Mit Pferden meditieren

Im Weinviertel wird mit Pferden meditiert. Am Steinbacherhof verhelfen sie Menschen zum Finden ihrer inneren Ruhe, zu Stille und Gelassenheit. 

Tritt man über die Schwelle des alten, hölzernen Eingangstores, wird man von fünf kleinen Miniponys willkommen geheißen: neugierig heben sie ihre Köpfe und blicken erwartungsvoll über den Zaun. Es ist wie ein Portal in eine andere Welt, in den kleinen Kosmos des Steinbacherhofs. Hier, in dieser pferdigen Oase mitten im Weinviertel, lebt Doris Waldhäusl zusammen mit vielen Vier- und wenigen Zweibeinern. Die Sozialpädagogin hat diesen besonderen Ort bereits 1998 gegründet und stetig weiterentwickelt. Der Steinbacherhof ist ein Rückzugsort für all jene, die dem Trubel des Alltagslebens ein Stück weit entkommen möchten, um dort Ruhe und Gemeinsamkeit zu finden. Über das Jahr finden hier pferdegestützte Wochenenden und Ferienlager für Kinder statt, und mit dem Konzept des heilpädagogischen Voltigierens wird Kindern mit besonderen Bedürfnissen ein Stück Lebensfreude geschenkt.

Zwei Jahre lang ist ein neues Projekt herangereift, das nun Früchte trägt. Seit Herbst bietet Doris Waldhäusl auch Meditations-Seminare mit Pferden an, bei denen sie ihren ganz persönlichen Zugang zur Mediation weitergibt. Sie selbst findet ihre innere Ruhe bei den Pferden, 600 Kilogramm meditative Präsenz seien einfach viel, meint sie. »Ich habe festgestellt, dass die Meditation genau jene Richtung ist, die mir persönlich irrsinnig gut tut. Am leichtesten fällt es mir, diese mit dem Pferd ins Alltägliche mitzunehmen«

Bild: Elena Seitaridis

Dass Doris Waldhäusl die Meditation für sich entdeckt hat, liegt schon einige Jahre zurück. Sie meditiert kontemplativ – das ist eine Mischung aus Zen-Meditation und christlichen Komponenten. Das muss nicht nur die klassische Meditation im Sitzen sein. Bei Wahrnehmungsspaziergängen und Gehmeditationen spielen die Tiere spielen eine essenzielle Rolle, werden zum Partner und Therapeuten. Die oft mit Kraft, Stolz und Freiheit assoziierten Lebewesen dürfen hier ihre ganz eigenen Impulse setzen. »Ich bestärke die Pferde darin zu zeigen, was sie an Emotion spüren. Wenn ich mit Klienten arbeite, die nicht aussprechen können wie es ihnen geht, bin ich darauf angewiesen, dass die Pferde mir sagen, welche Emotion gerade stark da ist.«

Doris Waldhäusl meint, die Basis dafür, dass ein Pferd eigenständig arbeiten kann, liege darin, es zu lassen. Die Pferde nehmen auf, was im Inneren des Menschen vor sich geht, unsichtbar und gut geschützt vor der Außenwelt. Durch eine non-verbale Antwort auf Gefühlszustände bringen sie beim Menschen einen Prozess in Gang. Sie machen Emotionen sichtbar und es möglich, diese auch loslassen zu können; regen an, uns zu fragen, was wir selbst gerade tun, das diese Reaktion beim Pferd auslöst. »Und sei es nur, wenn ich die Luft anhalte. In dem Moment, wo ich wieder atmen kann, ist der Fluss wieder da«, so Doris Waldhäusl. Hier schließt sich auch der Kreis zur Meditation.

Ein Tag meditativer Selbsterfahrung

Als die Teilnehmergruppe sich am Hof einfindet, geht es sofort hinaus zu den Pferden. Jeder sucht sich eine Bürste und ein Pferd und taucht ab in seine eigene Welt. Zwei Fremde, die zusammen den Moment durchleben, kommunizieren, sich aufeinander einlassen. Die Frage, die wir uns stellen sollen – was ist Putzen eigentlich? Es geht darum, alte Gewohnheiten abzulegen, das technische, funktionale Säubern des Pferdefells zu einem absichtslosen Erfahrungsprozess werden zu lassen. Runterkommen, Erden, im Moment sein. Gedanken tauchen auf und werden wieder losgelassen. Es geht um den Kontakt mit dem Pferd, um den Kontakt zu sich selbst. Was mag das Pferd gerade, wo möchte es sich gerne von uns berühren lassen? Die Minishettystute Tamarine genießt es sichtlich, sich unter der dicken Mähne das Fell massiert zu bekommen. Hengst Merlin ist noch jung und beißt lieber in die Bürste. Der Moment wird wertfrei wahrgenommen, gesehen, gelebt. Man lässt sich auf das andere Lebewesen ein, lässt eigene Erwartungen los und Empfindungen zu. Das Putzen ist der erste Einstieg in eine meditative Haltung.

