Das große Grausen

Für den Gast ist ein Restaurant gut, wenn das Essen schmeckt. Für den Gastronomen erst, wenn es sich rechnet. Der Preis dafür sind oft Fertigprodukte, Billigwaren und Lebensmittelimitate. Wem der Appetit schon bei fertigem Kartoffelsalat aus dem Fünf-Liter-Eimer, tiefgekühltem Kaiserschmarren und Dotter aus dem Tetrapack vergeht, der sollte jetzt besser nicht weiterlesen. 

Wer ein Restaurant aufsucht, geht davon aus, dass ihm ein frisch zubereitetes Gericht aus hochqualitativen Zutaten serviert wird. Fälschlicherweise, wie eine im Mai von der Verbraucherzentrale Hamburg veröffentlichte Liste zum Speisekartenschummel aufzeigt. »Verbraucher werden vielerorts über den Restauranttisch gezogen«, so Silke Schwartau, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale. Nicht selten bestehe die einzige Leistung des Kochs darin, Dosen zu öffnen und Fertiggerichte aufzuwärmen. Statt ab Hof oder am Wochenmarkt einzukaufen, bezieht der Großteil der Gastronomie und Hotellerie seine Waren über die Gastro-Services der Lebensmittelindustrie und über Großmärkte. Diese unterscheiden sich vom Supermarkt, in dem unsereins einkauft, nicht nur durch die Größe. Die gut sortierte Bio-Gemüseecke sucht man darin vergebens, auch Ökosiegel und regionale Marken sind so gut wie unauffindbar. Ob ein Apfelstrudel hausgemacht ist oder aus der Tiefkühltruhe kommt, ist für die Gäste, wenn überhaupt, nur schwer erkennbar.

 

Fake-Käse und falsches Vertrauen

Die naive Erwartungshaltung vieler Konsumenten kommt den Gastwirten entgegen, so dass diese falsche Tatsachen oft gar nicht erst vortäuschen müssen. Ob das, was im Cordon Bleu oder auf Pizza und Lasagne wie Käse aussieht und schmeckt, auch tatsächlich Käse ist, hinterfragen die wenigsten. Damit Produkte nach europäischem Recht als Käse bezeichnet werden dürfen, müssen sie jedoch ausschließlich aus Milch hergestellt worden sein. Für sogenannte Analogkäse werden stattdessen Geschmacksverstärker und Pflanzenöl mit Eiweiß und Wasser verrührt. Das Ergebnis ist um rund 40 Prozent billiger als echter Käse und im Großhandel unter Fantasiebezeichnungen wie »Pizza-Mix« oder »Gastromix« erhältlich. Die gesetzmäßigen beschreibenden Verkehrsbezeichnungen dafür lauten hingegen »Lebensmittelzubereitung zum Überbacken« oder »Pflanzenfett-Eiweißzubereitung zum Schmelzen«. Am österreichischen Markt befinden sich derzeit rund 10.000 Tonnen derartiger Kunstkäse, in Deutschland geht man sogar von 100.000 Tonnen aus. Diese landen auf Pizzen, Tiefkühlgerichten und als Schafkäseimitate im Griechischen Salat. Aber »Falafel-Sandwich mit Fake-Feta aus Wasser und Pflanzenfett« schreibt sich selbstverständlich kein Imbiss auf die Fahne.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Auch die Herkunft von Fleisch wird nur in den seltensten Fällen auf der Speisekarte ausgewiesen. Dass das Grillhendl, das im heimischen Gasthaus serviert wird, auch aus dem Inland stammt, ist für viele Verbraucher selbstverständlich. Auf den Geflügel-Verpackungen im Großmarkt liest man hingegen häufig Brasilien, Thailand, Holland, Ungarn oder Slowenien. Kommt das Fleisch aus dem Ausland, ist die Produktion der Ware wenig nachvollziehbar und auch ihre Qualität schwieriger zu kontrollieren. Importiertes Fleisch ist eine Sache, imitiertes eine ganz andere. Schinkenimitate sind in Deutschland offenbar weit verbreitet, wie eine Veröffentlichung des Hessischen Verbraucherschutzministeriums von 2009 zeigt: Bei rund 68 Prozent der in der Gastronomie entnommenen Proben fanden die Kontrolleure statt Kochschinken ein künstlich hergestelltes Imitat. Die billigen Mogel-Produkte bestehen aus schnittfestem Stärke-Gel mit Wasser, Soja- und Milcheiweiß, in das kleine Fleischstücke eingebettet sind. Das bayerische Verbraucherministerium machte 2007 sogar die Entdeckung von einem Erzeugnis, das nur nochß zu 38 Prozent aus Fleisch und zu mehr als 40 Prozent aus Wasser bestand. Kommt bei einem Wiener Schnitzel echtes Fleisch zum Einsatz, verbirgt sich unter der Panier oftmals nicht Kalbsfleisch, sondern günstigeres Schweine- oder Putenfleisch. Auch Fischgerichte können den Verbraucher teuer zu stehen kommen, wenn ihm etwa statt einer Seezunge aus der Nordsee ein billiges Pangasius-Filet aus einer Aquakultur in Südostasien oder ein Räucherlachsimitat mit dem roten Farbstoff E124 vorgesetzt wird. Lebensmittel mit dem Farbstoff Cochenillerot A können nicht nur allergische Symptome hervorrufen, sondern müssen seit 2010 auch mit dem Hinweis »kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen« gekennzeichnet werden. Das Exotischste an den Surimi-Stücken, die man des Öfteren im Meeresfrüchtesalat findet, ist ihre Zusammensetzung: Fischreste, Eiweiß, Stärke, Öl, Zucker, Salz und Geschmacksverstärker.

