Zur Zukunft der Städte: Ökotopia in Graz

In der Ausstellung „Ökotopia“ im Graz Museum werden Stadtentwicklungsprojekte vorgestellt, die einen Fokus auf Ressourcenschonung und hohe Lebensqualität setzen. Kuratorin Alexandra Würz-Stalder gibt im Interview Einblicke in das Ökotopia-Modell.

Die steirische Hauptstadt Graz dient als Beispiel für das Ökotopia-Modell. Bild: pixabay.

Die Frage, wie wir in Zukunft im städtischen Gebiet zusammenleben werden, beschäftigt Forscherinnen und Forscher schon seit Jahren. Die Entwicklung eines umweltschonenden Konzepts mit hoher Lebensqualität stellt eine komplexe Herausforderung dar. Um sozial und ökologisch nachhaltige Ideen umsetzen zu können, braucht es zum einen eine theoretische Grundlage und zum anderen eine enge Zusammenarbeit von unterschiedlichen Disziplinen der Stadtentwicklung – genau hier setzt das Projekt Ökotopia an.

Utopie im Museum

Das Ökotopia-Modell ist das Ergebnis des gleichnamigen interdisziplinären Forschungsprojekts der FH Joanneum in Graz. Durch die Verbindung von baulichen, technischen, ökologischen und sozialen Aspekten gibt es einen Überblick über die derzeitige Situation einzelner Grazer Stadtteile, und stellt Projekte zum Thema Ressourcenschonung, Mobilität und Zusammenleben vor. Am Beispiel der Stadt Graz wurden von 2009 bis 2014 Daten erhoben und Projekte entwickelt, die die theoretische Grundlage für die Umsetzung verschiedenster Nachhaltigkeitskonzepte bilden.

Die Ökotopia-Ausstellung kann man bis 7. Oktober gratis im Graz Museum besuchen. Bild: Victoria Szabó.

Das Ökotopia-Modell wird derzeit in Form einer Ausstellung im Graz Museum vorgestellt. Anschauliche Tafeln und Schilder führen die Besucherinnen und Besucher durch einzelne Grazer Stadtteile und informieren über Merkmale aus den Bereichen Energie, Gesellschaft, Verkehr und Städtebau. Außerdem werden in der Ausstellung Projekte und Apps vorgestellt, die beispielsweise zur Verbesserung der Mobilität und Erreichbarkeit beitragen.

Die Stadt als Lebensraum

Konzepte zur Stadtentwicklung gibt es viele – was macht Ökotopia also zu einem besonderen Projekt? Das „Problem“ bei den meisten anderen Modellen ist die Einseitigkeit der Herangehensweise und der Methodik. Die Berücksichtigung von sozialen Aspekten der Stadtentwicklung unterscheidet Ökotopia von ähnlichen Ansätzen – denn erst durch die Einbindung von Nutzungsverhalten und der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Blickwinkeln kann ein Lebensraum auf lange Sicht umweltschonender werden.

Im Fall von Ökotopia wurde nicht nur fachübergreifend gearbeitet, sondern auch in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung in Form von Umfragen und Interviews. Auch in der Ausstellung selbst können die Besucherinnen und Besucher noch zu den Projekten beitragen indem sie Fragebögen ausfüllen, oder Anmerkungen und Ideen notieren.

Alle BesucherInnen können „Datenspuren“ in Form von Fragebögen hinterlassen um etwas zu den Projekten beizutragen. Bild: Victoria Szabó.

Smart City, Smart Food

Neben anderen zukunftsorientierten Projekten wird in der Ökotopia Ausstellung auch „30 Smart Food Grid Graz“ vorgestellt – eine Roadmap, die zum Ziel hat, Graz in eine nachhaltige Lebensmittelregion zu verwandeln. Das bedeutet konkret, dass 30% der konsumierten Lebensmittel bis zum Jahr 2030 aus dem 30km-Umkreis von Graz kommen sollen. Ein ambitioniertes Ziel, denn zum jetzigen Zeitpunkt liegt der Selbstversorgungsgrad der Stadt vor allem bei Gemüse, Getreide und Erdäpfeln deutlich unter dieser Prozentmarke.

