Der Berg klagt vor Gericht

Vendanta alumina refinery, India Bild: Amnesty International

Vendanta alumina refinery, India
Bild: Amnesty International

 

Überquellende Giftteiche, Enteignung und Zerstörung von Zukunftsperspektiven. Der Abbau von Bauxit, dem Rohstoff für Aluminium, durch das Unternehmen Vendanta in Indien hat verheerende Folgen. Ramesh Gopalakrishnan kämpft seit Jahren für die Rechte der betroffenen Menschen. Im Gespräch mit BIORAMA erklärt der Mitarbeiter von Amnesty International , warum Indien inzwischen vor einem weit größeren Konflikt als der Ausbeutung durch den Aluminiumriesen steht und wie er die Verschmelzung von Disziplinen auf globaler Ebene als einzigen Lösungsweg sieht.

 

Vendanta profitiert rücksichtslos vom Bauxitabbau. Der Konzern aus dem vereinigten Königreich betreibt in Orissa, Indien, eine Mine und gefährdet damit das Leben von einem über 6000 Jahre alten, indigenen Volksstamm, den Donriah Kondh. Über die letzten Jahre sind immer wieder Skandale um Vendanta bekannt geworden: Verhaftungen, Behinderungen von Medienvertretern oder Menschenrechts-Aktivisten, Umweltverschmutzung und die Aneignung von Land gegen ungehaltene Versprechen oder lächerliche Summen stehen in Orissa an der Tagesordnung. Vendanta hat inzwischen ein ernsthaftes Reputationsproblem, auch einige Investoren haben sich zurückgezogen. Doch bis auf kosmetische Veränderungen und PR-Reaktionen hat sich nicht viel geändert.

Nun scheint ein Teilsieg der Bevölkerung erreicht zu sein: Der Abbau wurde vorübergehend gestoppt und das Oberste Gericht Indiens hat den betroffenen Gemeinden ein Mitspracherecht in den Plänen von Vendanta eingeräumt. Das ist ein wichtiger Schritt, da dieser Fall Präzedenzwirkung für viele andere hat, meint Gopalakrishnan, der für Amnesty International die Lage beobachtet. Indien hat ein sehr großes Bauxit-Vorkommen, mehr als die Hälfte der Weltreserven liegen dort. Dazu kommt, dass der Rohstoff dort sehr billig ist. Die Firmen können großen Profit daraus schlagen und das Ganze als Entwicklungsprojekt verkaufen, daher wächst auch die Zahl der Minen im Land. Vendanta war nur der Vorreiter doch es ist anzunehmen, dass Unternehmen der Aluminiumbranche ihre Operationen entlang des gesamten Bauxit-Gürtels über mehrere Regionen in Indien ausdehnen werden.

 

Fehlender Wille, gegen Goliath zu kämpfen

Der Hauptgrund des Konflikts ist für Gopalakrishnan klar: Niemand will sich die Finger schmutzig machen. Kein Wunder, denn es herrscht eine Asymmetrie der Macht. Vendanta hat zu viel Geld und Einfluss. Das Unternehmen kontrolliert indische Behörden und missbraucht sie für seine Zwecke, um Widersacher wegzusperren oder Journalisten und Organisationen wie Amnesty International fernzuhalten. „So etwas ist nur möglich, weil die Regierung Indiens einem fundamentalen Interessenskonflikt ausgesetzt ist.“, meint Gopalakrishnan. „Sie wollen Bauxit-Abbau und die Industrie dahinter unterstützen, wären aber eigentlich für die Rechte der Bevölkerung zuständig. Das ist nicht vereinbar.“ Es mangelt nicht so sehr an Gesetzen, doch an politischem Willen, gegen Goliath zu kämpfen. Die Kontaktstelle der OECD in UK, Vendantas Heimat, hat eine Warnung ausgesprochen, wurde allerdings nicht sehr ernst genommen. Auch die Regierung Großbritanniens ist informiert, will sich aber nicht einmischen. Es gibt nur wenige, die den Kampf der indigenen Völker gegen Vendanta unterstützen.

