cultured Pork seit 2019 attraktiver gemacht und die Forschung vorangetrieben«, sagt Ahmed Khan, ein in Dubai ansässiger Zellbiologe und Verfasser eines weltweit gelesenen Newsletters (»Cell AG«) zum Thema Cell Agriculture.

Portait von Ahmed Khan
Ahmed Khan ist Zellbiologe und Gründeer des Unternehmens CellAgri. Bild: Cell AG.

Rechtslage im Binnenmarkt

Dass diese Entwicklung rasant vorangehe, werde in Europa kaum wahrgenommen, bedauert Karl Christian Handl: »Alles ist in greifbarer Nähe. Wir schlafen da in Europa leider komplett. Aber das ist nichts, das erst in 20 Jahren auf uns zukommt.« Bis es komplexes Muskelfleisch aus dem Laborbaukasten gibt, dürfte es zwar noch einige Zeit dauern. BeobachterInnen der Branche rechnen aber damit, dass es in drei bis vier Jahren erste verarbeitete und in der Struktur einfacher künstlich herzustellende Produkte wie Nuggets und Würstchen zu kaufen gibt; oder Hybridfleisch, welches zum überwiegenden Teil aus pflanzlichen Proteinen und zu einem geringen Teil aus tierischen Fettzellen aus dem Reagenzglas stammt. Letzteres wäre auch deutlich billiger als vollwertiges Cell Meat. In Singapur wurde dem Unternehmen Eat Just nach einem aufwendigen Prüfungsverfahren durch die Behörden im November 2020 der Verkauf von synthetischen Chicken-Nuggets gestattet. In der Europäischen Union fällt Cultured Meat unter die Novel-Food-Verordnung und muss, bevor es verkauft werden darf, durch die European Food Safety Authority (EFSA) aufwendig geprüft und freigegeben werden. Als Testmarkt zum Ausprobieren von Produkten eignet sich der europäische Binnenmarkt deshalb nicht. Auch die Akzeptanz für Cultured Meat dürfte sich im tendenziell technologiekritischen Europa fürs Erste in Grenzen halten. Hybridfleisch mit einem hohen Anteil an Pflanzenprotein könnte sich schneller durchsetzen. Genau das findet Speckvermarkter Karl Christian Handl »geradezu pervers: Für hochverarbeitete Pflanzenpampe mit 25 Zusatzstoffen zahlen die Leute 26 oder 28 Euro pro Kilo. Für ein Kilogramm Fleisch sind sie aber nur drei oder vier Euro zu zahlen bereit. Und gleichzeitig fordern sie mehr Tierwohl ein.«

Wann Cultured Meat »halal« sein kann

Indes beschäftigt Cultured Meat nicht nur angestammte Branchen und weltliche Behörden. Auch die Religionsgemeinschaften sehen ihre Lebensmittelvorschriften gefordert und ringen sich bereits neue Normen ab. »Vereinzelt haben sich dazu schon islamische Rechtsgelehrte geäußert, ob kultiviertes Fleisch als halal zu klassifizieren ist«, sagt Islamwissenschaftlerin Isabel Schatzschneider von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die sich selbst seit zehn Jahren auch den weltweiten Halal-Märkten widmet. Die Tendenz wäre eindeutig: Kultiviertes Fleisch kann halal sein – sofern die tierischen Zellen nicht vom Schwein stammen. Außerdem müssen die Tiere nach islamischen Halal-Standards geschlachtet worden sein.

Blut oder Serum darf im Produktionsprozess keines verwendet worden sein. Somit ist für streng religiös lebende MuslimInnen Cultured Pork zwar tabu. Cultured Meat ist als Alternative zum »geschlachteten Fleisch« aber prinzipiell gestattet. Wobei Schatzschneider nicht glaubt, dass es den klassischen Fleischkonsum jemals ganz ersetzen wird. Auch dafür sprechen religiöse Traditionen: »Die Schlachtung von Tieren ist für zwei religiöse Festlichkeiten im Islam bedeutsam: fürs Opferfest und bei der Geburt eines Kindes.«

Carsten Gerhardt ist promovierter Physiker und beim Beratungsunternehmen AT Kearney für Landwirtschaft und Nachhaltigkeit zuständig.

Isabel Schatzschneider ist Islamwissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

BIORAMA #72

Dieser Artikel ist im BIORAMA #72 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL