Wasser ist Macht

Christina »Chra« Nemec lotet auf ihrem neuen Album »Seamons« mittels Field Recordings und elektronischer Sounds bedrohliche Facetten von Wasser aus.

Album Cover »Chra«
In ihrem in Wien aufgenommenen und produzierten Album »Seamons« setzt sich die Künstlerin Chra mit dem Thema Wasser auseinander. Bild: Editions Mego

Wasser ist das Thema des neuen, im Juni 2020 veröffentlichten Albums »Seamons« von Chra. Vor einigen Jahren ins Waldviertel gezogen, spürt sie dort die Abhängigkeit vom Funktionieren der Wasserpumpe. »Dazu bin ich irre feig. Ich kann sehr schlecht schwimmen und gehe nur dort ins Wasser, wo ich stehen kann. Sehr zum Amüsement meiner FreundInnen«, erzählt sie. Für Musikerin Christina Nemec bietet Wasser viele Anknüpfungspunkte, auch in seiner politischen Dimension: Die Regulierung von Flussläufen beeinflusst Regionen und seit Jahren ertrinken im Mittelmeer Flüchtlinge. In der Literatur sind Wasser und das Fließen philosophische Größen und in der Musik gibt es dazu Bezüge von KünstlerInnen, die einen Einfluss auf Chra haben: Seien es Drexciya, Sun Ra oder der Wiener Christian Fennesz, dessen Albencover zu »Becs«, »Venice« und »Endless Summer« Wasser prägt. Auf seinem letzten Album »Agora« sind die Wellen auch zu hören.

Konkrete Soundbilder

Chra verarbeitet diese Eindrücke in ihren Kompositionen aus elektronischen Sounds und Field Recordings – auf »Seamons« hört man die Dunkelheit und die Bedrohung durch das Wasser. Die Klänge bleiben dabei luftig. Es geht ihr nicht um eine alles zudeckende und erdrückende Kraft der Wellen, sondern konkretere, sich aus Einzelteilen zusammensetzende Bilder. Diese finden sich auch in den Tracknamen: »Colonia Marina Serenella war ein Kindererholungsheim an der Adria, in Riccione. Als lungenkrankes Kind verbrachte ich dort drei Sommer. Es ist eine riesige, eckige, brutalistische Anlage für Hunderte von Kindern – ein von Mussolini geplantes Erholungsheim.« In »Cast(o)ro« stecken der Biber sowie der kubanische Politiker und Diktator und »Wracker« sind große Schiffe mit irreparablen Schäden.
Christina Nemec war musikalisch immer umtriebig, hat etwa mit SV Damenkraft die Performance ins Zentrum der queerfeministischen Beschäftigung gerückt und huldigt bei Shampoo Boy gemeinsam mit Christian Schachinger und Mego-Betreiber Pita Rehberg tiefergelegten, kathartischen Drohnen-Sounds nicht ohne Augenzwinkern. Inhaltlich geht es um das Versagen der Institutionen, die »Seelenverkäufer« in den Machtpositionen oder auch Eindrücke, die von ihren Reisen nachhallen: Flüge über abgelegene Gefangenenlager oder Einblicke in die Auswirkungen politischer Systeme. Chra macht Musik, unter anderem, um sich auf Themen und Eindrücke einzulassen, sie nicht zu ignorieren und wegzuschieben, zu diesem Einlassen muss man auch als HörerIn bereit sein. »Seamons« – recorded and produced in Vienna, Waldviertel, Crete as well as on planes and in cemeteries – funktioniert letztlich über seine Intensität.

Unter ihrem Künstlernamen Chra produziert Christina Nemec elektronische Musik, sie ist aber auch Labelbetreiberin ihres Musiklabels comfortzone und Mitglied der Band »Shampoo Boy«.
Bild: Chra.

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