Die Häuser der Zukunft könnten aus Pflanzen sein

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Bild: Andi Heuser

Es reguliert Wärmeverluste und -gewinne, bindet Staub, erhöht die Luftqualität – das Dämmungssystem der Zukunft? Azra Korjenic entwickelte an der Technischen Universität Wien ein System, bei dem Photovoltaikzellen über wuchernden Pflanzen an Hausmauern befestigt werden, wodurch eine Art der natürlichen Dämmung entsteht. BIORAMA hat die mehrfach ausgezeichnete Bauingenieurin über Photovoltaikzellen, die Notwendigkeit der Pflanzen und die Zukunft begrünter Metropolen befragt.

 

BIORAMA: Sie haben eine neue Art von Wärmedämmung für Gebäude entwickelt.  An Fassaden und Dächern werden transparente Photovoltaikzellen und darunter grüne Pflanzen angebracht. Können Sie uns erklären, was Photovoltaikzellen eigentlich sind?

Azra Korjenic: Vereinfacht gesagt wandeln Photovoltaikzellen Sonnenenergie in elektrische Energie um. Solarzellen werden aus zwei Halbleitern errichtet, wovon einer einen positiven und der andere einen negativen Ladungsüberschuss aufweist. Dazu wird  vorwiegend hochreines Silizium (Quarzsand), das das zweithäufigste Element der Erdkruste ist, verwendet. Wen diese Halbleiter zusammengebracht werden, entsteht eine Grenzschicht. Die Solarstrahlung bewirkt eine Wanderung der Ladungsträger über die Grenzschicht hinaus. Dadurch entsteht eine Spannung. Wenn der Stromkreis über eine Metallschicht geschlossen wird, fließt elektrischer Strom.

 

Das klingt alles sehr fachspezifisch, aber wie wird so die Wärme eines Hauses regulieren? 

Das System mindert zwar den Wärmeverlust im Winter und den Gewinn im Sommer, lässt sich aber trotzdem nicht unbedingt „Wärmedämmsystem“ nennen. Doch kann es viel mehr als das: Man kann Energie gewinnen, Heiz – und Kühlenergie sparen, Staub binden, Luftqualität erhöhen, Lärm mindern und Problemstellungen wie Hitzeinseln oder Überschwemmungen entgegenwirken.

Wir wissen, dass heute über 50 Prozent der Menschen in Städten leben. Im Jahr 2050 werden laut Prognosen sogar 67,2 Prozent in urbanen Ballungsräumen leben. Derzeit beanspruchen Städte 2 Prozent der Erdoberfläche, verbrauchen aber 75 Prozent der Energie und verursachen 80 Prozent der CO2-Emmissionen. Damit die Lebensqualität in Städten der Zukunft erhalten bleiben kann, brauchen wir solche multifunktionale Systemlösungen.

 

Und wie unterstützen Pflanzen diese Wärmedämmung?

Durch die Begrünung werden die Bauteile vor kalten Winden und Regen geschützt. Außerdem können grüne Wände einen Raum zwischen Begrünung und Wand schaffen. Die, auf diese Art entstandene Luftschicht, führt zu einem Isolationseffekt.

 

Können das alle Arten von Pflanzen für dieses System verwendet werden?

Nein, das ist ähnlich wie bei Null-/Plusenergiehäuser. Natürlich kann man aus jedem Haus ein Nullenergiehaus schaffen, aber um welchen Preis? Bei Pflanzen ist das genauso. Mit viel Pflege und Energieeinsatz könnte man jede Pflanzenart nehmen. Das ist aber nicht unser Ziel und weder zukunftsorientiert noch multiplizierbar. Wir brauchen Systeme die möglichst wenig Pflege brauchen und keine Energie verbrauchen. Das funktioniert in der Natur auch so.

 

Wucher- und Kletterpflanzen können jedoch Bauschäden durch ihre Haftorgane verursachen. Wäre das nicht ein großes Problem bei diesem System?

Die Kletter- und anderen Pflanzenarten werden detailliert von KollegInnen der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) erforscht. Auf der MA22 Homepage wurde „Ein Leitfaden für die Fassadenbegrünung“ veröffentlicht, wo man die Vorteile und Nachteile  verschiedener Gewächsarten nachlesen kann. Welche Pflanzen, Substrate und Abstände für dieses multifunktionale System optimal sind, müssen wir erst erforschen. Wie bereits gesagt konzentrieren wir uns nicht mehr auf einzelne Bauteile und Objekte, sondern suchen die besten Lösungsansätze für die Stadt der Zukunft. Mein Ziel ist es herauszufinden, wo das Optimum liegt – energetisch, ökologisch, ökonomisch und natürlich schadensfrei. Aus einer breiten Palette der zur Verfügung stehenden Pflanzenvielfalt, Substratstärke und Aufbau, photovoltaischen Module (undurchsichtige und semi-transparente)  wird nach einer optimierten leistungsfähigen, kostengünstigen und dauerhaften Lösung gesucht, die beliebig multiplizierbar ist und auch für die Sanierung im Altbestand eingesetzt werden kann. Dabei soll im Hintergrund die Minimierung der „grauen Energie“ stehen und somit das Ziel der korrekten Energieeffizienz erreicht werden.

Bild: Azar Korjenic

Bild: Azar Korjenic

 

Wärmedämmung von Gebäuden ist eines der wichtigsten Themen in puncto Klimaschutz. Durch falsche Dämmungen geht eine Menge an Energie verloren, weshalb einige Technologien, rund um dieses Thema, bereits entwickelt wurden. Was wäre der Vorteil dieses ganzen Systems? Könnte sich diese Technologie auf ganze Städte verbreiten? Könnte das die Wärmedämmung der „Stadt der Zukunft“ sein?

Der Vorteil dieses Systems ist die Multifunktionalität. Sobald wir die besten (energetisch, ökologisch und ökonomisch) Kombinationen diese multifunktionalen Systeme gefunden haben und mit genauen Darstellungen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, aufgeteilt nach Phasen des Lebenszyklus, präsentieren können, werden diese bei zukünftigen Gebäudesanierungen, Neubauten, Gebäudeverbänden und ganzen Städten Anwendung finden. Somit wird es möglich sein, bei jedem Bauvorhaben der „Stadt der Zukunft“ eine richtige Entscheidung zu treffen.

 

 

Sie haben Bauingenieurswesen, mit dem Schwerpunkt auf Bauphysik studiert. Ein, nach wie vor, von Männern dominiertes Arbeitsfeld. Hatten Sie je den Eindruck, dass das bei Ihren Projekten oder Ihrem Karrierepfad Ihnen im Weg gestanden ist?

Nein, ich liebe mein Arbeitsgebiet und alles was ich da mache, mache ich mit Freude. Ich habe auch schon viele Sanierungen und Baustellen betreut. Direkt auf der Baustelle wird eine Frau logischerweise ein bisschen anders als ein Mann angesehen. Für mich ist das wichtigste neben Forschung und Theorie möglichst viel von der Praxis zu bekommen. Deswegen schaue ich auf solche Details eigentlich nicht.

 

Wann wird der erste Versuch, ein Haus durch diese Technik zu dämmen, gestartet?

Es hängt von der öffentlichen Forschungsfinanzierung ab. Ich persönlich würde das am liebsten schon gestern gestartet und erforscht haben. Ich hoffe aber, dass ich bald eine passende Förderung finde. Die Sparmaßnahmen treffen leider auch die Forschung.

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