Values For Money

Was in Schulen, Spitälern und öffentlichen Kantinen gekocht wird, bietet einen wesentlichen Hebel für Öko-logisierung und Klimaschutz. Worauf Wien und Berlin beim Einkauf achten.

Bild: Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser.

Es ist ein Kulturwandel, den die Stadt Wien gerade durchmacht. Er geht von Kindergärten und Schulmensen aus, von Krankenhauskantinen und den Küchen der Altenwohnheime. Wobei er sich gerade in Letztgenannten noch am behutsamsten zeigt. »Manchmal haben wir sogar noch Fohlengulasch auf dem Speiseplan«, sagt Marco Scheubeck vom Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP), »das bestellen dann zwar nur ganz wenige, aber für manche ist das eben ein Klassiker und etwas ganz Besonderes, das sie von Kindheit an kennen«. Auch wenn es in der Stadt eine klare ernährungspolitische Agenda gibt, die unter anderem eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums beinhaltet: Man möchte die BewohnerInnen der kommunalen Altenheime (9000 Personen in 30 Häusern) keinesfalls bevormunden. »Bei uns leben zwar bereits die ersten VeganerInnen, in zwei unserer Häuser gibt es welche. In 20 Jahren wird das auch bei uns ein Riesenthema sein«, sagt Scheubeck. Doch noch werden in Wiens Altenheimen die in den Nachkriegsjahrzehnten geprägten Ernährungsvorlieben bedient.

3 Euro und 85 Cent stehen pro Person und Tag für insgesamt 5 Mahlzeiten zur Verfügung. »Das ist nicht viel. Und nur mit guter Kalkulation in den Küchen und Rezepttreue ist dies auch möglich.« Seit bald einem Jahr leitet Marco Scheubeck im KWP die Abteilung Gastronomisches Management/Einkauf. Neben dem Budget beschäftigt ihn die Einhaltung der einkaufspolitischen Vorgaben der Stadtverwaltung. Diese sind in seit Jahrzehnten weiterentwickelten Kriterienkatalogen (»Ökokauf«) festgeschrieben. Zusätzlich gibt es seit 2020 einen vom Landtag beschlossenen Lebensmittelaktionsplan. Er geht ebenso von der Umweltabteilung der Stadt aus und sieht eine strikte Ökologisierung vor – unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls. Dabei geht es nicht nur um eine Erhöhung der Bioquote (in PensionistInnenheimen beispielsweise von derzeit 35 auf 50 Prozent bis 2030), sondern auch um Saisonalität und Regionalität. Manchmal gibt es deshalb Erklärungsbedarf – etwa wenn es etwas ganz bewusst nicht zu essen gibt. »Die Philosophie, im April noch keine Erdbeeren zu haben, obwohl es sie im Supermarkt am Eck schon seit ein paar Wochen gibt, die braucht Kommunikation«, gesteht Scheubeck. Doch ein Bekenntnis zur Regionalität und Saisonalität bedeutet eben auch, knapp vor der Erntezeit im Umland keine importierten Früchte auf den Speiseplan zu setzen. Oft komme diese Botschaft an, sagt der Einkäufer. Manchmal lasse sich auch gut über die Kosten argumentieren. So nimmt das KWP einer Reihe von steirischen Apfelbäuerinnen und Apfelbauern die gesamte Ernte ab, nicht nur die »schönen« großen Speiseäpfel. Aus kleinen Äpfeln wird Kompott, aus dem Fallobst Saft. Und wenn durch langfristige Verträge komplette Karpfenteiche im Waldviertel über Jahre hinweg leergekauft werden, ersparen sich die FischzüchterInnen Geld fürs Marketing – was den Fisch ganz ohne Qualitätseinbußen günstiger macht.

Das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser und der niederösterreichische Biohof Adamah verarbeiteten 2021 500 Biokürbisse, die nicht schön genug für den Handel waren. Mit kochbegeisterten BewohnerInnen fertigten die Kochlehrlinge Kürbis-Ravioli. Bild: Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser.

