»Planetenforschung kostet nicht die Welt« 

Ulrich Köhler erforscht seit 30 Jahren unseren und andere Planeten – und blickt zuversichtlich ins Universum.

Ein Foto, welches den Planten Erde vom Mond aus zeigt, aufgenommen 1968.
Das Foto »Earthrise« wurde am 24. Dezember 1968 vom Astronauten Wlliam Anders geschossen. Bild: NASA/William Anders CC-O - Gemeinfrei.

BIORAMA: Welches ist Ihr liebstes Bild im Universum?

Ulrich Köhler: Da geht es mir wie so vielen: das Bild, das Heiligabend 1968 von der Crew von Apollo 8 aufgenommen worden ist, als die Erde über dem Mondhorizont stand. Das ist das ikonenhafteste Bild, das die Menschheit je gemacht hat, denn es zeigt so viel. Es zeigt die Verletzlichkeit der Erde, dieser kleinen blauen Murmel mit ihrer dünnen Atmosphäre. Es zeigt die Trostlosigkeit anderer Himmelskörper am Beispiel des Mondes, auf dem es keine Atmosphäre, keine Meere, kein Leben gibt. Bis jetzt haben 24 Menschen die Erde als Kugel aus der Distanz des Mondes gesehen. Und alle haben sie gesagt, dadurch wurde ihnen erst klar, wie unermesslich groß das Universum ist und wie zerbrechlich die Erde. Und der Mond ist nur lausige 400.000 Kilometer weit weg und andere Sterne sind noch viel, viel, viel, viel, viel, viel weiter entfernt.

Aber wir leisten uns die Raumfahrt nicht nur, um uns die Zerbrechlichkeit der Erde vor Augen zu führen?

Der Mensch will seine kosmische Umgebung erkunden. Er macht das hauptsächlich mit automatischen Raumsonden, das kostet weniger als mit Astronautinnen und Astronauten, deren Leben zu schützen recht aufwendig ist. Es gibt freilich viele andere Anwendungen, auch die kommerzielle Raumfahrt. Zumindest in Europa und bei der Nasa steht bei der Raumfahrt schon der Nutzen für die Menschheit groß im Vordergrund. 
Ein ganz wichtiger Aspekt der Raumfahrt ist gerade im Hinblick auf den Schutz der Erde der Umgang mit dem Klimawandel. Nur weil wir Forschung aus dem Weltall haben, können wir überhaupt einschätzen, wie es um unseren Planeten steht. Den globalen Blick auf die Erde gibt es erst seit 50 Jahren und der ist unermesslich wichtig bei der Einschätzung dessen, was wir jetzt tun müssen.
Es gibt natürlich dann auch noch Planetenforschung – mein Spezialgebiet –, die ist ein Randaspekt und kostet nicht »die Welt«. Das ist halt Grundlagenforschung. Das macht man, um herauszufinden: Warum ist die Erde so, wie sie ist? Warum gibt es gerade hier Leben und nicht auf der Venus und auf dem Mars? Oder gibt es doch Leben? Welche Planeten gibt es sonst noch? Erst kürzlich hat der Mensch zum ersten Mal einen kleinen Himmelskörper, einen Asteroiden, in seiner Bahn beeinflusst, indem er ihn mit einer Raumsonde gerammt hat.

Wie viel wissen wir darüber, was da noch auf uns zukommt?

Etwa die Hälfte der Asteroiden, die größer als 100 Meter sind, glaubt man entdeckt zu haben. Die andere Hälfte fehlt noch. Lange war das eher ein Tabuthema: den Menschen ja keine Angst einjagen! Vor rund 15 Jahren hat im Uno-Ausschuss für Weltraumangelegenheiten in Wien der amerikanischer Apollo-9-Astronaut Rusty Schweickart gesagt: Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass die Erde mal von einem Asteroiden getroffen werden kann. Jetzt gibt es automatisierte Suchprogramm mit Teleskopen. Denn wenn man nichts dagegen unternehmen kann, wird man halt getroffen. Und jedes Jahr ist am 30. Juni der »Asteroidentag«, an dem darauf hingewiesen wird.

Denken Sie beim Stichwort »Leben auf anderen Planeten« zuerst an Aliens oder ans Auswandern?

