Interview: die Zukunft der Geflügel-Industrie

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BIORAMA hat vor kurzem über das Schicksal männlicher Küken berichtet; darüber, dass diese nun nicht mehr geschreddert oder vergast werden sondern leben dürfen. Doch wie geht es weiter?

Mit diesem Beschluss ist die Bio-Geflügel-Industrie gezwungen, sich weiterzuentwickeln und innovative, tierfreundliche Lösungen zu entwickeln. Was jetzt passieren muss, und was bisher passiert ist, haben wir Inga Günther, von der Ökologischen Tierzucht gefragt.

Frau Günther, die Teilnehmer des „Runden Tisches Ökologische Hühnerzucht“ haben sich auf eine „Priorisierung verschiedener Zuchtziele“ geeinigt. Was genau darf man sich darunter vorstellen und was wurde konkret beschlossen?

Zurzeit gibt es keine speziellen Zuchtprogramme für den Bio¬Sektor, gleichzeitig ist auch nicht zu erwarten, dass die großen Zuchtunternehmen mit der notwendigen Intensität an diesem Thema arbeiten werden.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erzeugung von ökologischen Geflügelprodukten und die Erwartungen der Verbraucher an diese Produkte unterscheiden sich stark von der konventionellen Erzeugung. Durch diese differierenden Grundbedingungen müssen auch entsprechende Anpassungen in den Vorstufen der Produktion vorgenommen werden, wie zum Beispiel in den Zuchtprogrammen für Legehennen und Mastgeflügel. Ziel muss es daher sein, worauf sich auch geeinigt werden konnte, möglichst kurzfristig eine Geflügelzucht unter ökologischen Haltungsbedingungen zu etablieren. Damit soll ermöglicht werden, den ökologisch wirtschaftenden Landwirten Tiere verfügbar zu machen, die langfristig an die spezifischen Gegebenheiten eines Öko­‐Betriebes angepasst sind. Wichtig ist dabei eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Landwirten, den Züchtern, dem Handel und der Gesellschaft. So war das Treffen in Frankfurt der Auftakt für weitere Veranstaltungen zu diesem Thema. Unter der Priorisierung der Zuchtziele wird verstanden, dass die Zuchtziele, die ein „Öko“-Huhn ausmachen, weiter diskutiert und abgewogen werden müssen.

Ab Ende 2015 soll die Tötung männlicher Küken in Bio-­Betrieben verboten werden. Das wird in der Geflügel-­Industrie zwangsläufig eine Verkettung an Neuerungen hervorrufen. Lässt sich voraussagen, in welche Richtung die Entwicklung geht?

Ich glaube, dass für den konventionellen Bereich die Geschlechtsbestimmung im Ei die Lösung sein wird. Momentan wird in Deutschland eine große Menge an Forschungsgeldern dafür bereitgestellt. Die Sache hat aber mindestens zwei Haken: erstens löst sie das ethische Problem nur sehr oberflächlich, da das Geschlecht des Kükens lediglich ein paar Tage früher erkannt wird um es dann in einem früheren Stadium zu vernichten. Außerdem, und das ist ein noch viel größeres Problem, wird damit ein unglaublicher Konzentrationsprozess ausgelöst. Deutschlandweit würde die gesamte Produktion dann in maximal zwei Großbrütereien zusammenlaufen. Das liegt daran, dass keine mittelständische (Öko-­)Brüterei sich diese teuren Geräte leisten könnte, was unweigerlich zum Absterben dieser kleinen, unabhängigen und regionalen Strukturen führen würde.

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Ein Ansatz, um dem Schicksal der Eintagesküken eine neue Richtung zu geben, ist die vermehrte Verwendung von Zweinutzungshühnern – einer Kreuzung, die es möglich macht, die Männchen zu mästen, während die Hennen Eier liefern. Die Idee kursiert schon jahrelang in Gesprächen und Gedanken rund um die Hühnerzucht. Trotzdem ist ihr Einsatz eher selten. Woran liegt das?