Die Kombination von gesunder Ernährung, regionalen und saisonalen Lebensmitteln, umweltfreundlicher Produktion und bezahlbarer Grundversorgung wird unter dem Begriff „smarte Lebensmittelversorgung“ zusammengefasst. Die Roadmap bietet dabei einen Überblick über mögliche Handlungsstrategien und die Spielräume der involvierten Akteure. Für eine tatsächliche Umsetzung der Roadmap ist die Zusammenarbeit der einzelnen Akteure essentiell.

Wie und woher wollen Sie Ihre Lebensmittel beziehen? – Die zentrale Frage des Projekts 30 Smart Food Grid Graz. Bild: Victoria Szabó.

Die Ökotpia-Ausstellung ist das Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit und präsentiert sich dementsprechend komplex. Um das Ökotopia-Modell besser zu verstehen, hat BIORAMA mit Diplom-Ingenieurin Alexandra Würz-Stalder von der FH Joanneum Graz über die Hintergründe des Projektes gesprochen:

BIORAMA: Was ist Ökotopia und wer steht hinter den einzelnen Projekten?

Alexandra Würz-Stalder: Das Projekt ÖKOTOPIA wurde initiiert durch den Zusammenschluss von drei thematisch breit gestreuten Fachrichtungen – dem Bauen, der Infrastrukturwirtschaft und der Sozialen Arbeit – in das Department Bauen, Energie & Gesellschaft der FH JOANNEUM. Vor zehn Jahren wurde begonnen ein Förderprojekt der FFG zu akquirieren. Im zweiten Anlauf haben wir die Förderung eines fünfjährigen Forschungsprojektes mit dem Ziel des Aufbaus von inter- und transdisziplinärer Forschungskompetenz und Wissensgenerierung erhalten. Die beteiligten Studiengänge/Institute sind Bauplanung und Bauwirtschaft, Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement sowie Soziale Arbeit.

In der Ausstellungsbeschreibung wird erwähnt, dass „der Einfluss des Verhaltens der StadtbewohnerInnen“ eine große Bedeutung für Ökotopia hatte – was ist genau damit gemeint und wie wurden die BewohnerInnen mit in die Projektentwicklung einbezogen?   

Der Schwerpunkt des Projektes ÖKOTOPIA ist der Ressourcenverbrauch von Stadtteilen in Abhängigkeit zu ihrer Typologie und vor allem mit Fokus auf die Stadtbewohnerin, den Stadtbewohner und deren Nutzerverhalten. In diesem Zusammenhang wurden umfangreiche Untersuchungen unternommen, darunter auch eine sozialwissenschaftliche Befragung der BewohnerInnen in sieben Untersuchungsergebnissen in Graz. Dabei haben die StadtbewohnerInnen die Grundlage zur Entwicklung eines vielschichtigen „Datenkorpus“ beigetragen. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde ein Kriterienkatalog formuliert, der als Steuerungs- und Planungsinstrument für nachhaltige Stadtentwicklung eingesetzt werden kann. Das Projekt ist also eine theoretische Grundlage für tatsächliche Umsetzungsprojekte.

„Das Projekt ist eine theoretische Grundlage für tatsächliche Umsetzungsprojekte“ erklärt Kuratorin Alexandra Würz-Stalder. Bild: Victoria Szabó.

Wie geht es nach der Ausstellung weiter, werden die Projekte weiterentwickelt? 