Weder noch. Wenn man in unserem Sonnensystem überlegt, wo Leben möglich sein könnte, dann wissen wir ziemlich genau, dass es auf dem Mars wohl so gewesen sein konnte, vielleicht gibt es dort sogar noch ein paar Mikroorganismen. Aber intelligentes Leben – so wie wir? – sicher nicht. Wir sind auf dem Planeten Erde, der in der richtigen Entfernung zur Sonne ist und wo sich vor gut 3,7 Milliarden Jahren Leben entwickelt hat. Und das war lange Zeit ganz primitiv. Dann kam die Photosynthese und hat die Atmosphäre umgewandelt. Dann kam vor 540 Millionen Jahren die kambrische Explosion und dann ging die Artenvielfalt wie verrückt los. Und erst vor vielleicht 2 Millionen Jahren kam der Mensch dazu. Und seit 100 Jahren können wir uns – theoretisch – elektronisch mit Radiowellen mit jemandem austauschen.
Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: Unser Stern ist einer von 200 Milliarden Sternen in der Milchstraße. Und die Milchstraße ist eine von Milliarden von Galaxien. Und wenn man das Ganze statistisch betrachtet, wird es sicherlich irgendwo anders auch einen Himmelskörper geben, der ähnliche Voraussetzungen hat wie die Erde und einen ähnlichen Stern hat wie die Sonne. Warum hat sich gerade auf unserer Erde Leben entwickelt? War es Zufall oder war das zwingend?

Dafür habe ich keine Frage vorgesehen, aber falls Sie die beantworten können …

Ja, das ist in der Wissenschaft auch das Faszinierende, dass wir so Zentrales noch nicht wissen. So ein Bänkchen unter orangen Lärchen wie das, auf dem ich grade sitze und das Telefoninterview gebe – gibt es das irgendwo anders nochmal im Universum?

Sollten wir uns mit Ressourcen und Hirnschmalz der technischen Vorbereitung des Umzugs auf einen anderen Planeten widmen, während wir den, auf dem wir leben können, zerstören?

Es ist absolut abwegig, in diesem Jahrhundert daran zu denken, irgendwo erste Kolonien auf anderen Himmelskörpern aufzubauen. Das wird noch lange dauern und es wird sicherlich nicht die Lösung sein, um die Erde wieder in die Spur zu bringen und vor ihrem Untergang zu bewahren. Wir haben definitiv keinen Planet B!
Außerdem: Die riesige Erde werden auch wir Menschen nicht zerstören. Wir zerstören, wenn wir uns weiter so richtig dumm anstellen, unsere Lebensgrundlagen. Die Erde wird es nicht jucken, wenn es uns nicht mehr gibt.

»Ist es das wert, dass der ›Westen‹, sagen wir, 100 Milliarden dafür ausgibt, drei Hanseln zum Mars zu bringen?«

Ulrich Köhler, Planetengeologe

Welche von Elon Musks Ankündigungen nehmen Sie wie ernst, wenn er verkündet, wir siedeln Mitte des Jahrhunderts auf den Mars?

Der Eindruck, den manche »Visionäre« vermitteln, wir könnten auf dem Mond permanente Siedlungen errichten, das ist schon sehr, sehr ehrgeizig. Da wird sich in den nächsten zehn Jahren ein bisschen was tun, ein paar Menschen werden ein paar Wochen da oben bleiben. Aber Siedlungen auf dem Mars, wo sich Menschen auch fortpflanzen, sind in dem Jahrhundert nahezu unrealistisch.
Die Raumfahrt ist noch lange nicht so weit, dass sie das kann. Es war etwas anderes, was Musk gemacht hat, ein fundamentaler Schritt: Nämlich, dass er gesagt hat, wir müssen endlich mal dahin kommen, dass Komponenten von den Trägerraketen wiederverwendbar werden – und nicht einfach in den Ozean stürzen und weg sind. Und das wurde geschafft. Das sind die kleinen großen Sprünge, die man so macht. 
Zum 50 Millionen Kilometer entfernten Mars überhaupt mal Menschen hinzuschicken wird eine Riesengeschichte werden in den 30er- und 40er-Jahren. Der Mensch wirds machen – weil er alles macht, was er machen kann. Er war auf dem Mount Everest und im Marianengraben, auf dem Mond. Da wird er auch zum Mars fliegen. Und das wird er verdammt gut vorbereiten. 
Vor paar Jahren bin ich noch davon ausgegangen, die Raumfahrt wird immer globaler und alle helfen sich gegenseitig, einschließlich Russland und China. Jetzt ist das alles viel schwieriger geworden. 