Bild: Elena Seitaridis

Einatmen, Ausatmen

Schon jetzt sind die Stimmen der Teilnehmer einhellig. Gesprochen wird vom Erden, von einer reinigenden Wirkung, vom Kontakt mit der Wirklichkeit, dem Jetzt, dem Pferd, dem Selbst. Durch die blauen Vorhänge des Meditationsraums dringt schummriges Licht. Der Auftrag lautet, sich gemeinsam im Kreis zu bewegen, zu gehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Bewusst zu spüren, wie die Muskeln arbeiten, wenn sie den Fuß ausbalancieren, sobald er auf den Boden tritt. Die Gruppe findet in einen Rhythmus, die beiden Hunde – vorhin noch übermütig und verspielt – werden ruhig und genießen die Atmosphäre, die in dem kleinen Raum entstanden ist. Alle atmen ruhig, in gleichmäßigen Zügen. Bei einer Begegnung mit einem anderen Menschen sollen wir stehenbleiben, uns in die Augen blicken, für vier volle Atemzüge. Dieser kurze Moment scheint eine kleine Ewigkeit anzudauern. Lachen, wegsehen, blinzeln. Dann findet jeder in seinen eigenen Rhythmus zurück und begegnet wieder jemand anderem. Für vier volle Atemzüge.

»Das Ausmisten ist mein kleiner Zen-Garten«

Das Wechselspiel zwischen außen und innen stellt ein zentrales Element dar – sowohl im eigenen Körper als auch auf räumlicher Ebene. Der Moment der Begegnung wird mit der Tätigkeit des meditativen Gehens verbunden und nach draußen verlagert. Das Grundstück ist verwinkelt, Gebäudeteile wechseln sich ab mit Pferdekoppeln und einem verwilderten Märchenwald. Wir bewegen uns frei durch den Raum, durch die Natur; gehen durch die Koppelbereiche, die den intimen Lebensraum der Pferde darstellen. Wir bewegen uns zwischen großen und kleineren Pferden, mittendrin ein Lama. Wir hören das Knirschen des Schnees unter unseren Füßen, spüren den kalten Wind in unserem Gesicht. Diese Meditationen im Freien, in unmittelbarer Nähe zu den kraftvollen Tieren helfen, »seinen eigenen Rhythmus zu finden, seinen Platz und sein Pferd zu finden«, so Doris Waldhäusl. 

Bild: Elena Seitaridis

»Pferde lieben die Haltung von Meditierenden«

Später steht das Element des Gemeinsamen im Mittelpunkt, als wir uns wieder den Pferden zuwenden. Ohne Halfter, nur mit einem Seil um den Hals eines Ponys gelegt, gehen wir paarweise über die Koppel, Mensch und Pferd. Die Hand, die den Führstrick umfasst, ist nicht die einzige Verbindung – zusätzlich entsteht eine tiefe, innere Form der Kommunikation. Dann wird auch dieses letzte physische Band abgelegt, und wir gehen als Gruppe gemeinsam durch das umzäunte Rechteck, das die Koppel beschreibt. Runde um Runde immer in dieselbe Richtung. Mal schließen sich die Ponys an und gehen ein Stück mit uns, mal bleiben sie in der Mitte stehen und beobachten den Vorgang. Sie wirken wie ein dynamischer Ruhepol und es ist nicht klar, ob sie sich unserem Rhythmus anpassen, oder wir uns ihrem.

Ozean der Stille

In der Meditation im Sitzen suchen wir die Stille. Isoliert von Ablenkung und äußeren Einflussfaktoren versuchen wir, Zukunft und Vergangenheit durch uns fließen zu lassen, und in der Gegenwart anzukommen. Die meditative Präsenz der Pferde fehlt ein wenig, es stellt sich heraus wie stark der erdende Einfluss war, den sie auf uns hatten. Nach 30 Minuten tauchen wir wieder aus dem Ozean der Stille auf, wie nach einem langen, reinigenden Bad. Allgemein tritt ein Zustand der Erholung auf und mit neugewonnener Energie und Achtsamkeit beenden wir unsere Reise in die Meditation.

Für Doris Waldhäusl besteht das Ziel der Meditations-Wochendenden darin, sich »ein Stück weit besser kennenzulernen, ein Stück Gelassenheit und ein Stück Ruhe zu finden«, und das auch in den Alltag mitnehmen zu können. Zwischen Wahrnehmungs- und Körperübungen wird abgewechselt, man oszilliert zwischen den Pferden und der eigenen Seele. Teilnehmen kann jeder, gleich ob mit oder ohne Meditationserfahrung, auch Pferdekenntnis ist nicht notwendig.


Die Termine für kommende Seminar-Angebote finden sich online hier.

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