Bald fährt kein Zug mehr

Mit der Strecke Gänserndorf–Obersdorf verliert das Weinviertel seine letzte Nebenbahn. Solche ländlichen Bahneinstellungen sind vermeidbar. Ein Kommentar von Martin Zellhofer.

Während Österreichs Straßenbahnbetriebe in den letzten Jahren wieder wachsen, in Ballungsräumen der Ausbau von Schnellbahnsystemen forciert wird und landesweit Hochgeschwindigkeitsstrecken entstehen, kommt es im ländlichen Bereich immer noch zu Bahneinstellungen. Das müsste nicht sein.

Das Weinviertel ist per Eisenbahn durch mehrere von Wien ausgehende Strecken relativ gut erschlossen. Zusätzlich durchzogen einst rund 300 Kilometer Nebenbahnen den Landstrich. Bis in die 1950er-Jahre bildeten diese Lokalbahnen das Rückgrat des Verkehrs auf dem Land. Der aufkommende Individualverkehr in den 1960er-Jahren, der Ausbau des Straßennetzes, die unterlassene Modernisierung der Eisenbahnstrecken, museumsreifes Wagenmaterial, selten verkehrende Züge und erschreckend lange Fahrzeiten ließen das Passagieraufkommen stets sinken. 1988 wurde daher auf den meisten Weinviertler Lokalbahnen der Personenverkehr eingestellt. Erhalten blieben vorerst einige Reste, die ebenfalls nach und nach verschwanden.

Eine dieser bis heute erhaltenen Reststrecken ist die Lokalbahn von Obersdorf (einer Haltestelle der Schnellbahnlinie Wien – Mistelbach) nach Gänserndorf (Endpunkt einer Wiener Schnellbahnlinie) mit einer Stichstrecke nach Bad Pirawarth. Statt der Einstellung erfolgte hier 1988 eine Modernisierung mit damals fabrikneuen Triebwagen und kundenfreundlichen Fahrplänen. Die Fahrgastzahlen der Lokalbahn, deren neue Hauptaufgabe es nun war, PendlerInnen zu den Schnellbahnlinien zu bringen,stiegen sprunghaft an. Bis zu 1000 Passagiere nutzten nach der Attraktivierung täglich die neu errichtete Umsteigemöglichkeit zur Schnellbahn in Obersdorf, zuvor waren es pro Monat keine 1000 gewesen, berichtete ein Fachblatt.

Was 1988 sensationell war, ist heute antiquiert. Noch immer verkehren dieselben Triebwagen wie vor 30 Jahren. Mittlerweile verfügen die ÖBB längst auch über barrierefreie Nebenbahntriebwagen – bloß sind diese im Weinviertel nie zum Einsatz gekommen. In die Erhaltung der Strecke ist kaum investiert worden, sodass der Zug, der abschnittsweise wie ein Schiff auf hoher See schwankt, immer wieder auf 20 km/h abbremsen muss, um quälend lange Langsamfahrstellen zu absolvieren – während vor dem Fenster der Autoverkehr vorbeibraust. Unverständlich bleibt, warum die Lokalbahnzüge von ihren Endpunkten nicht umsteigefrei direkt nach Wien weitergeführt werden. Dass die Strecke in unmittelbarer Nähe zur Wiener Außenring Schnellstraße und der Nordautobahn liegt, die 2009/10 eröffnet wurden, wird dem Passagieraufkommen auch nicht gut getan haben. Genau so wenig der Umstand, dass die Lokalbahn schon vor Jahren ihre beiden weiterführenden Abschnitte hinter Bad Pirawarth verloren hat. Und so sanken die Fahrgastzahlen, bis die ÖBB Anfang 2019 ankündigten die Strecke einzustellen, weil sich notwendige Investitionen bei dem geringen Passagieraufkommen nicht mehr lohnen.

Innovativ? Modern? Zukunftsweisend?

Der niederösterreichische Landesrat Ludwig Schleritzko, zuständig für Mobilität, kündigte daraufhin »innovative Lösungen, um das Mobilitätsangebot für die Region nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu verbessern« an. Das sieht so aus: »Mit 2. September 2019 ersetzt ein umfangreiches, modernes und zukunftsweisendes Regionalbus-Angebot die Bahnlinien des Schweinbarther Kreuzes«, informieren Folder, Plakate und die regionale Presse die Anrainer entlang der betroffenen Strecke (wobei die Eisenbahn zusätzlich noch bis zum Fahrplanwechsel im Dezember fahren wird). Der Bus hat – wie zuvor der Zug – die Hauptaufgabe, PendlerInnen zu den Schnellbahnlinien zu bringen. Zugleich wird die Öffentlichkeit über »die wichtigsten Neuerungen« unterrichtet: So bringt die Umstellung der Bahn auf zwei Buslinien eine Ausweitung der Betriebszeiten und mehr Verbindungen im Lauf des Tages. Das wäre mit der Eisenbahn ebenfalls machbar gewesen.