Technisch, finanziell?

Ist es das wert, dass der Westen, sagen wir, 100 Milliarden dafür ausgibt, drei Hanseln zum Mars zu bringen? In diesen Zeiten? Da muss man nicht besonders umweltbewusst sein, um zu merken: Damit du das politisch und gesellschaftlich durchbringst, brauchst du gute Argumente.

Freut es Sie dann trotzdem, wenn Milliardäre ihr Vermögen in den Weltraum schießen, statt die nachhaltigen, selbst versorgenden Städte vielleicht mit demselben Budget hier zu bauen?

Das ist eine schwierige Frage. Generell bin ich ein Anhänger von liberalem Gedankengut: Alle sollen mit ihrem Geld machen, was sie wollen. Aber ich denke mir natürlich auch: Was soll das? Fliegt man einmal um die Erde rum und dann vielleicht sogar mal bald zum Mond? Es müsste eigentlich jedem intelligenten Menschen klar sein, dass das Geld zurzeit besser investiert ist in Nachhaltigkeitsprojekten jeglicher Art, in Bildung in Afrika oder Südamerika oder in Gleichberechtigung im Iran. Womöglich öffnet der Ausflug ins All auch manchen MilliardärInnen die Augen und sie geben ihre verbleibenden Milliarden dann für Sinnvolleres aus.
Auf der anderen Seite bin ich ein bisschen Evangelist und trage das Wissen, das wir erworben haben, gerne in die Öffentlichkeit weiter, vor allem für Kinder und Jugendliche, damit sie sich für Technik und Wissenschaft begeistern. Weil das Allerwichtigste ist, dass wir junge Professionals haben, die jetzt das, was meine Generation mit verbockt hat, wieder geraderichten.

Was antworten Sie jemandem, der sagt, dass technologische Innovation schon viele Probleme der Menschheit gelöst hat und auch das mit dem Klimawandel lösen wird?

Jeder Mensch auf der Erde muss sich seinen Zeiten mit seinen Möglichkeiten anpassen. Dass man den Säbelzahntiger vor der Höhle mit einer Fackel verjagt und, wenn es kalt ist, einen zweiten Bären erlegt und sich eine schöne Jacke draus macht, ist auf Dauer nicht genug. 
Ich hatte auch andere Jahre, aber mittlerweile glaube ich, dass das Glas halb voll ist: Dass die junge Generation begriffen hat, was los ist, und dass man was tun muss.

Wie sind Zitate wie jenes von Stephen Hawking einzuordnen, dass wir dringend nach bewohnbaren Planeten suchen müssen, weil die Erde schon in 100 Jahren unbewohnbar sein könnte?

Mitunter quatschen auch Wissenschaftler ein bisschen. Prinzipiell hatte er recht damit, dass wir hier nicht ewig leben werden. Die Sonne wird in 5.000.000.000 Jahren nicht mehr da sein. Jetzt sprechen Sie mal mit EvolutionsbiologInnen darüber, was aus Menschen in 5 Milliarden Jahren geworden sein wird. Da kann keineR auch nur ansatzweise eine vernünftige Antwort geben.
Was wir bis dahin übrigens auch »dringend« besprechen sollten, ist die ethische Komponente: Denn eine Generation steigt meinetwegen noch freiwillig in ein Spaceshuttle zum Mars ein. Die Kinder, die dann dort geboren werden, die gucken dann zurück auf einen kleinen blauen Punkt, die Erde, und sagen: Mit uns war das aber nicht ausgemacht!

Ulrich Köhler ist Planetengeologe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof und Buchautor.

Ulrich Köhler ist Planetengeologe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof und Buchautor.

Weitere berühmte Bilder aus dem Weltall finden sich hier.

BIORAMA #81

Dieser Artikel ist im BIORAMA #81 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL