Wild auf Bio

Warum Wildfleisch aus kontrollierter Haltung im Biogatter kein fauler Kompromiss ist, sondern »best of both worlds«. Ein Besuch bei den Damhirschen von Hannes Wiesmayer.

Die Damhirsche von Hannes Wiesmayer bekommen kein Kraftfutter, obwohl Biokraftfutter theoretisch zugelassen wäre. Die Tiere des Biobauern sollen stattdessen langsam wachsen. »Das bringt das beste Wildfleisch«, ist er überzeugt. Bild: Delphine-Schieb/Unsplash.

Wer Fleisch isst und sich dafür interessiert, wie die Tiere, die dafür getötet werden müssen, davor gelebt haben, gehalten und gefüttert wurden, wird bei Biofleisch landen – und früher oder später bei Wildbret. Davon ist Hannes Wiesmayer überzeugt. Er ist Biobauer, leidenschaftlicher Jäger und züchtet in einem weitläufigen Wildgatter wenige Kilometer außerhalb der Wiener Stadtgrenze Damwild. »Biolandwirtschaft und Jagd, das gehört für mich zusammen«, bekennt er. Neben Eiern von Biohühnern, die in Kleinstgruppen in mobilen Stalleinheiten leben, gibt es in seinem Hofladen in Hennersdorf beides zu kaufen: Wildbret aus freier Wildbahn – etwa vom Wildschwein, vom Fasan oder vom Feldhasen – und Wildfleisch aus dem Gatter. Nur Letzteres allerdings kann biozertifiziert sein. Und das hat gute Gründe.

»Kontrolle und Wild, das passt nicht zusammen. Niemand kann sagen, ob ein erlegtes Wildschwein sich den Bauch auf dem Biokartoffelacker vollgeschlagen hat oder auf dem konventionell bewirtschafteten Feld daneben«, schreibt Fabian Grimm in seinem »Wildkochbuch«, das im Untertitel die Vorzüge von Wildbret anführt: »ehrlich, regional, saisonal«.
Der Food-Blogger Grimm war lange Jahre Vegetarier und propagiert mittlerweile das Handwerk der Jagd, das ganzheitliche Nose-to-tail-Prinzip – und Wildbret als natürlichste Form von »Slow Food«. In seinem Kochbuch beantwortet er auch die Frage, ob Wildbret bio ist – mit einem klaren Nein. »Bei den Voraussetzungen für das Biosiegel geht es um ganze Produktionsketten«, schreibt Grimm. »Aus Biosaatgut auf Bioflächen werden Biopflanzen, die dann ein Bioschwein fressen kann, um dick genug für eine ordentliche Biowurst zu werden.«

Soll heißen: Bei Bio geht es um lückenlose Nachvollziehbarkeit und Kontrolle. Schließlich könnte das konventionell bewirtschaftete Feld, in dem sich das Wildschwein in der Nacht, bevor es erlegt wurde, vollgefressen hat, auch tags davor noch heftig mit Herbiziden gespritzt worden sein. Es könnte auch die vielen toten Insekten aufgefressen haben, denen ein Insektizid dort den Garaus gemacht hat.

Buch: Wildkochbuch, Ulmer Verlag

»Wildkochbuch. Ehrlich. Regional. Saisonal«
Rezepte und Warenkunde zum Thema Wildbret von Fabian Grimm (bekannt für seinen Wild-Food-Blog »Haut Gôut«), Ulmer Verlag, 2020.

»Naturnah« lässt alles offen

Hannes Wiesmayer öffnet das Tor ins Gatter seiner Damhirsche. Wobei es genau genommen eigentlich nur ein einziger Damhirsch ist und eine Herde von 16 Muttertieren samt ihren Kälbern, die das Weite suchen, als wir das Gatter betreten. Das Damwild stammt ursprünglich aus Asien, wurde als besonders ansehnliche Hirschart, die deutlich kleiner ist als der heimische Rothirsch, aber bereits vor Jahrhunderten von Adelshäusern nach Europa geholt und in Parkanlagen gezüchtet. Mittlerweile lebt das Damwild mancherorts auch in freier Wildbahn und wird wie das Rotwild gerne in Gattern zur Fleischproduktion gehalten. Unter freiem Himmel und »naturnah«, wie es oft heißt. Wobei jede/r frei interpretieren und behaupten kann, was er oder sie als naturnah durchgehen lässt. Auch auf gerodeten südamerikanischen Regenwaldflächen angebautes Soja kann als Kraftfutter naturnah unter freiem Himmel gefüttert werden. In Hannes Wiesmayers Biogatter – genau: Gatter ist gleich Kontrolle ist gleich biozertifizierbar – wäre theoretisch ausschließlich Biokraftfutter zugelassen. Zumindest einmal im Jahr müsste er bei einer Biokontrolle anhand von Anbauprotokollen und Rechnungen für Saatgut oder Futterzukäufe auch belegen, womit er seine Damwildherde füttert. Theoretisch. Denn praktisch wird den Tieren im Hennersdorfer Biogatter gar kein Kraftfutter angeboten. »Sie sollen langsam wachsen, das bringt das beste Wildfleisch«, sagt er.