Der Konflikt zieht radikale Kreise

Die Betroffenen der Ausbeutung sind über 6000 Jahre alte Dörfer. Der Stamm der Dongria Kondh hat isoliert gelebt und eine eigene Kultur und Traditionen gepflegt. Das alles steht jetzt auf dem Spiel, die Zukunft ist sehr unsicher. Die Menschen verstehen langsam die Hintergründe der Situation, sie merken, dass ihr Lebensraum und ihre Ressourcen von höchster Ebene attackiert werden. Sie haben zwar endlich ein gewisses Mitspracherecht erreicht, aber die Regierung scheint nicht hinter ihrem Volk zu stehen, daher gibt es langfristig keine Perspektive. Manche der Stammesangehörigen emigrieren aus der verseuchten Zone, doch sie haben noch nie in Städten gelebt, es ist also eine schwierige Entscheidung.

Bild: Amnesty International

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Viele suchen daher nach einem anderen Ausweg und Unterstützung im Kampf gegen das Unternehmen. Die bewaffneten Maoisten, eine rebellische Gruppierung in Indien, die seit Jahren einen schwelenden Konflikt im Land kreieren, kommen hierbei zum Zug. So manche verzweifelte Kämpfer aus den ausgebeuteten Dörfern beginnen, sich den radikalen Gruppen anzuschließen. Es ist verständlich, da sie jemanden suchen, der sie verteidigt, doch diese Zusammenarbeit kann schwere Folgen haben. Die Rebellen sind gewalttätig und nicht zu unterschätzen, warnt Gopalakrishnan. Die Entwicklung ist bedenklich, das ist auch der Regierung auf höchster Ebene bewusst. Wir sprechen hier immerhin von einer riesigen Menschenmenge, die mit Recht verzweifelt und zornig darüber ist, wie sie ausgebeutet wird. Dies kann zu einer gefährlichen Waffe werden, wenn es gebündelt eingesetzt wird.

 

Ökozid-Verurteilung und interdisziplinäre Vernetzung als Zukunftsvision

Die schwierige Lage bleibt trotz Arbeitsstopp bestehen. Das Trinkwasser ist durch Giftmüll verpestet, es häufen sich gesundheitliche Probleme und keiner macht sich Gedanken darüber was passiert, wenn das Unternehmen das Land fertig ausgebeutet hat und weiterzieht – denn Verschmutzung und irreversible Zerstörung werden bleiben. Das hat einen Namen: Ökozid. Die Idee von Polly Higgins, Ökozid, also Verbrechen gegen die Umwelt, auch als Verbrechen gegen den Frieden anzuerkennen (BIORAMA berichtete), ist Gopalakrishnan bekannt, doch er ist nur teilweise überzeugt. „Dinge wie die Ökozid-Idee oder die Menschenrechts-Verordnung der UN sind gute Meilensteine um Schaden zu begrenzen, aber das Denken muss weiter gehen. Wir brauchen einen neuen Natur-Vertrag, ähnlich wie der Sozialpakt, der auf ganzheitlichem Denken basiert. Ein Rohstoff steht immer in Verbindung mit dem Land, in dem er liegt. Der Berg ist eben nicht nur eine Bauxitquelle, sondern gleichzeitig eine Quelle nachhaltigen Lebens. Geologen, Juristen, Anthropologen, Menschenrechtler – die Experten dieser Disziplinen müssen zusammenkommen und ihr Wissen zu einer neuen Regelungsgrundlage verschmelzen. Nur so werden wir wieder Harmonie erreichen, sonst werden wir beim Ökozid landen.“ Gopalakrishnan sieht die ersten Ansätze dieser Transformation in Orissa: „Man kann sagen, in gewisser Weise ist der Berg zum Gericht gekommen. Die betroffenen Menschen können nicht schreiben, sie wissen nicht, was eine Petition ist, oder was das oberste Gericht ist. Sie sind ein Teil der Natur, des Berges, der ausgebeutet wird – also kann man es so sehen: der Berg selbst klagt vor Gericht, ein nicht-menschlicher Teil der Erde steht für sein Recht ein.“

Bild: Amnesty International

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Was Gopalakrishnan beschreibt ist eine Revolution des globalen Denkens, Forschens, Arbeitens, Regulierens – eine unglaubliche intellektuelle und ethische Aufgabe. Noch ist ihre Umsetzung Zukunftsmusik, doch manche Menschen haben nicht viel Zeit, darauf zu warten. Die Dongria Kondh sind nicht die einzigen. Sie werden demnächst von ihrem Mitspracherecht im Vendanta-Fall Gebrauch machen. Doch ob die Lage sich langfristig positiv entwickelt, hängt von der globalen und ganzheitlichen, interdisziplinären Regelung des Konflikts ab. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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