Außerdem weisen die neuen Bushaltestellen eine zentrale Lage im Ort auf, die es mehr Menschen als bisher ermöglichen wird, »innerhalb von 500 Metern zu ihrem Wohnort eine Haltestelle [zu] finden«. Das ist per se eh ok. Allerdings liegt bei sämtlichen Zwischenstationen der Lokalbahn (mit Ausnahme des Ortes Auersthal) kein Haus mehr als 1,7 Kilometer Weglänge vom Bahnhof entfernt, der Großteil der BewohnerInnen kann sogar deutlich darunter die Bahnhöfe erreichen. Im Vergleich mit vielen anderen Orten mit Bahnanschluss sind das sehr kurze Distanzen. Zudem sich eine Erweiterung der Einzugsgebiete der Haltestellen auch mit der Bahn bewerkstelligen ließe: Einige der durchfahrenen Orte sind groß genug, um statt einer Haltestelle zwei zu errichten. Gegen allzu viele Halte spricht allerdings ohnehin ein gewichtiger Faktor: Die Zeit. Weniger Halte = schnelleres Vorankommen.  

Richtig unerträglich ist das Spielen der Umweltkarte: ,Mit den modernen Dieselbussen werden schon mit der Umstellung von Bahn auf Bus 170 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart‘

Was die Infokampagne verschweigt: Mit dem Bus wird es künftig länger dauern. Ein Beispiel (von mehreren möglichen): Per Zug lässt sich die Strecke Groß Schweinbarth – Wien Mitte mit 1x Umsteigen aktuell mit einer Wegzeit von einer Stunde und zwei bis fünf Minuten bewältigen. An einem normalen Werktag wird es in dieser Destination nach der Umstellung auf den Bus nur eine (!) Verbindung geben, die diese Zeit unterbieten kann und drei, die genau so lang brauchen wie aktuell der Zug. Alle anderen Verbindungen sind langsamer – zum Teil bis zu dreißig Minuten. Welche Fahrzeiten wären erst möglich, wenn die Lokalbahn eine sanierte Strecke befahren könnte?

Umweltschutz durch Busverkehr?

Richtig unerträglich ist das Spielen der Umweltkarte: »Mit den modernen Dieselbussen werden schon mit der Umstellung von Bahn auf Bus 170 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart.« Ein Verkehrsmittel anzupatzen, das EU-weit für 0,5% der CO2-Verkehrsemissionen verantwortlich ist, während der Straßenverkehr 72% beisteuert (Stand 2016), ist absurd. Kein Wort davon, wie viele Pendler der lokale Straßenausbau vom Zug abgebracht hat. Kein Wort davon, wie viele Pendler statt auf den Bus auf ihr Auto umsteigen werden. Denn, so Markus Gansterer vom VCÖ: »Grundsätzlich ist in der Verkehrsplanung der sogenannte »Schienenbonus« bekannt, der besagt, dass das gleiche Taktangebot auf der Schiene besser angenommen wird als mit Bussen. Gründe dafür können der höhere Fahrkomfort der Bahn, mehr Platz im Zug oder auch bessere Sichtbarkeit des Angebots und gefühlt höhere Zuverlässigkeit sein.« Halten wir auch noch fest, dass der Bus im Gegensatz zum Zug keine Fahrräder mitnimmt, über keine Toilette verfügt und auch im Stau stehen kann. Ende 2021 soll dann der ganze neue Busbetrieb in der Region auf E-Bus umgestellt werden. Ob das beim momentanen Stand der Entwicklung bis dahin technisch umsetzbar sein wird? Elektrifizierte Eisenbahnstrecken hingegen sind in Österreich seit 1883 supersauber. Warum nicht auch diese Lokalbahn?

Im Weinviertel bleiben die Pläne zur Umstellung nicht unwidersprochen. Über 3500 Menschen unterzeichneten Unterschriftenaktionen für den Erhalt der Strecke, die Listen wurden dem Verkehrsminister überreicht. Gemeinden verfassten Resolutionen, Private gründeten Initiativen, die lokale Opposition (Grün, Rot, Blau) schloss sich im Mai zur Plattform »Weinviertel auf Schiene« für den Erhalt und Ausbau der Strecke zusammen. Der Blick auf Niederösterreich lehrt: Bringen wird das alles nichts. Das befürchtet auch Beate Kainz, grüne Gemeinderätin in Gänserndorf und Gründungsmitglied der Plattform: »Bund, Land und ÖBB dürften sich geeinigt haben und daher sind die Erfolgschancen [Anm.: der Plattform] gering.« Da die Eisenbahnstrecke dem Vernehmen nach nicht abgetragen wird, hofft sie auf eine bessere Zukunft: »Wenn sich herausstellt, dass die Busse die Bahn nicht ersetzen können, kann die Bahn wieder aktiviert werden – mit einem überarbeiteten Gleiskörper und neuem Wagenmaterial.«

Denn dass eine Einstellung nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss, hat man anderswo längst erkannt, wie zahlreiche nationale und internationale Best-Practice-Beispiele erfolgreich reaktivierter oder modernisierter Eisenbahnstrecken beweisen. Ein musterhaftes Beispiel gibt es mit der Traunseetram in Oberösterreich (wir berichteten). In Salzburg konnte die nach schweren Unwettern zum Teil völlig neu aufgebaute Schmalspurbahn von Zell am See nach Krimml mit modernen Fahrzeugen und neuen Haltestellen ihre Fahrgastzahlen von 230.000 in 2008 auf über 900.000 in 2018 steigern. Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die schmalspurige Zillertalbahn, deren Fahrgastzahlen bei steigender Tendenz 2018 2.860.000 Personen betrug.

Aber das scheint die für das Weinviertel Verantwortlichen nicht zu beeindrucken.

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