Regeln für den Exzess

So läuft eine Sexpositiv-Party ab.

Eine Person auf einer Sexpositiv-Party.
Um sich dem freien Feiern auf einer Sexpositiv-Party hingeben zu können, müssen zuerst einige Regeln eingehalten werden. Bild: Erfan.

In Berlin gesehen, in Wien ausprobiert und auch im restlichen deutschsprachigen Raum am Vormarsch. Sexpositiv-Partys sind in aller Munde und für viele schon längst kein schockierendes Thema mehr. Seit nach der Pandemie die Clubs wieder ihre Hallen öffneten, zogen viele dem Hype nach und sich selbst aus – oder verlangten es zumindest von ihrem Publikum. Für geübte ClubgängerInnen sind Events mit Sexpositiv/Sex+/S+ im Titel kein Aufreger mehr, dort tanzen mittlerweile auch Leute an, die sexueller Befreiung, außerhalb der eigenen vier Wände, bis dahin wenig Beachtung schenkten.
Viele Menschen fragen sich, was auf den mythenumrankten Feiern nun tatsächlich geschieht. Ob aus purer Neugierde, oder auch aus dem Wunsch heraus eine solche Party tatsächlich besuchen zu wollen – oft ist unklar wie ein solcher Abend typischerweise abläuft.
Doch: Nicht jede Partyreihe in jeder Stadt spielt sich gleich ab, auch innerhalb solcher gibt es Adaptionen, Locations ändern sich, Veranstaltende lernen dazu – oft auch durch das Feedback der Partygäste selbst. Besonders bei derartigen sensiblen Themen ist Weiterbildung und Reflektion unerlässlich – es ist also gut möglich, nach einer eingelegten Partypause, etwas andere Gegebenheiten vorzufinden als zuvor.

Was immer bleibt: Vorbereitung

Sich auf eine Sexpositiv-Party vorzubereiten, beinhaltet mehr als sich ein sexy Outfit auszudenken. Das generelle Einlesen in das Thema der Sexpositivität ist nicht nur für ein angenehmes gemeinsames Feiern wichtig, sondern oft bereits für den Einlass unerlässlich. Grundwissen zum Konzept und zur Partyreihe wird immer häufiger bereits zuvor online abgefragt und nicht erst an der Tür – viele Partyreihen arbeiten wenn möglich überhaupt nicht mehr mit Abendkassen, so auch die »Zusammen-Kommen«-Reihe des Wiener Kollektivs Hausgemacht. Diese Online-Bewerbungsprozesse mögen für viele abschreckend klingen, sparen aber am Partyabend immens Zeit und auch Nerven, da man sich in Ruhe im eigenen Tempo mit den Fragen beschäftigen kann. Die Bewerbungsverfahren werden oft per E-Mail oder bei Hausgemacht sogar über einen eigens kreierten Fragebogen durchgeführt. Bei diesen Partys besteht auch die Möglichkeit, sich als Gruppe anzumelden, in diesem Fall wird die Durchschnittspunkteanzahl der Gruppe als Bewertungsgrundlage verwendet. 
Fällt die Bewerbung positiv aus, bekommt man die Option, ein in der Regel nicht übertragbares Ticket zu erwerben. Es empfiehlt sich, die für die Veranstaltung individuell geltenden Regeln im Vorhinein gut durchzulesen, um keine unangenehmen Überraschungen zu erleben. 

Zwei Personen auf einer Sexpositiv-Party.
Oft greifen Personen auf Sexpositiv-Partys zu kreativen Outfits. Bild: Erfan.

Was an- beziehungsweise ausziehen?

Wenn der erste Schritt, die vorläufige Zusage zur Party erledigt ist – vorläufig deswegen, weil einem immer noch der Eintritt verwehrt werden kann, falls man sich in der Schlange komplett daneben benimmt oder derartig benebelt erscheint, dass man für sich selbst und andere kein angenehmer Partymitgast mehr sein kann – geht es meistens an die für viele wichtigste Aufgabe: Die Outfitselektion. Bei Sexpositiv-Partys gilt grundsätzlich ein mehr oder weniger streng kontrollierter Dresscode. Man kann davon ausgehen von viel nackter Haut, Dessous und Harnessen umgeben sein zu werden, manchmal gibt es auch individuelle Mottos. Einzelne Veranstaltende haben spezielle Regeln was besondere Kostüme oder Kleidertypen betrifft. Es empfiehlt sich im Zweifelsfall persönlich online mit einem Foto nachzufragen, ob das geplante Outfit in Ordnung ist.

