Soundtracks Retrospektive

Foto: Clara Wildberger

Young Fathers im Orpheum Graz, Foto: Clara Wildberger

Der steirische herbst, das Festival, das für seine spartenübergreifende Experimentierfreude bekannt ist, lieferte von 26.09. bis 17.10. 2015 ein wunderbares Popmusik-Programm mit dem Namen „Soundtracks“ ab. BIORAMA Sound Sustain mischte sich bei vier Konzertabenden unter das Publikum und schaute mit Fotografin Clara Wildberger auch hinter die Kulissen.

Was Christian Fuchs und David Pfister, die beiden Köpfe der Band Die Buben im Pelz, textlich vollbringen ist nicht weniger als eine zeit- und sinngemäße Transformation der Lou Reed Lyrics des ersten Velvet Underground Albums ins Wienerische. Es ist ein theatralisches Konzert, mit Rock’n’Roll-Gesten, guten Gastmusikern und trashigen Visuals. Die Freundinnen geben dem Ganzen eine gute Form, es wirkt wie eine Art Staffellauf der Klischees und ist eine Verbeugung vor denen, die solcherlei vorher schon praktizierten: schwitziger Hände-Rock und Performance in Leder mit Schmerz und Pathos. Die Performerinnen und Performer wirken familiär miteinander: Dorit Chrysler gibt die Nico 2.0 mit einer großen Eleganz, sie haucht „Olle faden Parties“ („All Tomorrow’s Parties“) und meint es auch. Anna Atar aka Monsterheart ist die androgyne Kätzin, die den Songs einen roten Faden verleiht. Boris Bukowski ein würdiger Interpret des uninterpretierbaren „Heroin“. Der Abend ist ein Theaterstück, ein Stück über Wien, über New York, das Heute und Damals. Wien könnte das neue New York sein, wenn man den Buben im Pelz glauben will. Es stört nicht, dass die Liedtexte abgelesen werden, wichtig ist das Timing! – „Die bessere Lederjacken-Boyband“, meint unsere Fotografin.

Foto: Clara Wildberger

Die Buben im Pelz und Monsterheart, Foto: Clara Wildberger

Bei dem Song „Concierge d’Amour“ ist das Konzert schon fast wieder vorbei – Pollyester schaffen es, dass die Zeit wie im Raumschiff-Flug vergeht mit ihrer höchst tanzbaren Interpretation von Funk, Pop-Psych, Krautrock, Post-Punk und Disco. Die Stimme der Sängerin und Bassistin Polina Lapkovskaja ist unser Guide durch die verschidenen Stimmungen und Plateaus des Sounds der Band, mal ist sie Priesterin, mal animierend und mal ruhig. Die gebauten Sounds werden von repetitiven Orgelflächen des Organisten Beni Brachtel, dem wahnsinnig energetischen Schlagzeug von Manuel da Coll und dem Schweiß dank des Disco-Neons getragen. Wir spüren auch Soulfulness durch den Synthie-Sound aus früheren Tagen der elektronischen Musik durchschimmern, die dann in einem Echo ins All spaziert und wir bewegen dabei unsere Hüften.

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Pollyester, Foto: Clara Wildberger

Die bessere Lana Del Rey ist die Schwedin Molly Nilsson, es ist ein gespentisches Karaoke, das sie auf der Bühne betreibt: kühl und mit Kalkül, trashig und in der mittleren Reihe nicht mehr optimal vernehmbar, aber das, was sich den vorderen Reihen zeigt ist ein interessantes Spiel. Das blau-gelbe Licht vermittelt Intimität, die Song-Texte handeln von Liebe, Sex und Parties und vor uns steht Molly als lebendig gewordene Statue aus dem zeitgenössichem Pop-Himmel. Das Highlight des Abend ist der Song, der gleichzeitig die erste Single des neuen Albums ist, „1995“, auch diesen beschließt die Performerin mit einem Knicks und einem leisen „Thank You!“.

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Molly Nilsson, Foto: Clara Wildberger

Zu Recht wurden die Schotten Young Fathers als Höhepunkt der Pop-Reihe des Festivals angekündigt, wieder aus den ersten Reihen konnten wir die Show mitverfolgen und vor allem mittanzen. Uns bot sich postmoderner Soul, ein energetisches Set mit viel Körper- und Tanz-Lust der vier Akteure. Die Tiefe eines Otis Redding flackerte durch die Gesangsparts von Alloysious Massaquoi, während Kayus Bankole bei den schnelleren, härteren Nummern um sein Leben tanzt, der Schlagwerker Steven Morrison sich hyperaktiv die Seele aus dem Leib trommelt und ‚G‘ Hastings Ungeahntes aus dem Zylinder des Synthesizers holt. „We Are All Migrants“ ist die Botschaft der gesamten Tour, und es stimmt, sind wir nicht alle von irgendwo irgendwann irgendwie? Mit Schweiß, Lächeln, Kraft, Stärke und Stimme wird das Motto an das Publikum gebracht, es ist politisch, es ist Hip Hop, es ist Gospel. Aber ohne Religion, eher mit irdischen Themen befassen sich die Young Fathers und bieten mit ihrem kraftvollen Auftritt wohl eines der interessantesten Konzerte des Jahres 2015.

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Young Fathers auf der Bühne, Orpheum Graz, Foto: Clara Wildberger

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