 

In der Kennzeichnung ist der Wurm drin

»Hilfsstoffe in der schnellen Produktion sind nicht per se giftig, sie stehen lediglich für eine preisorientierte Produktion«, so Ernährungstrendforscherin Hanni Rützler. Problematisch sei jedoch, dass der Konsument nichts davon erfährt. Viele Gastronomen halten sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben und deklarieren die Verwendung von Geschmacksverstärkern und Farbstoffen nicht. Während beim Einkauf im Supermarkt ein Blick auf die Zutatenliste genügt, müssen Restaurants nicht alle Inhaltsstoffe angeben. »Die Lebensmittelindustrie hat sich in ihren Professional-Sparten für die Gastronomie darauf spezialisiert, Produkte herzustellen, die nur solche Zusatzstoffe enthalten, die nicht deklariert werden müssen. Das ist das Gegenteil von Transparenz für die Verbraucher«, erklärt Martin Rücker, Pressesprecher der Organisation Foodwatch. Auf diese Weise würden Gästen etwa das Antioxidationsmittel Schwefeldioxid (E 224) und Glutamat in Form von Hefeextrakt serviert. Weil dieses als »Zutat« statt als »Zusatzstoff« gilt, muss es nicht angeführt werden. Ebenfalls nicht erwähnt werden muss die Verwendung von Aromen: Rapsölzubereitungen mit Butteraroma etwa täuschen dem Konsumenten bei Gemüse Buttergeschmack vor, obwohl es nie echte Butter gesehen hat. Das größte Problem dieser Entwicklung stellt für Hanni Rützler der Verlust der Vielfalt von Geschmack und Konsistenz dar. »Wenn wir immer standardisierte Produkte essen, nehmen wir sie nicht mehr als solche wahr. Wir sollten einen kritischeren Gaumen entwickeln und uns fragen, wie eine Sauce immer und überall gleich schmecken kann«, plädiert sie an die Konsumenten. Obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Zutatenlisten auf Deutsch angeführt werden müssen, gibt es bei manchen Produkten keine Übersetzungen. Was sich hinter der »Chinesischen Gewürzsoße« im Zehn-Liter-Kanister ohne angeführte Inhaltsstoffe oder Ursprungsland verbirgt, können Gastronomen wie Konsumenten nur mutmaßen. »Wir haben viel zu wenig Ahnung, was die Zusatzstoffe in unserem Körper auf die Dauer wirklich bewirken«, so Julia Pengg vom vegetarischen Restaurant Mangolds in Graz. Bei ihr haben Geschmacksverstärker und Convenience-Produkte Lokalverbot. »Fertiggerichte verbilden unseren Geschmack. Daraus entstehen viele falsche Essgewohnheiten und unter anderem Übergewicht«, ist sie überzeugt. Da auch Fleischersatzprodukten aus Soja eine Menge Aromastoffe zugesetzt würden, damit diese nach Fleisch schmecken, greife sie am liebsten zu frischem Gemüse.

Alles andere als Friede, Freude, Eierkuchen

Bei den vielen Gerichten, die sich auf mehrseitigen Speisekarten finden, hat der Gast die Qual der Wahl. Nicht so bei den Zutaten, die dafür verwendet werden. Während im Supermarkt mittlerweile viele Konsumenten zu Freiland- oder Bio-Eiern greifen, wird ihnen in der Gastronomie die Entscheidung abgenommen. Beim Frühstücksei kann man die Herkunft am aufgedruckten Zahlencode ablesen, auf Fertigprodukten, Teigwaren und Mehlspeisen sucht man diesen aber vergeblich. Auch wenn Legebatterien in Österreich seit 2009 und EU-weit seit diesem Jahr verboten sind, finden in der Industrie und Verarbeitungsgastronomie billige ausländische Käfigeier nach wie vor Verwendung. Obwohl Eier für sämtliche Gerichte unersetzlich sind, werden Sie bei kaum einem Betrieb Eierschalen im Müll finden. Dotter und Eiweiß kommen pasteurisiert entweder zusammen oder getrennt aus dem Tetrapack, das Rührei wird gleich wie der Eistich für die Suppe fertig gegart und tiefgekühlt im 1.000-Gramm-Beutel geliefert.