Karpfen ist eine der klaren Konstanten in den Küchen des KWP. Denn der Speisefisch liefert eines der nachhaltigsten tierischen Lebensmittel überhaupt. Das besagt ein Kriterienkatalog, den die Stadt Wien mit ExpertInnen erarbeitete – für heimischen Fisch ebenso wie für Wildfang aus den Weltmeeren oder Fisch aus maritimer Aquakultur. Jährlich kauft Wien beim Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel aktuelle Daten über den Status der weltweiten Fischbestände. Der überfischte Kabeljau beispielsweise ist deshalb tabu. Dass sich die Hauptstadt eines Binnenlands in ihren Beschaffungskriterien intensiv damit beschäftigt, mit ihrem Einkaufsverhalten das ökologische Gleichgewicht in den Ozeanen möglichst wenig zu stören, ist einzigartig.

Voraussetzung: Es wird frisch gekocht

Neun Grundprinzipien hat die Stadt Wien für den Einkauf von Lebensmitteln definiert: Vier davon – bio, regional, saisonal und gentechnikfrei – beziehen sich auf die Herkunft, vier – fairer Handel, Tierwohl, die Reduktion von tierischen Produkten und das Vermeiden von Food Waste – halten ethische Ansprüche fest. Übergeordnet geht es im neunten darum, möglichst wenig vorgekochte Convenienceprodukte einzusetzen. »All das funktioniert nur, wenn irgendwo eine Frischküche dahintersteht«, weiß Thomas Mosor. Er ist das Mastermind hinter dem Wiener Lebensmittelaktionsplan und war 1995 Projektleiter des ersten Klimaschutzprogramms der Stadt, aus dem die »Ökokauf«-Kriterien hervorgingen, an die sich alle städtischen Einrichtungen verbindlich zu halten haben. Längst werden diese auch von anderen Bundesländern als vorbildlich erachtet. Und dass Wien verstärkt Bioprodukte kauft, wirkt sich auch auf die Lebensmittelproduktion im Rest des Landes aus. Der unmittelbare Einfluss auf die regionale Landwirtschaft im Umland könnte trotzdem größer sein, meint Johannes Felder, der an der Universität für Bodenkultur (BOKU) zum Thema Bio in der Gemeinschaftsverpflegung geforscht hat – »wenn sich ProduzentInnen zu ErzeugerInnengemeinschaften zusammenschließen würden, um GroßabnehmerInnen Liefersicherheit geben zu können«.

»Bei uns geht es nicht nur um Value for Money, sondern auch um Values for Money.«
–Thomas Mosor, Programmleiter »Ökokauf«, Stadt Wien.
Bild: Stadt Wien.

In Wiens kommunalen Kindergärten beträgt die Bioquote beim Essen mittlerweile 54 Prozent, laut Thomas Mosor »mit steigender Tendenz«. Auch in Ganztagsschulen hat man bereits 50 Prozent erreicht. Um zur »Bio-Stadt« zu werden, fehlt es Wien aber an Dynamik – und wohl auch am politischen Willen von ganz oben. Den bereits kurz vor der Jahrtausendwende ausgegebenen Zielwert von 30 Prozent Bio hatte man rasch erreicht. »30 Prozent lassen sich relativ leicht innerhalb gleichbleibender Budgets erreichen«, erklärt der im Ernährungsrat Wien engagierte Felix Münster. »Darüber hinaus wird es kostenintensiver.« ExpertInnen schätzen, dass die Gesamtausgaben für den Wareneinsatz einer Einrichtung um 10 Prozent steigen, wenn der Bioanteil von 30 auf 50 Prozent gehoben wird. Gerade weil Spitäler Hygienevorgaben erfüllen müssen, die vorverarbeitete und damit teurere Lebensmittel nötig machen. Geflügel beispielsweise muss vorgegart in Krankenhäuser geliefert werden. »Manche dieser Convenienceprodukte sind auch erst seit Kurzem überhaupt in Bioqualität verfügbar«, sagt Münster. Den Fokus habe man zuletzt deshalb darauf gelegt, diese regional einzukaufen. Für richtungsweisend hält Thomas Mosor, dass man sich bei einem jährlichen Auftragswert für Lebensmittel und Speisedienstleistung von grob geschätzt 60 Millionen Euro, bewusst vom bedingungslosen »Billigstangebot« verabschiedet und Mindestkriterien definiert hat: »Bei uns geht es nicht nur um Value for Money, sondern auch um Values for Money.«

Frisch gekocht
Wenn in der Gemeinschaftsverpflegung frisch gekocht wird, unterscheidet man zwei Varianten der Ausspeisung:
 
Cook & Serve:

Essen wird warmgehalten und im Schöpfsystem ausgegeben. Vorteil: teilweise individualisierbar (z. B. mehr Sauce).
 
