Campen im Wolfsgebiet

Ein Wolf kann mittlerweile überall in Europa auftauchen. Was ist zu beachten, wenn wir im Territorium eines Rudels wandern gehen oder ein Zelt aufschlagen?

Campingzelt
Worauf man beim Campen achten sollte, um Wildtiere möglichst wenig zu stören. Bild: Istock.com/RaynJLane.

Die Angst ist unbegründet, aber sie sitzt tief. »Kein Wunder«, sagt Stephan Kaasche, »wir waren den Großteil unserer Menschheitsgeschichte vor allem Beute. Deshalb ist die Angst vor wilden Tieren evolutionsbiologisch auch nichts Verkehrtes.« Beim Wolf ist sie allerdings grundfalsch. Da ist sich Kaasche mit allen anderen, die sich seriös mit dem Wolf beschäftigen, einig. Die Gefahr geht eher vom Menschen aus. Das gilt nicht nur im Straßenverkehr, wo 2020 allein in Deutschland beinahe 400 Wölfe starben (etwa 141 in Brandenburg, wo viele Rudel leben, aber nur drei in Baden-Württemberg), oder im Fall von illegalen Tötungen (2020 wurden deutschlandweit 51 davon dokumentiert), sondern gerade auch dann, wenn sich der Mensch selbst draußen unbedarft verhält – und wilde Tiere dadurch zu unerwünschtem Verhalten verleitet. Oft passiere das unbewusst, sagt Stephan Kaasche.

Kaasche kennt den Wolf wie wenige sonst in Deutschland. Er hat ihn bei der Jagd auf Hirsche oder Hasen beobachtet; bei der Paarung; beim Aufziehen der Welpen. Schon von Jugend an fühlt er sich zu dem Raubtier hingezogen. Seit 2007 ist er in der sächsischen Lausitz als Natur- und Landschaftsführer aktiv. Dort, wohin vor über 20 Jahren die ersten Wölfe nach Deutschland zurückkehrten, begleitet er Wolfswanderungen und leitet Spurenexkursionen durchs Wolfsgebiet. Garantie, einem Wolf zu begegnen, gebe es dabei keine. Das ist ihm wichtig. »Wenn jemand verspricht, ›Ich zeig euch Wölfe!‹, dann wäre ich skeptisch«, sagt er. Denn die Tiere anzufüttern – um sie beobachten oder aus der Nähe fotografieren zu können – sei das Schlimmste. Dadurch verknüpfen sie die Nähe zum Menschen mit Nahrung. Viele der sogenannten Problemwölfe, die zum Abschuss freigegeben werden, haben ihr unerwünschtes Verhalten auf solche Weise entwickelt; in direkter Anpassung an den Menschen. »Wichtig ist deshalb, dass Wildtiere nicht die falschen Erfahrungen sammeln.«

Kein Essen zurücklassen

Beim Wandern, beim Mountainbiken und beim Zelten bedeutet das, niemals und nirgendwo Essensreste zurückzulassen – auch nicht nachts am Lagerplatz. »Noch wichtiger ist das in Gegenden, wo es Bären gibt. Denn ein Bär interessiert sich als Allesfresser für alles, was auch der Mensch isst«, sagt Kaasche. Durch einen befreundeten Naturführer in Skandinavien wisse er von einer Bärin, die ganz gezielt Wanderwege entlangstreift – im Wissen, dass sie am Wegesrand immer wieder Kekse, Wurstecken oder weggeworfenes Obst findet.

Auf Wanderwegen bleiben

Auf Wegen und vorgezeichneten Routen zu bleiben ist allerdings oberstes Gebot. »Querfeldein bin ich eine massive Störquelle«, sagt Kaasche. Aufs Erste mag das widersinnig klingen. Doch gerade weil die meisten Wildtiere gelernt haben, Wege eher zu meiden, gebe es auf ihnen eine größere Wahrscheinlichkeit, sie zu beobachten.

Wolf in der Wildnis
Wölfe leben mittlerweile überall in Europa. Gefahr geht von den Tieren auch dann keine aus, wenn wir im Wolfsgebiet zelten. Hunde sollten nachts aber im Zelt bleiben. Bild: Stephan Kaasche.

»Die Tiere wissen aus Erfahrung, dass auf Wegen immer wieder jemand kommt und geht, ohne eine Gefahr darzustellen, und bleiben deshalb eher entspannt. 100 Meter weiter drin im Wald wird dasselbe Tier scheu sein und sich zurückziehen, weil es dort keinen Menschen vermutet.« Mit einem Fernglas gelinge es ihm mit seinen Wandergruppen deshalb auch immer wieder, Wölfe von häufig frequentierten Wegen aus zu beobachten.

Hunde an die Leine

Hunde in freier Wildbahn an der Leine zu behalten dient nicht nur dem Schutz von Wildtieren. Oft bekommen HundehalterInnen gar nicht mit, dass ihr stöbernder Liebling ein paar Meter abseits im Unterholz frisch gesetzte Hasen, am Boden brütende Vögel oder ein Rehkitz totbeißt. Gerade im Wolfs- oder Bärengebiet sind sie in der Nähe des Menschen am sichersten. Herumstreunend können sie von einem Wolfsrudel als Eindringlinge in sein Revier erachtet und als direkte Konkurrenten getötet werden. Besonders kleinere Kläffer werden mitunter auch als Beute betrachtet. »Gegen einen ausgewachsenen Wolf oder gegen ein ganzes Rudel hat ein Hund jedenfalls keine Chance«, sagt Kaasche.