Neben dem Preis und der sogenannten Geling-Garantie kommt es bei Convenience-Produkten insbesondere auf die Optik an. Doch nicht immer besteht das Steak oder das über den Tellerrand hinausragende Schnitzel aus natürlich gewachsenem Muskelfleisch. Mithilfe von Transglutaminasen lassen sich einzelne Fleischteile zu einheitlich großen und dicken Stücken zusammenkleben. Durch die Enzyme werden die Proteine im Fleisch vernetzt, so dass die Muskelstücke verschmelzen. Sogenanntes Klebefleisch ist nicht zwingend qualitativ minderwertig, eine Verwertung von Fleischresten auf diese Weise liegt jedoch nahe. Damit bei der Dekoration mit Eierscheiben keine Reste anfallen und die Dotter jeweils hübsch zentriert sind, bieten Großmärkte hartgekochte Eier in Stangenform an. Dazu werden Eiklar und Dotter getrennt von einander in bis zu ein Meter langen Rohrformen vor- und anschließend gemeinsam fertiggegart. Den Eiern werden dabei meist modifizierte Stärke und Säuerungsmittel beigefügt. Tiefgefroren sind sie laut Hersteller sogar bis zu zwei Jahre haltbar.

Wert versus Wertschätzung

Namhafte Großmärkte haben meist verschärfte Richtlinien für die Produkte, die in ihre Regale kommen. Durch die wachsende Anzahl an Großhändlern mit Spezialisierung auf asiatische oder türkische Produkte gelangen trotzdem immer mehr ausländische, schwer nachvollziehbare Lebensmittel in die heimischen Restaurants. Wenn im Einkauf ein Kilo Krebsfleischimitat aus Thailand rund fünf Euro und dieselbe Menge ungarische Ente 2,80 Euro kostet, stimmt etwas nicht. »Als Gast sollte man sich wundern, wie die Gastronomen bei besonders billigen Preisen trotzdem die Kosten für ihre Mitarbeiter decken können«, findet Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler. „Es kann nicht sein, dass wir um zwei Euro essen und erwarten, dass dafür ausgebildete Köche für 500 Leute kochen. Gutes hat seinen Preis.« Wenn zunehmend Arbeitsschritte ausgelagert werden und in der Küche nur noch verfeinert wird, hänge das mit der wachsenden Preissensibilität zusammen. »Wer sich aufregt, dass zugekauft wird, muss auch bereit sein, mehr zu bezahlen. Das ist eine Form von Wertschätzung«, betont Hanni Rützler, die persönlich lieber in die Küche als in die Apotheke investiert. Statt Convenience-Produkte zu verteufeln, spricht sie sich für eine offensivere Kommunikation aus. Diese wäre auch ganz im Sinne von Julia Pengg. »Die Leute wissen oft gar nicht zu schätzen, dass wir wirklich alles frisch und ohne Zusätze kochen, weil sie die Hintergründe in der restlichen Gastronomie nicht kennen.«

www.foodwatch.de

www.vzhh.de

www.hmuelvhessen.de

 

 

DAS GRUSELKABINETT DER GASTRONOMIE

Stangenei: Getrennt voneinander in Rohrformen gegarte Dotter und Eiklar mit modifizierter Stärke und Säuerungsmittel.

Vollei: In einem automatisierten Aufschlagprozess gewonnene, anschließend gefilterte, pasteurisierte und homogenisierte Eiermasse aus dem Tetrapack.

Stärke-Gel-Schinken: Kleine Fleischstücke (teilweise weniger als 50 Prozent) eingebettet in schnittfestes Stärke-Gel mit Wasser, Soja- und Milcheiweiß.

Klebefleisch: Mithilfe von Eiweiß vernetzenden Enzymen zusammengeklebte Fleischstücke, die natürlich gewachsenes Muskelfleisch imitieren.

Surimi: Krebsfleischimitat aus Fischresten, Eiweiß, Stärke, Öl, Zucker, Salz und Geschmacksverstärkern.

Kunst-Käse: Käseimitate, bei denen das Milchfett durch pflanzliche oder tierische Fette ersetzt wurde, mit Milch- oder Sojaeiweiß, Aroma-, Farbstoffen und Emulgatoren.

Räucherlachsimitat: Mit dem künstlichen Farbstoff Cochenillerot A (in USA, Norwegen und Finnland verboten) eingefärbte Dorsche wie Köhler und Pollack.

Hefeextrakt: Ein Geschmacksverstärker, der Glutamat, Inosinat und Guanylat enthält, aber nicht als solcher angeführt werden muss, weil er gesetzlich als »Zutat« gilt.

 

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