Cook & Chill:
Essen wird leicht abgekühlt, aber – noch frisch – vor Ort, z. B. auf der Station eines Spitals, wieder aufgewärmt. Nachteil: nicht alle Gerichte sind geeignet.

Fleisch, Fisch und veraltete Empfehlungen in Wien

18 Millionen Euro kostet die Verpflegung in den 9 städtischen Spitälern der Stadt Peter Kotzan vom Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) zufolge. An die 26.000 Speisen werden in den Häusern täglich serviert. Für die Spitäler hat Kotzan gerade Tee ausgeschrieben. Klare Ansage: 100 Prozent bio. Bis 2030 muss er quer über alle Einkäufe bei einer Gesamtbioquote von 55 Prozent gelandet sein. Beim Tee geht es um ein Gesamtvolumen von 250.000 Euro pro Jahr. Konventioneller Tee wäre, schätzt er, um 20.000 Euro billiger. Gerade überarbeitet er die Fleischausschreibung. Die fundierte Beschäftigung damit bedeutete auch für ihn selbst einen Einschnitt: »Je mehr ich mich mit dem Thema Fleischkonsum beschäftigt habe, umso mehr wurde mir klar, dass ich künftig auf Fleisch verzichten werde«, sagt Kotzan. Vor Kurzem organisierte er für seine DiätologInnen und KüchenregieleiterInnen eine Verkostung von Fleischersatzprodukten. »Die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Produkten wird in den Spitälern immer größer. In den Klinikküchen können viele aber schon keine Sojawürfel mehr sehen.«

Ernährungsstrategie: »Berlin isst fair«

»Früher haben sich die Caterer immer unterboten. 2013 haben wir deshalb einen Fixpreis festgelegt.«
–Ann-Christin Weber, Referentin für die Berliner Ernährungsstrategie, über das Grundschulmittagessen. Bild: Senjustiva.

Bereits bei den Jüngsten setzt Berlin mit seiner 2018 erarbeiteten Ernährungsstrategie an. Als großen Hebel für die angestrebte Ernährungswende erachtet man die Verpflegung in Kitas und Grundschulen. Während einige Kitas selbst kochen, teilen sich den Markt für die 165.000 täglich ausgegebenen Grundschulessen (und das Auftragsvolumen von 120 Millionen Euro) 30 Cateringunternehmen. »Früher haben sich die Caterer immer unterboten«, erinnert sich Ann-Christin Weber, die Referentin der Ernährungsstrategie. Die Folge: Die Qualität sank von Ausschreibung zu Ausschreibung. »2013 haben wir deshalb einen Fixpreis fürs Grundschulessen festgelegt. Wir wollten weg von den Dumpingpreisen.« Dieser wurde zuletzt mit der vorgeschriebenen Erhöhung der Bioquote angepasst. In Grundschulen beträgt sie seit Sommer 2021 50 Prozent.

Nicole Humpert

»Bei der Ausschreibung des Schulmittagessens waren Bananen, Reis und Ananas in Fairtrade-Qualität Bedingung. Wir haben gesehen, dass die nötigen Größenordnungen verfügbar sind.«
–Nicola Humpert, Fairtrade- Referentin der Stadt Berlin. Bild: Ulrike Seubert.

