Was bedeutet halbwegs berechenbar?

»Natürlich« verhüten – klingt verlockend. Das funktioniert sicher nicht für jedeN.

Verhütung ist nicht die einfachste Sache. Nicht, wenn man in einer Beziehung ist, und auch nicht, wenn man die richtige Methode sucht, um nicht bei einem One-Night-Stand schwanger zu werden. Neben den hormonellen wie beispielsweise Pille, Vaginalring oder Verhütungspflaster, mechanischen wie Kondom oder Diaphragma, der Spirale oder chemischen wie Zäpfchen wird üblicherweise von den nicht ganz so reichlichen Alternativen abgeraten, weil zu »unsicher«. Doch nimmt die Skepsis insbesondere gegenüber hormoneller Verhütung jedoch zu und die Alternativen bekommen auch dadurch Aufwind, dass für ihre Anwendung ein bestimmtes Körpergefühl entwickelt und erlernt werden muss.. Der Trend lautet – technische Hilfsmittel hin oder her – auch: Kenne und höre auf deinen Körper und nähere dich so (d)einer Natürlichkeit an!

Vorweg stellt sich allerdings die Frage, für wen nicht hormonelle Verhütungsmethoden geeignet sein könnten und für wen nicht. Laut René Wenzl eignet sich eine natürliche Empfängnisverhütung jedenfalls nur für Frauen mit einem stabilen Zyklus. Der Oberarzt für Frauenheilkunde an der Universitätsklinik der Meduni Wien weiß: »Jegliche natürliche Verhütung ist nur dann möglich, wenn ich einen halbwegs berechenbaren Zyklus habe.« Und das ist erst der Anfang, denn durch die oft geringere Zuverlässigkeit der Methoden und die erforderliche Disziplin in der Anwendung sind natürliche Verhütungsmethoden nicht für jedeN geeignet.

Vergleichsweise aufwendig

Aus einer kleinen Palette kann man sich das Passende mit seinem Partner auswählen – verbunden mit einem etwas höheren Zeitaufwand als gewöhnlich. Der Coitus interruptus (Pearl-Index von 4 bis 18), der vorsieht, dass man vor dem männlichen Höhepunkt die »Gefahrenzone« verlässt, um einer Befruchtung zu entgehen, oder die Kalendermethode (Pearl-Index von 9 bis 30!) wurden mittlerweile um Möglichkeiten ergänzt. »Hormonmessung, Temperaturmethode, Billings-Methode oder kombinierte symptothermale Methode« lassen schon vorab vermuten, dass es sich um nüchterne medizinische Verfahren handelt, aber schließlich geht es ja auch darum, zu verhüten – um konkrete Maßnahmen, die auf den Körper abgestimmt sind. Der Spaß-Teil ist der andere. 

Technik beziehungsweise Digitalisierung kommen den AnwenderInnen hier zugute, denn insbesondere bei der letztgenannten Methode wird man durch Verhütungscomputer unterstützt. Mittlerweile ermöglichen darüber hinaus einige Programme und Onlineangebote eine Erfassung und automatische Interpretation der Messwerte. Zu beachten ist, dass bestimmte Faktoren (z. B. Medikamente, Erkrankungen, Schlafmangel) die Testergebnisse verfälschen können und bei all den genannten Methoden eine sorgfältige Durchführung wichtig ist. René Wenzl betont zudem: »Ein entscheidender Faktor ist, ob man bloß verhüten oder auch einen Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen möchte, denn dann ist klar, dass eine natürliche Verhütung ungeeignet ist.«

Intelligente Anwendungen

Apps können bei der Durchführung bestimmter Methoden behilflich sein. So erstellt ein Programm aus den eingegebenen Daten eine Zykluskurve, zeigt unfruchtbare und fruchtbare Tage im Kalender an und ermöglicht den Vergleich mehrerer Zyklen. Wer möchte, kann sich durch ein Signal an das tägliche Eintragen der Daten erinnern lassen. Wichtig ist die Auswahl einer seriösen App und zu bedenken, dass aussagekräftige Studien zu deren Zuverlässigkeit bisher fehlen. Es ist daher unklar, wie sicher trotz sorgfältiger Eingabe aller Daten Schwangerschaften verhütet werden können.

Entscheidet man sich für eine Hormonmessung (Pearl-Index von 5 bis 6), wird ein Minicomputer verwendet, der das Ergebnis eines morgens durchgeführten Urintests auswertet und danach anzeigt, ob man an diesem Tag, ohne zusätzlich zu verhüten, schwanger werden kann oder nicht. Darüber hinaus »lernt« der Computer. Dadurch werden Empfehlungen speziell auf die Anwenderin angepasst. Das ist auch der Grund, warum zu Beginn der Selbstbeobachtung auch mehr morgendliche Messungen notwendig sind als später. Hormoncomputer ermitteln die fruchtbaren Tage, indem sie die Menge bestimmter Hormone im Morgenurin analysieren. Man gibt den Beginn seiner Monatsblutung ein und wird an bestimmten Tagen aufgefordert, einen Hormontest mit einem Teststreifen durchzuführen. Der Computer wertet die Konzentration der Hormone im Urin aus und gibt fruchtbare und unfruchtbare Perioden mit einem Lichtsignal an.

Mit der Temperaturmethode lässt sich im Vergleich dazu der genaue Zeitpunkt des Eisprungs ermitteln, da an diesem Tag die Körperwärme bis zu einem halben Grad ansteigt. Diese Verhütungsmethode bedarf ein wenig Disziplin, damit sie zuverlässige Informationen liefert, auf deren Basis die Tage ermittelt werden, an denen eine Frau fruchtbar ist. Ausgehend davon lässt sich dann grob ermitteln, an welchen Tagen Geschlechtsverkehr zu einer Schwangerschaft führen kann: Jeden Morgen wird – gleich nach dem Aufwachen und noch vor dem Aufstehen – die Basaltemperatur gemessen. Dabei kann ein Temperaturcomputer behilflich sein. Dieser ist etwa handtellergroß, batteriebetrieben und misst die Körperwärme mit einem Thermofühler.

