Kükentötungsverbot: Was passiert ab 2022 mit den männlichen Hühnern?

Das Töten von männlichen Küken soll ab 2022 in Deutschland verboten werden. Eine unbedenkliche und funktionierende Lösung fehlt jedoch noch.

Viele Küken in einem großen Stall
In Deutschland werden jährlich etwa 45 Millionen Küken getötet – ab 2022 soll das verboten werden. Bild: pixabay / altmanntopagrar

Das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will bis Ende 2021 das Töten männlicher Küken verbieten. Bisher werden nach Angaben des Ministeriums allein in Deutschland etwa 45 Millionen männliche Hühnerküken kurz nach dem Schlüpfen getötet. EU-weit sind es jährlich fast 300 Millionen. 

Das Problem

Dass die männlichen Küken getötet werden liegt daran, dass sie keinen Nutzen für die Ei- und Geflügelindustrie haben. Dort werden fast ausschließlich sogenannte »Hybrid-Hühner« verwendet. Diese sind entweder auf die Eierproduktion spezialisiert oder setzten besonders viel Fleisch an. Die Brüder der Legehennen können, radikal formuliert, keins von beidem. Es gibt zwar mittlerweile Methoden zur Geschlechterbestimmung im Ei, die das Töten der lebendigen Küken verhindern sollen. Diese werden von KritikerInnen jedoch lediglich als eine Vorverlegung des Tötens angesehen, da das Geschlecht in der Industrie bisher erst ab dem neunten Tag bestimmt werden kann, die Hühnerembryos jedoch schon ab dem siebten Tag Schmerz empfinden. Die Eier der männlichen Embryos werden, laut Angaben des BMEL, nicht weiter ausgebrütet und schockgefrostet, um deren Entwicklung zu beenden. Anschließend werden sie als proteinreicher Futtermittelrohstoff weiterverarbeitet. 

Hybrid-Hühner werden auch in der biologischen Landwirtschaft verwendet und seien per se nichts Schlechtes, solange Faktoren wie Gesundheit, Beweglichkeit und physiologisch verträgliches Muskelwachstum im Vordergrund der Zucht stehen würden, so Reinhard Geßl, Beauftragter für biologische Tierhaltung vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Wien. 

Alternative Lösungen sind nicht rentabel

Alternativen zum Töten der männlichen Küken und der umstrittenen Geschlechterbestimmung im Ei, sind momentan nur die Zucht von sogenannten Zweinutzungshühnern oder die Bruderhahn-Aufzucht. Und auch diese Methoden bringen noch Schwierigkeiten mit sich. 

Bruderhahn-Aufzucht

Eine Alternative ist die sogenannte Bruderhahn-Aufzucht. Dabei werden die männlichen Küken über den Verkauf der Eier der Legehennen mitfinanziert. Der Zuschlag beträgt, laut Angaben des Informationsportals »Ökolandbau«, etwa vier Cent pro Ei.
Doch da es sich auch hier um Hybrid-Hühner handelt, ist diese Alternative für die Betriebe nicht rentabel. Hinzu kommt das Problem der Notwendigkeit für neue Stallungen, der Aufbau einer zusätzlichen Infrastruktur und der vermehrte Import oder Anbau von Futtermittel. 

Die Zweinutzungsrasse

Bei der Zucht von Zweinutzungsrassen sollen Hühner herangezogen werden, die sowohl zur Eier- als auch zur Fleischerzeugung gehalten werden können. Die männlichen Tiere sollen hier, anders als bei der Bruderhahn-Aufzucht, nicht über den Eierverkauf der Henne mitfinanziert werden, sondern »produzieren aus möglichst regionalen Futtermitteln und Reststoffen Fleisch«. So wird das Konzept von der Ökologische Tierzucht GmbH (ÖTZ) beschrieben. Diese wurde 2015 von den Verbänden Demeter und Bioland zur Züchtung der Zweinutzungsrassen gegründet.
Laut Angaben der Geschäftsführerin, Inga Günther, gibt es in Deutschland etwa fünf Millionen Biolegehennen, die ÖTZ vermarktet pro Jahr ungefähr 80 000 Küken aus Zweinutzungsrassen, der Bestand in der Bioindustrie beträgt im Moment also noch unter einem Prozent.

Die Haltung von Zweinutzungshühnern hat zwar ein hohes ethisches Ansehen, ist ökonomisch gesehen aber nicht wirklich rentabel, da die männlichen Hühner vergleichsweise lange brauchen, um Fleisch anzusetzen, das den VerbraucherInnen dann häufig zu teuer ist. 
Ein weiteres Problem, auf das Günther aufmerksam macht, sind Konflikte mit den Futtermittelrichtlinien für Nutztiere. Denn obwohl die Zweinutzungsrassen als Resteverwerter dienen könnten, sei die Umsetzung häufig nicht erlaubt, da das weniger spezialisierte Futter nicht mit den Zulassungen als Futtermittel übereinstimme. 

