Briiing it on! Crowd-Delivery im Feldtest

Flottes Heim-Lieferservice lässt sich nicht mit umweltbewusster Lebensführung vereinen? Vielleicht doch. In Graz wird gerade getestet und getüftelt – die Stadtbewohner sind Versuchskaninchen für das Konzept einer Crowd-Delivery-Plattform: Jeder wird zum potenziellen Lieferanten – ob zu Fuß oder mit dem Rad.

»Ich geh in die Stadt, soll ich dir was mitnehmen?« – eine oft gestellte Frage, die sich üblicherweise nur an Freunde, den Mitbewohner oder die Oma richtet. Sie schafft eine klassische Win-Win-Situation: Man profiliert sich als zuvorkommendes soziales Wesen, hat wenig Mehraufwand und tut anderen einen echten Gefallen. Dieses Prinzip, das der Crowd Delivery, liegt auch der Idee von »Briiings« zugrunde – der alternative Lieferservice setzt auf Zustellung per pedes und hat es sich zum Ziel gemacht, die regional ansässigen Geschäftslokale zu fördern.

Das Crowd-Delivery-Projekt entwickelt sich vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Onlinehandels. Von weit her – meist aus Amazonien und Zalandoland – rollen die Pakete heran und finden ihren Weg in die Grazer Haushalte. Gleichzeitig entsteht immer öfter das Bedürfnis, stattdessen den lokalen Marktplatz sowie eine autofreie Zustellung zu fördern. Denn für Städte ist nicht nur das gesteigerte Verkaufsaufkommen und die damit einhergehende Feinstaubbelastung problematisch. Auch der Rückgang der regionalen Käufe stellt eine Bedrohung für die Geschäftslandschaft in der Innenstadt dar.

Die größten Verlierer des boomenden Onlinehandels sind jene lokalen Geschäfte und kleinen Boutiquen, denen die Kapazitäten fehlen, um einen Webauftritt zu gestalten und aktiv am Onlinegeschäft teilzunehmen. Sie sind auf ihren Standort angewiesen. Doch wie kann man diesen attraktiv gestalten, ohne dass die Kundschaft auf die Bequemlichkeit des Sich-liefern-Lassens verzichten muss?

Als Antwort auf solche Fragen entwickelten Forscherinnen und Forscher der Technischen Universität Wien (Verkehrssystemplanung) gemeinsam mit dem auf die Konzeption digitaler Assistenzsysteme ausgerichteten Unternehmen Evolaris ein spezielles Delivery-Konzept, bei dem einerseits die gesamte Crowd liefernd aktiv werden kann und gleichzeitig der Fokus darauf liegt, den kleinen urbanen Einzelhandel zu fördern.

Für den Feldtest boten einige Grazer Läden ihre Waren online an. Es wurden vordergründig regionale Produkte angeboten und die Shops zeichnen sich allesamt durch ihr nachhaltiges Geschäftsmodell aus.

Crowd-delivery – und was ist neu?

Die Crowd – das ist jeder, du und ich. Die Idee bei Crowd-Delivery-Konzepten ist, dass sich Privatpersonen untereinander ein Mitbringservice bieten, bei dem sie etwa am Nachhauseweg eine Lieferung auflesen und diese für den Nachbarn oder für andere sich in der Nähe befindende Personen mitnehmen. Idealerweise bedeutet dies nur einen geringen Mehraufwand, während sich der Empfänger lästige Einkaufs(um)wege erspart.

Briiings erweitert dieses Konzept um zwei Komponenten: Zum einen sollen die Pakete ressourcenschonend mit dem Fahrrad oder zu Fuß an die Zustelladresse gelangen, zum anderen stärkt der Service die Präsenz lokaler Händler, denn nur von diesen kann über die gleichnamige Plattform bestellt werden. Fundament dieses Botendienstes ist ein gewisses Vertrauen an die teilnehmenden Individuen und ein Hang zur uneigennützigen Tätigkeit.

Wie sieht das konkret aus? Ich mache den Versuch: Ein Fahrrad saust über meinen Bildschirm, die Plattform präsentiert sich im hippen Blitzblau und verspricht eine »umweltfreundliche Lieferung – fast like a cliiick«. Einmal auf der Plattform eingeloggt, kann‘s losgehen. Ich wähle das gewünschte Produkt aus; für den Feldtest präsentieren hier einige Grazer Läden ihre Waren. Es werden vordergründig regionale Produkte angeboten und die Shops zeichnen sich allesamt durch ihr nachhaltiges Geschäftsmodell aus.

Meine Wahl fällt auf »Das Gramm«, einen verpackungsfreien Lebensmittelmarkt. Jeder, der auf Essbares in Gläsern steht, liebt diese nach frischen Kräutern und angebratenen Gemüse duftende Greißlerei in der Neutorgasse. Einige Klicks später ist die Bestellung vollendet: »Einmal das ‚Gramm-Frühstückssackerl‘ bitte, bin heute, Dienstag, und Mittwoch jeweils von 18–19 Uhr zu Hause.« Es dauert nicht lange, schon bekomme ich die Bestätigung per E-Mail, dass mir eine gewisse Sophie G. das Paket noch heute Abend zustellen wird. Sehr cool!

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Sobald die Bestellung über Briiings von einem Teilnehmer angenommen wird, sind für diesen meine Adresse und Telefonnummer ersichtlich. Sophie G. kann mir also Bescheid geben, sollte sie sich verspäten oder doch erst am nächsten Tag erscheinen. Doch ich habe Glück, es läutet pünktlich um 18 Uhr an der Tür: Sophie G. und mein Frühstückssackerl sind da! Ich überreiche ihr das Geld und wir tratschen ein Weilchen, dabei stellt sich heraus, dass sie direkt gegenüber wohnt – »Beim nächsten Mal«, versichere ich, »bring ich dir was mit!«

Im Falle eines tatsächlich unzuverlässigen Lieferanten kooperiert Briiings mit Fuhrwerk, einem lokalen Fahrradkurierdienst, sodass bei Ausfall der Crowd das Paket trotzdem geliefert wird. Und damit das Beliefern nicht rein auf Selbstlosigkeit basiert, führt die Plattform auch ein »Leaderboard«. Darauf werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach ihren absolvierten Kilometern gelistet. Ab einer gewissen Anzahl an angenommenen »Jobs« und zurückgelegter Strecke erhält man Gutscheine zur Belohnung.

Und was sagen die teilnehmenden Geschäftsleute dazu? »Ich glaube, dass unser Bekanntheitsgrad dadurch enorm wächst. Allein in dieser Testphase des Projekts haben wir unzählige Frühstückssackerln verkauft und mehr Leute wurden auf die besondere Qualität unserer Produkte aufmerksam«, meint die Verkäuferin im Gramm. »Außerdem haben wir keinen großen Aufwand, wir stellen die Produkte auf die Plattform und achten darauf, dass wir diese lagernd führen, damit keiner was bestellt, was dann nicht da ist … Das wars aber auch schon.«

Einen Monat lang waren die Probanden im Rahmen eines Feldtests unterwegs. Momentan werden die Ergebnisse ausgewertet und Verbesserungsvorschläge eingearbeitet. Damit ist das Forschungsprojekt abgeschlossen und es gilt jemanden zu finden, der die Idee aufgreift, ein Start-up gründet und das Miteinander vorabringt. Es ist ein Stupser in die richtige Richtung, um ein rücksichtsvolles und freundliches Zusammenleben im urbanen Raum zu forcieren. Denn durch Briiings erweitert sich der Kreis jener, die fragen »Ich geh in die Stadt, soll ich dir was mitnehmen?« um die gesamte Nachbarschaft. Davon haben im besten Fall alle was.

BIORAMA #54

Dieser Artikel ist im BIORAMA #54 erschienen

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