Die Brüder der Legehennen

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Eine Hühnerzucht, bei der das Lebenlassen männlicher Tiere wirtschaftlichen Sinn macht? Reinhard Geßl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau sieht dafür eine Chance: Doppelnutzungshybride. Doch auch die überleben nur, wenn der Markt mitspielt.  

Moderne Legehennen haben keine Brüder. Alle tot, oder besser gesagt: gleich nach der Geburt getötet. Der „Sexer“ steht am Förderband und sortiert die frisch geschlüpften Küken: die weiblichen Tiere leitet er Richtung Legehennenaufzucht, die Hahnenküken zur Betäubung und Vermusung. Dem Vernehmen nach, sterben auf diese Art in Europa jährlich etwa 350 Millionen Küken auf Grund ihres „falschen“ Geschlechts. Bevor wir jetzt kollektiv aufschreien, „Shitstürme“ erklicken oder in einen kurzzeitigen Veganismus verfallen, halten wir einen Moment inne und schauen auf die Fakten.

Produziert wird, was „der Markt“ verlangt. Der Markt sind wir Konsumentinnen. Wir wollen viele Eier essen, schon aus untadeliger Tierhaltung, aber kosten sollen sie nicht viel. Ähnliches gilt auch für Hendlfleisch, das uns weiß, fett- und strukturarm in der eigenen Küche ebenso erfreut, wie in Streifen geschnitten und paniert am Frühlingssalat im Beisl.

Die Bäuerinnen, der Handel und die Gastronomie liefern die gewünschte Ware, das ist ihr Geschäft. Tiere werden jene verwendet, die entweder gut Eier legen oder gut wachsen. Eier legen zählt zu den weiblichen Eigenschaften, (Muskel-)Fleischansatz zu den männlichen. Weiblich und männlich zugleich geht nicht. Also hat sich die Geflügelzucht in zwei getrennte Linien aufgesplittet. Moderne Legehennen legen bis zu 340 Eier pro Jahr, wachsen aber nicht, auch die Hähne nicht! Masthühner wachsen dafür umso schneller und erreichen in 30 Tagen das gewünschte Schlachtgewicht. Möglich sind diese enormen Leistungen durch die Verwendung von jeweils speziellen Hybriden. Das ist per se nichts Böses, aber eine andere Geschichte.

Zurück zu den Hahnenküken aus der Legehennen“produktion“. Würde man die männlichen „Leger“ mästen, bräuchten diese gut 150 Tage bis zur Schlachtreife. Das entspricht der fünffachen Mastdauer, zumindest dem fünffachen Futterverbrauch und damit auch dem fünffachen Preis, verglichen mit normalen Masthendln. Abgesehen von der ethischen Bedenklichkeit der Vergeudung von Getreide und Eiweißfrüchten, die wir Menschen auch ohne „Veredlung“ essen könnten, bleibt der Preis das Killerargument. Mindestens EUR 20,-/kg Hendl (im Ganzen) engt den Markt auf ein Minimum ein. Was sich nicht verkauft, wird auch nicht produziert.

Die Bio-Landwirtschaft leidet schon seit Jahren darunter, dass sie das Töten der Hähne nicht beenden kann. Seit letztem Jahr scheint aber eine Lösung möglich. Mit dem neuen Angebot an „Zweinutzungshybriden“ – eine Reaktion der Zuchtorganisationen auf das jahrelange Drängen der Bios – gibt es ab sofort Möglichkeiten, Schritt für Schritt das Töten der Brüder der Legehennen zu beenden. Bei den neuen „Zweinutzungshybriden“ legen die Hennen etwa (etwas kleinere) 250 Eier pro Jahr und die Hähne erreichen die Schlachtreife mit ca. 90 Tagen. Diese Leistungen schauen einmal sehr vielversprechend aus.

Voraussetzung für einen Siegeszug dieser Zweinutzungstiere ist jedenfalls, dass jene Menschen, die sich am Stammtisch und in den Online-Foren lautstark über das Tierquälen aufregen, konkret handeln und „ihren“ Legehennenbruder – eine Henne legt etwa so viele Eier, wie eine Person pro Jahr verbraucht – essen und den Mehrpreis für das „Zweinutzungsei“ zahlen.

Ein Beginn ist also getan und ich bin überzeugt, dass dieses Problem der Bio-Tierhaltung im Sinne aller Beteiligten in absehbarer Zeit gut gelöst sein wird.

Reinhard Geßl vom FiBL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) vermittelt Bio-Wissen (www.bio-wissen.org)– u.a. als Herausgeber der Bio-Fibel (http://issuu.com/freiland/docs/bio-fibel01-13)

Zwei Beispiele aus der praktischen Haltung von Doppelnutzungs-Hühnerrassen hat Biorama in der letzten Woche bereits vorgestellt. Siehe hier und hier.

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