Transparenz im Kühlraum

Den Biobauern kennt die Herde, ihm nähert sie sich vorsichtig. Um den unbekannten Eindringling an seiner Seite macht sie einen großen Bogen. Sie scheinen scheu wie Wildtiere. Wiesmayer lässt auch keinen Veterinär an seine Viecher heran. Medikamente sind tabu. Neben Gras und Heu kippt er der Herde hin und wieder eine Hängerladung schrumpelig gewordener Biokarotten ins Gehege. Dass das Gatter direkt an eine Wohnsiedlung heranreicht, freut den Bauern wie die AnrainerInnen. »Die haben einen Wildpark vor ihrer Haustür und sehen, wie unbeeinflusst die Tiere leben«, sagt Wiesmayer. Hin und wieder hören sie auch einen Schuss. Denn der Biobauer erlegt sie einzeln mit dem Gewehr und mitten in der Herde. Ein wohlplatzierter Schuss und das Tier ist sofort tot.

Transparenz ist Wiesmayer auch auf seinem Hof wichtig. »Ich zeige meiner Kundschaft auch die Kühlräume«, sagt er. »Ich habe nichts zu verstecken.« Als er die Tür öffnet, hängt darin ein Reh. Er hat es vor ein paar Tagen draußen auf den Feldern erlegt. Auf den Gründen, die er von den Bundesbahnen gepachtet hat, »gleich in der Nähe der Hendln«. Rehe sind Einzelgänger und höchst anspruchsvoll, was ihr Futter angeht. Sie ließen sich nicht gemeinsam im Gatter halten. Ein Reh in Bioqualität gibt es also höchstens in Utopia, im Gedankenexperiment: Sollten irgendwann einmal alle landwirtschaftlichen Flächen einer Region biologisch bewirtschaftet werden, dann wäre das theoretisch denkbar.

Tipp fürs Auswärtsessen: Wiesmayers Landladen & Wirtshaus in Hennersdorf. Öffnungszeiten: Landladen: Mittwoch 15–18 Uhr, Samstag 9–13 Uhr, Wirtshaus: ein bis zwei Mal monatlich geöffnet; Termine online. Bild: Wiesmayerhof.

Mehr Gatter, mehr Bio

Praktisch gewinnt Bio zumindest in der Gatterfleischproduktion an Bedeutung. Wie viele zertifizierte Biogatter es gibt, ist allerdings offen.
Laut dem »Grünen Bericht« des Landwirtschaftsministeriums gab es 2019 in Österreich insgesamt »rund 1870« Betriebe mit landwirtschaftlicher Wildtierhaltung – und »etwa 16.500 Stück Rotwild und ca. 30.000 Stück Damwild«. »Im Osten Österreichs bestehen auch einige Gehege mit Wildschweinen.« Obwohl einige kleinere Gatter aufgrund »bürokratischer Hürden« aufgelassen wurden, gab es 2019 geringfügig mehr Gatter als im Vorjahr. »Neu eingestiegen sind Betriebe, die in der Nutzung von Grünlandflächen mit Wildtieren und der Direktvermarktung von Wildfleisch eine sinnvolle Alternative sehen.« Ob bio oder nicht bio, wird im »Grünen Bericht« nicht angeführt.

In Deutschland schätzt Stefan Völl vom Bundesverband für landwirtschaftliche Wildhaltung e.V., dass mittlerweile zwischen zehn und zwanzig Prozent der 6000 bundesweiten Wildgehege biozertifiziert sind. Genaue Zahlen werden auch in Deutschland nicht erfasst. »90 Prozent der Gatter produzieren für die Direktvermarktung. Da bleibt niemand auf Wildfleisch sitzen – egal ob bio oder nicht«, sagt Völl. Bio werde für GatterbetreiberInnen allerdings immer interessanter. Wer die Biokriterien zu erfüllen bereit ist, kann auch »mit ein bisschen mehr Geld für die Ware rechnen«.

Wandel beim Fleischkonsum

Hannes Wiesmayer geht für die nächste Zeit überhaupt von einem Paradigmenwechsel beim Fleischkonsum aus. Der sei längst fällig und die Zustände in der industriellen Fleischproduktion seien »ohnehin unhaltbar«. Der Jäger und Biobauer lobt ausdrücklich – »dazu muss man stehen!« – die AufdeckerInnenaktivitäten des Vereins gegen Tierfabriken, berühmt und berüchtigt auch unter seinem Kürzel VGT. Bis vor Kurzem noch war der radikale Verein im bäuerlichen Milieu verpönt. Lange wurden seine Methoden kriminalisiert. Mittlerweile sind seine Verdienste unumstritten. »Sogar der konservative Bauernbund bekennt mittlerweile, dass die Zustände, die der VGT aufgedeckt hat, inakzeptabel sind«, freut sich Wiesmayer. »Da tut sich endlich was!« Und er bleibt dabei: Wer Fleisch isst und nicht verdrängt, wird bei Biofleisch landen – und früher oder später auch bei Wildbret.

Zum Weiterlesen: Auf der Suche nach frischem Wildbret? Die App »Wildes Österreich« schließt in Österreich Gourmets mit JägerInnen kurz.

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