Die feine Nase seiner Malinois-Hündin Anima, ein eineinhalbjähriger Belgischer Schäferhund, hilft ihm auf seinen Wolfswanderungen immer auf der Suche nach Spuren und Losung. Aber auch sie wird stets an der Leine geführt – nicht nur zum Schutz vor dem Wolf. »In Gegenden, in denen Wildschweine Erfahrungen mit Wölfen haben und vielleicht schon einmal von ihnen gejagt wurden, sind sie auch deutlich wehrhafter gegenüber Hunden.« In Skandinavien wiederum gehe die größte Gefahr von Elchen aus, die Hunde niedertrampeln. Und der schlimmste Fall wäre wohl ein streunender Hund, der im Unterholz einen Bären trifft und von diesem verfolgt zurück zum Menschen flüchtet – den Bären im Schlepptau.

Stephan Kaasche mit Hündin
»Wenn jemand verspricht, ›Ich zeig euch Wölfe!‹, dann wäre ich skeptisch«, sagt Naturführer Stephan Kaasche. Im Bild und auch sonst stets an seiner Seite: Schäferhündin Anima. Bild: Wolfswandern.

Hunde nachts ins Zelt

Auch die Nächte verbringen Hunde am besten im Zelt oder im Bungalow. Dort sind sie vor Wölfen wie vor Bären sicher. »Dass der nachts bellt, wenn sich ein Bär nähert, ist normal«, sagt Stephan Kaasche. »Und 99 Prozent aller Bären werden von einem Hund vertrieben.« Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nie. Ebenso wenig, wie man im Wolfsgebiet sicher sein kann, wirklich Wölfe wahrzunehmen. Denn zumeist sucht ein Rudel das Weite, lange bevor der Mensch es überhaupt sehen könnte.

Dennoch gebe es »den Mythos vom sehr scheuen Wildtier Wolf«, bedauert Kaasche. »Gerade junge Wölfe sind nun mal unvorsichtig. Es kann sein, dass ein Jungtier fünf Meter vor mir aus der Brombeerhecke springt und wegläuft. Das ist nicht unproblematisch. Aber es bleibt ein großes Glück und unwahrscheinlich, einem Wolf zu begegnen.«

Mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit kann man Wölfe nachts heulen hören. In klaren Nächten ohne Regen, raschelnde Blätter und Grillenzirpen sind sie weithin hörbar – bis zu drei, vier Kilometer. »Wenn sie wie Hunde bellen, um andere Wölfe vor ihrem Revier zu warnen, dann ist das sogar noch weiter hörbar.«

Lagern noch bei Tageslicht

Wer gerne unter Sternen übernachtet, weiß, dass es viele Vorteile hat, das Quartier nicht erst bei bereits anbrechender Dunkelheit oder ganz im Finsteren aufzuschlagen. Die Gegend, in der wir uns niederlassen, bei Tageslicht gesehen und sich dort auch umgesehen zu haben hilft, unliebsame Begegnungen zu vermeiden. »Dabei achte ich auf Spuren, um sicherzugehen, dass ich mich nicht im Rückzugsraum eines Bären oder vor einer Wolfshöhle niederlasse«, sagt Kaasche. Wir müssten uns bewusst sein, uns in der Natur im Lebensraum von Wildtieren zu bewegen, als Fremde und Eindringlinge. »Wenn sich zuhause jemand auf unsere Couch legt, wundert sich auch niemand, dass wir nicht wegrennen. Wenn wir bleiben, dann denkt sich auch niemand: Guck mal, die sind aber zahm hier.‹«

Bis in den Frühsommer hinein, wenn die Welpen im Rudel noch klein sind, bleibt der Bewegungsradius der Tiere geringer. Theoretisch ist es sinnvoll, sich vorab zu informieren, ob wir uns im Territorium eines Wolfsrudels bewegen. Praktisch ist das allerdings nur bedingt möglich. In Deutschland beispielsweise melden die Bundesländer ihre Wolfszahlen und Territorien meist erst im Sommer oder Herbst. So beziehen sich die aktuellsten Zahlen auf der Website der »Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf« auf den Zeitraum von Mai 2019 bis April 2020: Die Reviere der 128 Rudel gelten als gesetzt. Aber auch die 36 Paare könnten Nachwuchs haben und auch die zehn Einzeltiere mittlerweile im Familienverband leben.

Wer den »Burgfrieden« vor der Wolfshöhle nicht stören möchte, bleibt auch deshalb auf Wanderwegen – und lagert auf dafür vorgesehenen Plätzen.

Geführte Wolfstouren

In der Lausitz in Sachsen leben mittlerweile seit zwei Jahrzehnten wieder Wölfe. Darauf haben sich auch einige NaturführerInnen spezialisiert. wolfswandern.de, wolflandtours.de

BIORAMA #72

Dieser Artikel ist im BIORAMA #72 erschienen

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