Jedes Huhn kann theoretisch ein Zweinutzungshuhn sein. Sobald beide – also Hahn und Henne – aufgezogen und verwertet werden, werden ja beide Tiere genutzt. Auf dieser Idee basiert in Deutschland die Bruderhahninitiative und in Österreich die aktuelle Initiative mit der Lohmann Sandy. Hierbei trägt die hohe Legeleistung der Henne direkt zur Subvention des Bruders bei, da er als Bruder einer Legehenne kein Mastpotential hat. Jedes Ei wird für 4 Cent mehr verkauft. So werden die Aufzuchtkosten für den Bruder erwirtschaftet. Bei der klassischen Zweinutzung ist jedoch sowohl die Henne als auch der Hahn ein wirtschaftlich eigenständiges Produkt. Ein klassisches Zweinutzungshuhn ist also ein Tier, welches sowohl für das Eierlegen als auch für die Mast geeignet ist. Das bedeutet, die Tiere können sowohl als Masttier als auch als Legehenne verwendet werden. Es ist jedoch ein genetisches Gesetz, dass ein einzelnes Tier nur bis zu einem gewissen Niveau Fleisch und Eier produzieren kann. Das bedeutet, die Leistungen der Zweinutzungshühner liegen zwangsläufig unter dem, was ein spezialisiertes Tier liefern kann. Durch das ausgewogene Verhältnis von beidem sind diese Tiere jedoch auch weniger empfindlich und kommen folglich auch mit weniger hochkonzentriertem, regionalem Futter gut zurecht – es passt also eigentlich gut zum Öko-Landbau. Fakt ist jedoch, dass die Produkte dieser Tiere um ein Vielfaches teurer sein müssen. Um von einer Zweinutzungshenne leben zu können sind 60 Cent pro Ei für den Endkunden ein angemessener Preis. Wenn mehr Konsumenten bereit sind, diese Preise zu zahlen und gleichzeitig weniger Eier essen würden, könnten alle Betriebe „echte“ Zweinutzungshühner halten – einige Initiativen mit engem Kundenkontakt und guter Direktvermarktung schaffen das.

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Wie lange wird es dauern, bis die Initiativen der tierfreundlichen Hühnerzucht soweit koordiniert sind, dass deren Zweinutzungshühner tatsächlich eine Lücke am Markt füllen können?

Zucht braucht Zeit und finanzielle Mittel. Für uns liegt dabei die Priorität der nächsten Jahre auf dem Aufbau eigener Möglichkeiten, um selbst züchten und Tiere für die ökologische Haltung und Fütterung vorbereiten zu können. Die Strukturen, welche seit 60 Jahren gewachsen sind und die Produktion von Fleisch und Eiern immer stärker getrennt haben, werden wir nicht von heute auf morgen ändern können. Darum ist unser Ansatz vielfältig. Wir werden uns sowohl in dem Bereich „Entwicklung eines Zweinutzungshuhnes“ als auch im Bereich „Zucht ökologischer Legehennen und Masttiere“ engagieren. Die sogenannte Domäne Silber, welche bereits jetzt schon von einigen Betrieben gehalten wird, ist eine Legeleistung-betonte Henne aus unserer Zuchtstruktur. Über allem steht das wichtigste und erste Ziel: selbstbestimmt und frei von Konzerninteressen ökologische Züchtungsziele entwickeln und umsetzen. Dafür brauchen wir Begeisterung für das Thema und finanzielle Mittel. Aktuell läuft bereits ein Projekt zur Datenerhebung mit den Domäne-Silber-Tieren, welches über das Land Niedersachsen gefördert wird. Weitere Projekte sind in Planung. Alles Weitere wird sich aus dem Zusammenspiel von Gesellschaft, Landwirtschaft und Handel ergeben. Die Menschen sind wach geworden für diese Thematik und fragen nach, das ist gut so!

Wenn die Bio-­Betriebe ab Ende 2015 ihre Junghähne nicht mehr schlachten dürfen, werden diese aufgezogen und ihr Fleisch anschließend verkauft. Die Mast eines Hahns, der von einer Legehenne abstammt, dauert aber bis zu 90 Tagen – setzt man den Futterpreis in Relation zum Reinerlös des Hähnchenfleisches ist das nicht rentabel, die Hähne müssen durch die Eier quersubventioniert werden. Wird der Konsument diese Veränderung finanziell spüren?

Es hängt davon ab wie viele Eier die verwendete Henne legen kann. Die „Lohmann Sandy“, deren Verwendung meines Erachtens in Österreich geplant ist, legt mehr Eier als die hier in Deutschland übliche „Lohmann Braun PluS“. Das macht es wesentlich einfacher den Bruder zu subventionieren, der vermutlich allerdings auch noch weniger Fleisch ansetzt als die Hähne der Lohmann BraunPluS. So wird man erst dann sehen wie viel teurer die Eier dieser Hennen tatsächlich sein werden. Ich vermute der Unterschied wird aber nicht mehr als ein bis zwei Cent betragen. Dennoch werde ich nicht müde zu betonen, dass das keine klassische Zweinutzung ist. Die Bruderhahninitiative in Deutschland kommuniziert offen und ehrlich, dass sie lediglich eine mittelfristige Lösung darstellt – das ist vorbildlich. Eine wirkliche Chance zum Wandel liegt nur in ökologischer Zucht von Anfang an.

Danke für das Interview!

 

Kontakt Inga Günther
www.oekotierzucht.de
inga.guenther@oekotierzucht.de

Zukunftsstiftung Landwirtschaft Stichwort: „ÖkoHuhn“ IBAN: DE10430609670030005454  BIC:GENODEM1GLS
GLS BANK Bochum

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