Responsibly wasted

Food Waste und Gänsefäkalien waren gestern. Dieses Jahr kommen Schwimmblasen von Fischen beim Brauen zum Einsatz.

Bild: Juha-Pekka-Huotari.

Die finnische Stadt Lahti liegt am Ufer des Sees Vesijärvi – dessen Name »Wassersee« bedeutet, wie Lahti schlicht »Bucht« heißt. Neben Wasser enthielt der Vesijärvi jedoch auch besonders viele Toxine, unter anderem aus der Holzindustrie. Er galt als eines der am stärksten verschmutzten Gewässer Nordeuropas, 1975 wurde festgestellt, dass er zu kippen droht. Die Nachhaltigkeitsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte allerdings haben ihn in einer erfolgreichen Renaturierung zu einem der heute saubersten Seen Finnlands gemacht, der nicht zuletzt Teil des Wasserversorgungssystems ist, das auch die Hauptstadt Helsinki versorgt.

Aus dem Vesijärvi werden reglmäßig Fische eentnommen, um diesen gesund zu erhalten. Heuer wurden deren Hauenblasen von Ant Brew zur Filtrierung genutzt. Bild: Toivo Heinimak.

Heute liefert der wieder fischreiche Vesijärvi auch das Wasser für die Mikrobrauerei Ant Brew. Sie braut seit 2021 die Serie Wasted Potential Beer; Biere, in denen verschiedene sonst ungenutzte Stoffe verarbeitet werden. Einzelne Zutaten wie das Malz sind zwar biozertifiziert, nicht aber Brauerei und Biere. Andere Zutaten wechseln von Jahr zu Jahr: 2021 kamen Zutaten wie Wildkräuter, Food Waste – Orangenschalen aus einem Saftpressbetrieb in der Region – und Gänsefäkalien aus den Parks rund um den See zum Einsatz. Sie wurden – unbedenklich für Nahrungsmittel – genutzt, um das Malz für ein spezielles Stout zu räuchern. Ein rundes, sanftes Stout mit kräftigem Röstaroma.

Imperial Stout
Ein aus dem englischen Porter entwickelter Bierstil: dunkel, tendenziell tiefschwarz, oft mit durch geröstete Gerste und Gerstenmalz hervorgerufenen starken Röstnoten nach Schokolade und Kaffee im Geschmack.

Anlass der Kreativbiere war, dass Lahti 2021 Grüne Hauptstadt Europas war, ein Titel, der seit 2010 jedes Jahr an eine Stadt in der Europäischen Union verliehen wird. 2022 übrigens an Grenoble in Frankreich. Und Lahti hat noch große Pläne, will bis 2025 CO2-neutral sein – ohne den Kauf von Emissionszertifikaten – und bis 2050 eine »müllfreie Kreislaufwirtschaft« umsetzen. Ein Ziel, das man in der Bewertung der Stadt bereits großteils erreicht hat, allerdings wird nur ein Drittel zu neuem Ausgangsmaterial recycelt, zwei Drittel werden zur Energieerzeugung verbrannt. Die Stadt hat außerdem gemeinsam mit anderen Gemeinden ein Unternehmen gegründet, um Möglichkeiten des Kunststoffrecyclings zu beforschen. Und aktuell arbeitet die große Brauerei Hartwall gemeinsam mit dem Energieversorger Lahti Energia daran, bei der Verarbeitung des Malzes im Brauprozess entstehendes Biogas als Energiequelle in der Region zu nutzen.

Grüne Hauptstadt Europas
Dieser Titel wird von der EU an Städte verliehen, die Umweltschutz, Lebensqualität und wirtschaftliches Wachstum verbinden. Und zwar nicht nur für das Jahr, in dem man den Titel bekommt, sondern verbunden mit einem dauerhaften Commitment.

Lokale Hausenblase

Die Wasted Potential Biere mit Wildkräutern oder auch Obstresten. Bild: Antbrew.

Bei der Müllvermeidung hilft ein kreativer Umgang mit diversen sonst nicht mehr benötigten Wert- und Werkstoffen. Und so gibt es 2022 ein neues kreatives Bier – für das die Schwimmblasen von Fischen zum Einsatz kommen. Seit Langem werden dem See Fische entnommen, um seinen Nährstoffhaushalt und die restlichen Fische zu schützen. Die Fische und Fischerzeugnisse werden teilweise gratis an die lokale Bevölkerung ausgegeben. Nun werden auch die Schwimmblasen genutzt, und zwar zur Filtrierung des Bieres: Ein Prozess, für den üblicherweise Hausenblase – die getrocknete Schwimmblase – aus internationaler Fischerei gekauft wird. Diese flockt bestimmte Inhaltsstoffe im Bier, die dadurch leichter herausgefiltert werden können, wodurch das Bier klarer wird. Es ist also nicht davon auszugehen, dass das Blonde Ale mit dem Namen »Find the Fish« irgendwie nach Fisch schmeckt – der regionale Rohstoff kann so aber gut genutzt werden.  

BIORAMA #78

Dieser Artikel ist im BIORAMA #78 erschienen

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