CSR-Brille #16: Skalierter Schwachsinn – Wo bleibt die Unternehmensverantwortung von Start-ups?

Erfolgreiche Start-ups machen vieles anders als ihre Mitbewerber. Das heißt nicht, dass sie vieles besser machen.

Erfolgreiche Start-ups machen vieles anders als ihre Mitbewerber. Das heißt nicht, dass sie vieles besser machen.

Streik beim Essenslieferant Foodora in Italien. Streik bei 1000 Angestellten von Amazon. Ist der in der Start-up-Szene so oft als Nonplusultra dargestellte Begriff „Disruption“ doch vielleicht nicht „das“ Zauberwort für ein blühendes Geschäft? 

Zauberwort „Disruption“?

Laut Definition des Portals Gründerszene handelt es sich beim Begriff Disruption um die „komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden (Geschäfts-)Modells“. Dass es sich bei Disruption allerdings nicht immer um eine Zauberformel für Verbesserungen handelt, zeigt neben dem genannten Beispiel Foodora auch die Start-up-Erfolgsgeschichte Uber. Die Taxifahrerinnen und -fahrer dieser Onlineplattform stecken in vollkommen prekären Arbeitsverhältnissen. Die Anstrengungen der Gewerkschaften der letzten Jahrzehnte wurden mit diesem Modell innerhalb kürzester Zeit ad absurdum geführt. 25% der Einnahmen gehen übrigens als Provisionen an Uber und alle Sozialabgaben haben die Fahrerinnen und Fahrer sowieso selbst zu tragen. Das konnte ich bei einer nächtlichen Heimfahrt und einem Tratsch mit einem New Yorker Taxifahrer erfahren, der quasi in seinem Auto gelebt hat. Von den Arbeitsrechtsskandalen bei Amazon, die auch einmal als Start-up angefangen haben oder den Datenschutzskandalen von Facebook will ich erst gar nicht anfangen. Und auch nicht von den 2,8 Milliarden Einwegbechern, die auf das Konto von Starbucks gehen, dessen „Disruption“ sich auf eine Kulturrevolution des Kaffeehausbesuchs bezieht und ein einziges ökologisches Desaster darstellt.

Auch bei einem der Ergebnisse der weltgrößten CEO Studie zu Corporate Social Responsibility bin ich skeptisch: In der von Accenture und dem UN Global Compact durchgeführten Untersuchung geben 75% der Unternehmensbosse der weltgrößten Konzerne an, dass neue digitale Geschäftsmodelle (wie sie auch Amazon oder Foodora versprechen) auch nachhaltiges Wirtschaften fördern sollen.

Schei** auf CO2-Emissionen und Arbeitsbedingungen – wir arbeiten auf den Exit hin

In der Start-up-Show „Höhle des Löwen“ hat sich ebenfalls nach einiger Zeit ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend breitgemacht. Denn: Blickt man während so mancher Pitches – also der Präsentation der Geschäftsidee – in die Augen der Juroren, sieht man fast schon einen Film ablaufen. Es scheint, als würde der Vertriebsprofi in der Runde bei Interesse mit €-Zeichen in den Augen bereits sämtliche Kalkulationen durchrattern lassen, Margen optimieren und bei der Sendung, die ich gesehen habe, endete das in der Produktion von wahrlich verzichtbaren Konsumartikeln in China. Die Sendung ist spannend, sehr beliebt, macht Lust auf Unternehmensgründung und hat hohe Einschaltquoten, aber wird derartiges Agieren von niemandem hinterfragt und sind das die Vorbilder?

Ein großes Problem, das auch der aktuelle Start-up-Hype suggeriert, ist in vielen Fällen der Traum von einem „Exit“, also dem Verkauf des Unternehmens um zig Millionen. Bis dahin – und das betrifft nur sehr wenige – werden von allen CO2– und sonstige Emissionen in die Atmosphäre geschleudert, im schlimmsten Falle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebeutet (von der Selbstausbeutung der Gründerinnen und Gründer ganz abgesehen) und leider so oft Schwachsinn, der oftmals nach kurzer Zeit auf dem Müll landet, verkauft. Das ist übrigens meiner Erfahrung nach auch vielen investierenden Personen oder Venture Capital Firmen vollkommend egal. Klar, noch sind die meisten unter der Wahrnehmungsschwelle von NGOs wie Greenpeace & Co., denn gerade die stoßen ja den größeren Unternehmen bei solchen Themen oftmals sauer auf. Wer jedoch bei den „Großen“ mitspielen will, die ihre Hausaufgaben in Sachen unternehmerischer Verantwortung und Nachhaltigkeit meistens mittlerweile gemacht haben, sollte auch als Start-up solche Themen vor allem in Sachen Risikomanagement frühzeitig auf der Agenda stehen haben. Abgesehen davon gibt es genug Herausforderungen auf unserem Planeten, für die neue und disruptive Geschäftsmodelle gefunden werden müssen.

Kein Planet B – auch für Start-ups

Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist: Bei Unternehmensverantwortung geht nicht nur um einzelne „Grüne Start-ups“ oder so genannte Social Entrepreneure, sondern Unternehmensverantwortung geht wirklich alle Start-ups an und nicht erst, wenn die erste Shitstorm-Gefahr droht. Das Schöne am Start-up-Leben ist ja, Wirtschaft und Gesellschaft mitzugestalten, Produkte und Prozesse anders zu denken und nicht ein altes System und bestehende globale Probleme durch ein neues Geschäftsmodell zu potenzieren. Klar, dass das nicht immer einfach und mit wenig Geld und Ressourcen zu 100% möglich ist.

Warum das so relevant ist? Allein in Berlin sollen laut einer Studie von McKinsey bis 2020 100.000 Arbeitsplätze durch Start-ups entstehen. Das ist nicht nichts. Hier wird gerade viel Geld investiert!


Fotoshooting: 5.Mai 2010;

Über mich – Annemarie Harant: Geboren in München und aufgewachsen in einem 100% Öko-Haushalt, arbeite seit über 5 Jahren für die Unternehmensberatung brainbows – the information company im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement mit Großunternehmen und durchlief davor verschiedene Stationen im Nachhaltigkeitsbereich der ÖBB, Fairtrade und der Unternehmensplattform respACT. Seit 2011 stehe ich als Co-Gründerin des Start-ups erdbeerwoche. Nachhaltige Frauenhygiene. DIE NEUE GENERATION. nun selbst vor der täglichen Herausforderung nachhaltiges Handeln im eigenen Unternehmen umzusetzen.

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