Schlange stehen

Ist das Wissen angeeignet oder aufgefrischt und das Outfit gewählt, ist man bereit für die Warteschlange. Bei Hausgemacht gibt es einen Pre-Check-In am Vortag – hier wird der gesamte Prozess einen Tag früher durchgeführt und man erhält bei positiver Rückmeldung ein Armband, mit welchem man am Partyabend über eine Fast-Lane in den Club kommt. Am Eventabend ist ein kleiner Beutel für die Wertsachen und eine Tasche für die Straßenkleidung immer sinnvoll. Um das Anstehen für die Garderobe zu verkürzen, empfiehlt sich darüber hinaus immer, das Outfit bereits unter der Straßenkleidung zu tragen, aus der man ohne Komplikationen herauskommt. Bei Hausgemacht Partys wird am Eventabend der Ausweis kontrolliert, ein Security-Check vollzogen. Und Handykameras abgeklebt, denn bei Sexpositiv-Partys herrscht striktes Foto- und Videoverbot. Dann geht es zum Outfit-Check, wenn dieser bestanden wird zur Garderobe und schlussendlich bekommt man eine kurze Einführung des Awareness-Teams. Bei anderen Veranstaltenden und Events fallen manche dieser Checks weg. Je nach Partylocation gibt es auch andere Garderobenkonzepte, bei S.O.U.L. in Wien beispielsweise gibt es Spinde, in denen die Kleidung abgelegt wird – auch die Straßenschuhe. Für die Fälle, in denen es Abendkassen gibt, empfiehlt es sich in kleineren, geschlechtermäßig ausgewogenen Gruppen anzustehen, da meist auf ein ausgewogenes Verhältnis dieser geachtet wird. 

Eine Gruppe Menschen steht in einer Schlange.
Das Schlangestehen ist bei Sexpositiv-Partys oft eine etwas längere Angelegenheit. Bild: Istock.com/Tzahiv.

In the Belly of the Beast

Sind all diese Strapazen erfolgreich gemeistert, ist man endlich frei – im wahrsten Sinne des Wortes. Frei alles zu tun, was man möchte, aber niemals gezwungen, irgendwo mitzumachen – viele Leute haben auf Sexpositiv-Partys überhaupt keine sexuellen Kontakte und kommen nur um die Atmosphäre zu genießen, zu tanzen und mit gleichgesinnten Personen Zeit zu verbringen. Es gibt einen oder mehrere Dancefloors, eine Bar und je nach Veranstaltung verschiedene Specials oder Acts. Von der Location abhängig sind die Rückzugsmöglichkeiten – es ist aber auf Sexpositive-Partys beinahe überall möglich, sich sexuell auszuleben – Ausnahmen bilden meistens Orte wie Toiletten und Gänge. Meist gibt es einen großen oder mehrere Darkrooms, Safer-Sex-Utensilien wie Kondome oder Klarsichtfolie sowie Desinfektionsmittel und Tücher sind davor oder darin bereitgestellt. Auf den großen Sexpositiv-Partys von Hausgemacht »Zusammen Kommen« wird man vor den Darkrooms, zu denen man im Übrigen nicht alleine Zutritt erhält, noch kurz gebrieft, was zu erwarten ist. Das Awareness-Personal achtet an dieser Stelle außerdem auch darauf, dass die Räume nicht übervoll werden, weswegen es auch hier zu Wartezeiten kommen kann. Bei diesen Events gibt es mittlerweile auch Darkrooms nur für FLINTA* Personen, im Allgemeinen gilt vor allem als Einzelperson, egal wo man hineinwill oder mitmachen möchte – nachfragen. 
Auch beim Zusehen kommt es darauf an, ob die sexuell Agierenden damit einverstanden sind, manche Personen erfreuen sich an Publikum, für andere bedeutet es einen Übergriff. Der Grundsatz des Konsens greift auch bei nicht sexuellen Handlungen, man berührt Personen etwa nicht ohne Erlaubnis, auch nicht um ein Gespräch einzuleiten oder ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Sehr viele Partygäste, besonders weiblich gelesene, berichten freudig von genau dieser Atmosphäre auf Sexpositiv-Partys, die von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist wie selten sonst, trotz den knappen Outfits empfinden sie, deutlich weniger unangenehm angesprochen oder gar körperlich belästigt zu werden.

