Zehn gute Gründe für Vertical Farming

Wir haben Daniel Podmirseg vom Vertical Farm Institute in Wien gebeten aufzuschreiben, worin die Vorteile von Vertical Farming bestehen. Er hat eine lange Liste von zehn guten Gründen geschrieben.

1. Vertrauen schaffen

In den letzten Jahren hat die Auseinandersetzung der Bevölkerung mit der Herkunft und Herstellung von Lebensmitteln wieder stärker zugenommen. Prozesse und Entscheidungen rund um die Produktion und den Vertrieb von Nahrungsmitteln nachzuvollziehen bleibt für Konsumenten allerdings schwer. Transparenz ist ein entscheidender Parameter, um Vertrauen in Lebensmittel zu schaffen. Lokal produzierte Lebensmittel ermöglichen es, aktiv am Agrargeschehen teilzuhaben und es zu begreifen.

2. Kulturpflanzen erhalten

Die industrielle Lebensmittelproduktion hat durch ihre Standardisierungsprozesse die Vielfalt der Kulturpflanzen bereits drastisch reduziert. In den letzten 11.000 Jahren hat der Mensch zum Beispiel ca. 7000 verschiedene Tomatenpflanzen gezüchtet. Heute deckt eine Handvoll Tomatensorten fast 80% des Welthandels ab. Schätzungen gehen davon aus, dass bereits 75% sämtlicher Kulturpflanzen für immer verloren sind. Vertical Farming kann als Anbaupraxis gesehen werden, die sich auf den Anbau seltener Sorten konzentriert und damit für biologische Vielfalt sorgt.

3. Ökonomische Mikrostrukturen

Vertical Farming kann in unterschiedlichen Maßstäben praktiziert werden, vom kleinen Gewächshaus auf dem Dach bis hin zu neuen Gebäudetypen, die das Anbauvolumen optimal ausnutzen. An Aquaponikanlagen und Pilzzucht, Insektenfarmen in kleineren Räumen oder Obst- und Gemüseproduktion in vertikalen Gewächshäusern kann gedacht werden. Die Stadt ist entwicklungsgeschichtlich auf Mikrostrukturen aufgebaut und garantiert die Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen.

4. Soziales Engagement und Inklusion

Beispiele erfolgreicher Vertical-Farming-Projekte, wie etwa Vertical Harvest in Jackson, Wyoming, zeigen, wie groß die Akzeptanz und das Engagement vonseiten der Stadtbevölkerung bei urbaner Lebensmittelproduktion sein kann, wenn sie in die Entwicklung eingebunden wird. Der Betrieb der vertikalen Farm kann mit Unterstützung sozial benachteiligter Menschen gedacht werden. Die Verantwortung der Lebensmittelproduktion für die urbane Bevölkerung erhöht das Identifikationspotenzial und wird als sinngebende Arbeit wahrgenommen.

5. Politische Freiheit

Die Herausforderungen der Stadt der Zukunft können gemeistert werden. Wir haben die Visionen, die Ideen und Ziele sowie die nötigen sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen. Allerdings gibt es eine Umsetzungslücke. In geografisch und politisch kleineren Rahmen, etwa in urbanen Systemen, verringern sich diese. Durch politischen Aktivismus und klare Zielsetzung auf kommunaler Ebene können nachhaltige Projekte leichter umgesetzt werden. Die Bevölkerung hat auf städtischer Ebene einen erheblich größeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung als auf staatlicher oder internationaler Ebene.

6. Reduktion des Landverbrauchs

Einer der größten Vorteile von Vertical Farming ist die drastische Reduktion des Landverzehrs. Im weltweiten Durchschnitt kommen auf jeden Quadratmeter Stadt zehn Quadratmeter landwirtschaftliche Anbaufläche, um sie mit Lebensmitteln zu versorgen. Tendenz steigend. Jeder Bürger in Mitteleuropa benötigt im Durchschnitt 2.300 m² an Anbaufläche, um sich ein Jahr lang mit Lebensmitteln zu versorgen. Diese Fläche könnte ohne weiteres um den Faktor 50 verkleinert werden. Damit ließe sich die Erschließung neuer Agrarflächen reduzieren und die Natur schützen.

7. Reduktion des Energieverbrauchs

Ohne billiges Erdöl können wir unser globales Lebensmittelnetzwerk nicht am Laufen halten. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen der traditionellen Landwirtschaft ist enorm. In 54 Minuten erhält die Erde dieselbe Energiemenge gratis von der Sonne, die wir weltweit in einem Jahr verbrauchen. Vertical Farming benötigt natürlich auch Energie. Licht und Wärme bzw. Kühlung müssen je nach Anbaubedingungen zugeführt werden. Energieoptimierte Gebäudehüllen und das Nutzen von Energiekreisläufen minimieren den Energiebedarf drastisch. Vertikale Farmen bedeuten eine radikale Reduktion der Abhängigkeit vom Erdöl.

8. Reduktion des Verkehrs

Es gibt Untersuchungen, dass lebensmittelbedingter Verkehr in Städten zwischen 25 und 35% ausmacht. Das hat Lärmbelästigung, Luftverschmutzung, Unfälle und Staus zur Folge. London ist eine der ersten Städte, die diese Externalitäten auf urbaner Ebene quantifiziert hat. Natürlich müssen die Produkte der vertikalen Farm in der Stadt verteilt werden. Eine kluge Konzeption der vertikalen Farm schließt jedoch einen Großteil des Verkehrs aus, wie beispielsweise den Verkehr zwischen Produzenten, Verarbeitern und Verpackern, um nur ein Beispiel zu nennen. Die sogenannte „letzte Meile“ wird nie ausgeschlossen werden können.

9. Lösungen für die Zukunft

Wir stehen an einem faszinierenden Punkt: Es geht um die Entwicklung neuer Gebäudetypologien. Vertikale Farmen können mit Wohn- und Bürogebäuden kombiniert werden. Wir müssen die vertikale Farm als Chance betrachten, um Material- und Stoffströme innerhalb der Stadt besser zu verstehen und dadurch wesentliche Entscheidungen in Richtung Kreislaufwirtschaft zu unternehmen. Ein Drittel der Primärenergie weltweit wird für den Lebensmittelsektor aufgewendet. Wir können das reduzieren, wenn wir uns entschließen, einen Teil der Lebensmittel dort zu produzieren, wo sie konsumiert werden. Die resiliente Stadt muss das Ziel sein. Wir müssen uns auf die Post-Oil-City vorbereiten.

10. Die resiliente Stadt

Wir erleben einen Boom der Urbanisierung. Wenn die uno recht behält, dann werden in 50 Jahren drei Viertel der Weltbevölkerung in Städten leben. Schnell wachsende urbane Systeme, wie wir sie als China und Indien kennen, können die Implementierung von vertikalen Farmen beschleunigen. Dem gegenüber stehen zahlreiche schrumpfende Städte – ein Parallelphänomen. Doch auch hier liegt großes Potenzial verborgen. Das Zurückbringen der Lebensmittelproduktion zu den Konsumenten kann diese Phänomene des Schrumpfens verringern. Es ist zu vermuten, dass ein stabiles Lebensmittelproduktionssystem als Anziehungspunkt funktionieren kann, um darauffolgend Gewerbe und Wirtschaftstreibende anzusiedeln.

BIORAMA #53

Dieser Artikel ist im BIORAMA #53 erschienen

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