Die an der Ausstellung beteiligten Studiengänge erarbeiten gerade unterschiedliche Projekte zum Themenbereich „zukunftsfähige Mobilität durch gesundheits- und bewegungsfreundliche Stadtentwicklung und -gestaltung“. Beispielsweise haben wir in Kooperation mit weiteren Forschungseinrichtungen ein Konzept zur Ausgestaltung eines Stadtteils in Hinblick auf „Comfortable and Healthy Aging“ für die Stadt Graz entwickelt, in welchem auch Erkenntnisse aus ÖKOTOPIA zur Anwendung gelangen können. Wir sind diesbezüglich mit der Stadt Graz im Gespräch.

Welche Reaktionen erwarten Sie von den BesucherInnen der Ausstellung? 

Es gibt die Möglichkeiten sogenannte „Datenspuren“ in der Ausstellung zu hinterlassen. Die Besucherinnen und Besucher sind dabei herzlich eingeladen, sich an einer Fortführung der Untersuchung anhand vorgefertigter Umfragebögen zu den einzelnen Fachbereichen wie Verkehr, Soziales, Energie oder Gebäude zu beteiligen. Auch über persönliche Ideen für Fragestellungen in den Untersuchungen freuen sich die Forscherinnen und Forscher.

Wie ist das Projekt Ökotopia entstanden?  

Die Ausstellung trägt den Namen ÖKOTOPIA, weil die Leitung des Stadtmuseums das Projekt ÖKOTOPIA  kennengelernt hat und mich eingeladen hat, dieses zu präsentieren. Neben dem eher theoretischen Projekt wollte ich auch Umsetzungsprojekte zeigen. Diese gezeigten Projekte kennzeichnen sich dadurch, dass sie StadtbewohnerInnen ermöglichen, die Stadt als Lebensraum zu begreifen und zu nutzen. Zukunftsweisend ist dabei für mich, dass es hierbei um die Gestaltung von Stadtleben und damit auch von Stadt geht, bei der nicht im Top-Down-Verfahren die räumlichen Voraussetzungen in städtischen Siedlungsgebieten durch fachspezifisches Know-how formuliert, sondern um die Erfahrungswerte der BewohnerInnen und deren speziellen Bedürfnisse ergänzt werden.

Graz ist mit nur knapp 290.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Österreichs. Bild: Victoria Szabó.

Wie könnte das Projekt Smart Food Grid Graz tatsächlich realisiert werden? 

Das „Smart Food Grid Graz“ Projekt thematisiert die Lebensmittelnahversorgung einer Stadt mit regionalen Lebensmitteln und ist damit ein Beitrag zum Thema Ernährungssicherheit. Für Umsetzungsprojekte sind bereits viele Akteure mit an Bord, um etwa einen Lebensmittelrat in Graz zu initiieren, mit Umlandbezirken Lebensmitteldialoge zu führen und Vorzeigebetriebe vor den Vorhang zu holen.

Welches ist das spannendste der Projekte, die aus der Ökotopia-Ausstellung bereits umgesetzt wurden? 

Jedes Projekt ist auf seine Weise spannend und sucht Antworten auf Fragen des Zusammenlebens von morgen. Die Herangehensweise ist dabei vielseitig und eine Wertung nicht möglich.

Wie geht es nach der Ausstellung weiter, werden die Projekte weiterentwickelt? 

Die Projekte werden unabhängig von der Ausstellung weiterentwickelt beziehungsweise deren Erkenntnisse in zukünftigen (Nachfolge-)Projekten mitgedacht.

Welche umweltfreundlichen/ressourcenschonenden Maßnahmen und Projekte gibt es in Graz derzeit allgemein, die auch erfolgreich umgesetzt werden? 

Die großen Smart City Graz – Projekte, in denen ganze Stadtteile neu entwickelt und bereits umgesetzt werden.

Ökotopia“ ist noch bis 7. Oktober bei freiem Eintritt im Graz Museum ausgestellt. An bestimmten Terminen werden Führungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Mehr Infos zum Projekt und zum Programm gibt’s hier.

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