Ohne Awareness keine Party

All diese positiven Erfahrungen bedeuten natürlich nicht, dass auf Sexpositiv-Partys keinerlei problematischen Dinge oder Übergriffe vorkommen. Trotz aller Vorkehrungen können sich Gäste daneben benehmen – deswegen gilt leider auch hier, wie überall sonst, auf sich selbst und die eigenen Getränke Acht zu geben.
Besonders wichtig ist, falls doch etwas passieren sollte, das Awareness-Team. Solche Personen gibt es mittlerweile bei quasi allen Sexpositiv-Events. Sie stechen meistens visuell aus der Menge heraus, etwa mittels Leuchtelementen wie Lichterketten oder Kopfbedeckungen. Benötigt man als Gast Hilfe, sei das etwa durch einen selbst erlebter oder beobachteter Übergriff, sind die Mitglieder des AWA-Teams als Ansprechpersonen vor Ort.

Drei Personen auf einer Sexpositiv-Party.
Bei Sexpositiv-Partys von Hausgemacht wird Gästen eine kurze Frage zum Event oder aus den Themenblöcken des Bewerbungsprozesses gestellt, um sicherzugehen, dass sich die Person auch wirklich selbst mit den Inhalten befasst hat. Bild: Purrception Photography.

Time to say Goodbye

Wenn man sich genug ausgetobt hat wird es für alle irgendwann Zeit, nach Hause zu gehen. Das bedeutet für die meisten, sich bei der Garderobe wieder anzuziehen (obwohl man über Leute munkelt, die fröhlich kaum bekleidet den Heimweg antreten). Für das Wiederankleiden muss man, besonders bei Stoßzeiten, erneut etwas Zeit einplanen, es empfiehlt sich also wie bei jeder anderen Garderobe, den Bon nicht erst vor dem Fenster zu suchen zu beginnen. Über Rückmeldungen zur Party ist üblicherweise jedes Team dankbar, denn der Anspruch, so vielen Menschen wie möglich einen unbeschwerten Abend zu ermöglichen kann nur durch Feedback der Gäste umgesetzt werden.
Danach darf man beginnen, in Erinnerungen zu schwelgen und das Outfit für die nächste Party gedanklich vorzubereiten. Es bleibt die Eindrücke zu verarbeiten und den offenen, respektvollen Umgang auch im eigenen Leben außerhalb des Clubs umzusetzen – und so den Gedanken der Sexpositivität ein klein wenig mehr unter die Menschen und in den Alltag zu tragen. Genau darin liegt auch für viele ein Teil des Event-Appeals.

An anderer Stelle hat BIORAMA Informationen zur Vorbereitung auf eine Sexpositiv-Party zusammengetragen.

AWA* ist ein Kollektiv, welches übergreifende Arbeit zum Thema Awareness leistet. Dazu gehören etwa Veranstaltungsbetreuung, Awareness im öffentlichen Raum, Bildungsarbeit und Konzepterstellungen.

Das Wiener Technokollektiv Hausgemacht organisiert seit 2019 Sexpositiv-Partys in Wien und bietet mit »Zusammen Kommen« eine der größten Reihen ihrer Art. Der Wiener Verein S.O.U.L. ist für seine monatlich stattfindenden Sexpositiv-Feiern in einer sehr besonderen Location bekannt.

Sexpositivität – eine kleine Aufklärung

Der Begriff »Sexpositiv« schaffte im Sommer 2023 den Einzug in den Duden, Missverständnisse gibt es trotzdem noch viele. Ein Aufklärungsversuch.

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