Hühner auf einer Wiese
Die Zweinutzungshühner sind lauter, wilder und schwerer als ihre Hybrid-Artgenossen. Sie verhalten sich natürlicher – den richtigen Umgang mit ihnen muss auch der Landwirt wieder lernen. Bild: ökologische Tierzucht GmbH / Daniel Schewe

Wie geht es weiter?

Der am 9. September eingereichte Gesetzesentwurf macht Deutschland zum Vorreiter – auf einer Fachkonferenz 2019 hatte neben Deutschland auch Frankreich angekündigt, das Kükentöten verbieten zu wollen, geschehen ist seitdem allerdings noch nichts. In Österreich ist die Praxis weiterhin erlaubt, ein Verbot ist jedoch im türkis-grünen Regierungsprogramm vorgesehen. Das Gesetz sieht vor, in einem zweiten Schritt ab 2024 auch das Töten von Hühnerembryonen im Ei nach dem 6. Bruttag zu verbieten. 

Das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft weist auf die Notwendigkeit hin, Alternativen für die vom Verbot betroffenen Betriebe zu entwickeln, damit diese nicht ins Ausland abwandern würden. Als mögliche Lösung wird auf ihrer Website die „In-Ovo-Geschlechtsbestimmung“ angegeben. Dabei gibt es zwei Verfahren, nur eines davon findet auf dem Markt Anwendung, das sogenannten »endokrinologische Verfahren«. Dabei werden die Eier etwa neun Tage lang bebrütet. Dann wird dem Ei mit einer Nadel etwas Flüssigkeit entnommen, anhand der darin enthaltenen Hormone wird das Geschlecht des Hühnerembryos über ein biotechnologisches Nachweisverfahren bestimmt.
Vom deutschen BML wird das Verfahren als »Brückentechnologie« angegeben, es solle bis Ende 2021 »breitflächig einsetzbar sein, so dass die Geschlechtsbestimmung in großer Stückzahl und zuverlässig erfolgen kann«. 

Das alternative Verfahren, das allerdings wie erwähnt in der Praxis noch keine Anwendung findet, ist das spektroskopische Verfahren, bei dem das Ei etwa vier Tage lang bebrütet wird und das Geschlecht anhand der Reflektion eines speziellen Lichtstrahls, der in das Ei geschickt wird, bestimmt wird. Die Embryos selbst bekommen, laut BML, nichts von der Geschlechtsbestimmung mit. 

Unterstützung durch die KonsumentInnen

KonsumentInnen können durch bewusste Kaufentscheidungen von Bioprodukten zu einer positiven Entwicklung der Ei- und Geflügelindustrie beitragen. Auf ihrer Website weist die ÖTZ darauf hin, wie und wo Eier von Zweinutzungshühnern und ohne In-Ovo-Geschlechtsbestimmung gefunden werden können. Darüber hinaus verweist die Legegemeinschaft »die Biohennen« auf ihrer Website ebenfalls auf einige Standorte in Deutschland, an denen Eier von Zweinutzungshühnern gekauft werden können. 

Wichtig sei auch die ganzheitliche Verwertung der Tiere, meint Günther. Das haben ebenfalls die KonsumentInnen in der Hand. »Wenn weiterhin nur die Brust nachgefragt wird, landet der Rest weiterhin ohne Wertschätzung als Billigfleisch in billigen Produkten«, so Günther. Ein Mensch verbraucht im Durchschnitt 230 Eier pro Jahr, so viele legt ungefähr auch ein Zweinutzungshuhn. Dieses Huhn hat allerdings auch einen Bruder, der, wenn er aufgezogen und nicht nach dem Schlüpfen oder im Ei getötet werden soll, ebenfalls verwertet werden müsse, wie auch Geßl bestätigt. Daran denken viele der KonsumentInnen nicht.

Das Verbot des Tötens männlicher Küken durch das deutsche Parlament ist aus Tierschutz-Perspektive ein vorbildlicher Schritt – noch fehlen allerdings geeignete Lösungen für die Umstellung der Industrie. Ein erster Schritt wäre ein Umdenken, weg vom Industriehuhn, das entweder Eier legt oder auf Zeit gemästet wird und hin zu einem Nutztier, das trotz natürlicher und somit längerer Lebenszeiten durch die KonsumentInnen finanziert wird.  

Als KonsumentIn könne man selbstverständlich auf den Kauf von Bioprodukten achten. Damit sei nicht nur das Konzept Bruderhahn gut umgesetzt, sondern es werde auch auf die Haltung und die Gesamtökologie des Betriebs geachtet, meint Reinhard Geßl.
Bild: ökologische Tierzucht GmbH / Katja Aßmann

Zum Weiterlesen: Trotz verbotener Käfighaltung finden immer noch Käfigeier ihren Weg auf österreichische Teller. Warum das so ist und was getan werden muss, damit sich das ändert.

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