Dass in Berlin trotzdem mehr möglich gewesen wäre, deutet Ann-Christin Weber zaghaft an. Viel Naheliegendes habe aus personellen Gründen noch nicht angegangen werden können. Als ihre Hauptaufgabe erachtet sie es, von Abteilung zu Abteilung zu tingeln und Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Einkauf Einflussmöglichkeiten hin zu mehr Nachhaltigkeit bietet. »Das Problem in der Verwaltung ist das Ressortdenken«, sagt Weber, vieles sei nur ressortübergreifend lösbar. Die Fairtrade-Agenden etwa liegen in einer anderen Senatsverwaltung. »Die Ausschreibung des Schulmittagessens war ein gemeinsames Pilotvorhaben«, sagt die für Fairtrade zuständige Referentin Nicola Humpert. Kommen im Schulmittagessen Bananen, Reis und Ananas zum Einsatz, müssen diese nun aus fairem Handel stammen. 30 Tonnen Reis sind das beispielsweise jeden Monat. »Wir haben gesehen, dass solche Größenordnungen verfügbar sind«, sieht sich Humpert motiviert – »weil sich die Caterer von unseren Vorgaben nicht abschrecken lassen«.

Der Fokus aber liegt auch in Berlin klar auf Bio. Weil es immer wieder Diskussionen gab, ob sich der kommunal verarbeitete Bioanteil überhaupt kontrollieren lasse, entschied man sich, Komponenten festzulegen, die ausnahmslos in Bioqualität beschafft werden. 100% bio gilt derzeit für Stärkebeilagen, also Kartoffeln, Reis, Knödel und Nudeln. Der Reis ist sowohl bio- als auch Fairtrade-zertifiziert. Da sich die Bioquote in Berlin am Gewicht der eingekauften Lebensmittel bemisst, ermöglicht das große Sprünge – weil beispielsweise Reis oder Kartoffeln mehr auf die Waage bringen als Gewürze.

Berliner Vorbild: Kopenhagen

Herzstück der Ernährungsstrategie ist neben der Kita- und Grundschuloffensive die 2019 gestartete Initiative »Kantine Zukunft«. Diese orientiert sich am »House of Food«, einem Erfolgsmodell aus Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt hat ihren Bioanteil in der Gemeinschaftsverpflegung auf teilweise über 90 Prozent gebracht. Das ließ sich ohne wesentliche Mehrkosten erreichen. Gleich einer mobilen Sondereinheit zieht das Team der »Kantine Zukunft« von Küche zu Küche. Gemeinsam mit dem Küchenpersonal werden in 6 Monaten (und bis zu 120 Coachingstunden) individuelle Bedürfnisse geklärt, Kontakte zu LieferantInnen aus der Hauptstadtregion geknüpft und – das Entscheidende, um finanziell im Rahmen zu bleiben – neue Speisepläne erarbeitet.

»In den Kantinen muss man lernen, anders zu kochen, etwa weniger Fleisch«, bestätigt Sabine Kabath, Vorstandsvorsitzende beim Bioland-Verband Ost und selbst Gemüsegärtnerin. Die städtische Stoßrichtung hin zu 50 Prozent Bio sei klarerweise eine Chance für die landwirtschaftlichen Betriebe im Umland. Vor allem an Verarbeitungsbetrieben fehle es im Osten aber noch – etwa an Anlagen zum wirtschaftlichen Möhrenschneiden. Was ebenfalls fehlt: ein ländliches Logistiknetzwerk. »Brandenburg ist ein weites Land«, sagt Kabath, »150 Kilometer Transport für einen Warenwert von 500 Euro, das ist derzeit nicht wirtschaftlich«. Voraussetzung dafür, dass solche Strukturen aufgebaut werden und investiert wird, ist aber die Gewissheit, dass die Nachfrage aus der Hauptstadt – mit ihren 4 Millionen EinwohnerInnen immerhin der größte Markt für Bio in Deutschland – auch Bestand hat. Garantieren kann das, vorerst, nur die Politik. Immerhin dauert es allein drei Jahre, um einen Acker von konventioneller Landwirtschaft auf ökologische Wirtschaftsweise umzustellen. Doch geht die Ernährungsstrategie auf, dann ist die Botschaft in ein paar Jahren in Kantinen, Küchen und den Köpfen der Kinder angekommen. Dann ist der kulturelle Wandel vollzogen.

BIORAMA Wien–Berlin #2

Dieser Artikel ist im BIORAMA Wien–Berlin #2 erschienen

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