Oft wertet er noch zusätzlich die Beschaffenheit des Zervixschleims oder des Muttermundes aus. Mithilfe dieser Daten werden die fruchtbaren und unfruchtbaren Zeiten im monatlichen Zyklus errechnet und angezeigt. Ohne Technik geht das auch. Dann ist es wichtig, immer dasselbe Thermometer zu verwenden. Für beide Varianten gilt, im Idealfall täglich zur gleichen Zeit zu messen und sich die Körpertemperatur täglich zu notieren oder in ein Temperaturdiagramm einzutragen. Zeichnet sich ein Anstieg ab und bleibt die Temperatur auf höherem Niveau, ist der Eisprung erfolgt. Die Temperaturmethode hat einen Pearl-Index von 3,8 bis 20 (!), was bedeutet, dass innerhalb eines Jahres 38 bis 200 von 1000 Frauen, die mit dieser Methode verhütet haben, schwanger geworden sind.

Mehr Zahlen und Daten zu Verhütung zum Beispiel im Österreichischen Verhütungsreport 2019. verhuetungsreport.at

Auch nicht viel besser schneidet die //Billings-Methode// ab. In diesem Fall beträgt der Pearl-Index im Schnitt 15. Bei dieser Methode nimmt man sein Scheidensekret genauer unter die Lupe. Darauf hat man vielleicht nicht jeden Tag Lust, aber was man dabei feststellen kann, ist eine Verflüssigung, die drei, vier Tage vor dem Eisprung stattfindet. An jenen Tagen, an denen zwischen zwei Fingern Fäden gezogen werden können, ist die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, am höchsten. So lautet die Theorie. Es wird empfohlen, den Körper zuerst über Monate hinweg in dieser Hinsicht zu beobachten, bevor auf diese Methode gesetzt wird. 

Am zuverlässigsten dürfte wohl die kombinierte symptothermale Methode sein. Im Vergleich zu anderen natürlichen Verhütungsmethoden gilt sie als recht sicher. Ihr Pearl-Index beträgt bei optimaler Anwendung 0,4 bis 2,6. Allerdings dauert es mehrere Zyklen, bis Anwenderinnen diese Methode erlernt haben und zuverlässig anwenden können. Die symptothermale Methode besteht darin, in den Tagen um den Eisprung die Beschaffenheit bereits oben genannter Körperflüssigkeit zu untersuchen, um dessen Zeitraum grob eingrenzen zu können, und ergänzend dazu jeden Morgen vor dem Aufstehen die Aufwachtemperatur (Basaltemperatur) zu messen, um abzulesen, wann der Eisprung vorüber ist. Nur etwa 6 bis 7 Tage im Zyklus sind fruchtbare Tage. Diese exakt zu bestimmen ist mit keiner dieser Methoden möglich, doch lässt sich mithilfe dieser der Zeitraum auf etwa 12 bis 14 Tage eingrenzen.

Kommt Zeit, kommt gutes Körpergefühl?

Bei natürlicher Verhütung Pearl-Indices zu nennen ist schwierig, denn sie hängen sehr stark von der Erfahrung der AnwenderInnen ab. »Da diese Methoden auch einschränken, weil sie eine längere Planung voraussetzen, eignen sie sich nicht für jemanden, der einfach die nächsten zwei Monate verhüten möchte, denn dafür müsste man sich selber schon ziemlich gut kennen«, hält René Wenzl fest. »Wenn jemand eine sichere Verhütung möchte, dann kann man diese Methoden nicht empfehlen, insbesondere bei häufigem Partnerwechsel. Das ist eben etwas, was die Pille möglich gemacht hat: das spontane Liebesleben. Die Revolution der Pille hat uns eine Unabhängigkeit gegeben, die ich mit › natürlicher Verhütung‹ komplett verliere. Wenn ich eine stabile Beziehung habe, ist das cool, aber wenn nicht, würde ich das niemandem raten.« 

Wie wird verhütet?

Das mittelmäßig wirksame Kondom ist das am häufigsten angewendete Verhütungsmittel in Deutschland und Österreich. Unter den wirksamen Methoden führt nach wie vor die Pille. Andere sehr wirksame Methoden werden deutlich seltener angewendet, gewinnen aber mit zunehmendem Alter an Bedeutung: Hormonspirale, Vasektomie (Sterilisation des Mannes), Kupferspirale. Ähnlich selten werden alternative Methoden angewendet: Coitus interruptus, Kalendermethode etc. In den letzten Jahren werden hormonelle Methoden kritischer beurteilt und seltener angewendet.

Pearl-Index

Er ist das Beurteilungsmaß für die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung und sagt aus, wie sicher eine Verhütungsmethode ist. Er gibt an, wie viele Frauen von 1000 ungewollt schwanger werden, wenn sie ein Jahr lang eine bestimmte Verhütungsmethode anwenden. Je niedriger der Pearl-Index, desto sicherer ist die Verhütungsmethode.

Zum Vergleich: Bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr ohne jegliche Art der Empfängnisverhütung beträgt der Pearl-Index im Alter von 20 Jahren etwa 80 bis 90 und sinkt mit steigendem Alter stetig.

Univ.-Prof. Dr. med. René Wenzl, Facharzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde und Oberarzt an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde. Bild: MedUni Wien/feelimage.

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