Schutzhaus zur Zukunft

Österreichs erstes von der UNESCO anerkanntes Weltnaturerbe, das Wildnisgebiet Dürrenstein, bekommt ein »Haus der Wildnis«. Warum braucht Wildnis ein Haus?

Das Wildnisschutzhaus während den Bauarbeiten
Modernes Wissenszentrum, um Wertschätzung für Schützenswertes zu schaffen: das Haus der Wildnis, gebaut aus Holz und Stein, möchte mit Augmented Reality emotionalisieren. Bild: Jürgen Maier

Am Ende könnte es wieder einmal arschknapp geworden sein, wenn Alexander Van der Bellen, so der Wunsch von Christoph Leditznig, im Frühjahr 2021 das Haus der Wildnis eröffnet. Der Bau des Wissenszentrums war öffentlichkeitswirksam als Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privaten SponsorInnen aufgesetzt gewesen. Noch ist alles im Plan, der Bau der Außenhülle abgeschlossen, Ende 2020 soll auch die Ausstellung fertig sein. Corona hat die Bauarbeiten nur für ein paar Tage unterbrochen. Die vom Virus ausgelöste Krise betrifft das Projekt aber trotzdem: »Ziel ist es immer noch, 50 Prozent der Kosten für das Haus durch öffentliche Gelder abzudecken und die andere Hälfte durch Sponsoring hereinzubringen«, sagt Leditznig, der das Projekt vorantreibt und das Wildnisgebiet im Auftrag des Landes verwaltet. »Vor allem Firmen haben gespendet. Die haben durch Corona jetzt aber andere Sorgen.« Vom Ziel, zwischen 2 und 2,5 Millionen Euro an privaten Spenden einzunehmen, möchte er nicht abrücken. Weitergebaut wird jedenfalls. »Notfalls werden wir eine Lösung finden«, meint man auch im Büro des zuständigen Landesrats Stephan Pernkopf.

»Den Rothwald hat noch nie eine Axt oder Motorsäge berührt. Er ist ein einzigartiger Naturschatz, den wir auch für weitere Tausende Jahre bewahren und schützen wollen.«

Stephan Pernkopf, Stellvertreter der niederösterreichischen Landeshauptfrau

Die Öffentlichkeit für das Projekt zu gewinnen, halten alle Beteiligten für besonders wichtig – nicht nur, weil privates Engagement der Allgemeinheit Geld spart. Vielmehr ist bei den meisten Landsleuten noch nicht angekommen, welchen Schatz sie mit dem Wildnisgebiet Dürrenstein unmittelbar vor der Haustür haben. »Unser Wildnisgebiet Dürrenstein beheimatet den größten und mächtigsten Urwald des gesamten Alpenbogens: den Rothwald, den noch nie eine Axt oder Motorsäge berührt hat. Er ist ein einzigartiger Naturschatz, den wir auch für weitere Tausende Jahre bewahren und schützen wollen«, erläutert Stephan Pernkopf.
Erst 2017 wurde das Wildnisgebiet zum ersten österreichischen UNESCO-Weltnaturerbe ernannt. Damit steht es nun mit dem Great Barrier Reef, dem Yellowstone-Nationalpark und den Südtiroler Dolomiten in einer Reihe.

Der bereits 1875 vom Banker Albert Rothschild als Urwald erkannte und vor forstwirtschaftlichem Zugriff geschützte Rothwald bildet mit seinen 400 Hektar heute die Kernzone des Wildnisgebiets, das mittlerweile auf 3.500 Hektar erweitert wurde. Zwar gibt es ein BesucherInnenprogramm, doch nur wenigen Menschen ist es jedes Jahr gestattet, ihn direkt zu betreten. Zutritt gibt es ausschließlich im Rahmen geführter Wanderungen. Deshalb brauche es ein Haus der Wildnis, »denn nur, was man kennt, kann man auch gut schützen und bewahren«, so Pernkopf. »Das Haus der Wildnis soll Verständnis und Interesse für die Natur wecken und gleichzeitig neuer Tourismus-Hotspot für die gesamte Region sein.«

Das Kernstück des Wildnisgebiets Dürrenstein, der Rothwald, ist seit der Würm-Kaltzeit Urwald. Bild: H. Glader.

Mit 35.000 jährlichen Gästen rechnet Wildnisverwalter Leditznig. Vor allem Familien, Schulklassen und Jugendliche möchte er ansprechen: »Wenn wir die zum Nachdenken bringen, dann haben wir was erreicht.« Neben Aquarien, Terrarien und einem Kinofilm, der die Schönheit der Wildnis zeigt, möchte man im Haus der Wildnis vor allem mit Technik emotionalisieren, etwa mit einer interaktiven Augmented-Reality-Installation. »Darin sehe ich mich selbst, und wie Tiere auf mich reagieren.« Gewissermaßen ein Was-wäre-wenn: Was würde draußen passieren, wenn ich den Urwald betrete? »So sehe ich, wie sich ein Luchs oder ein Hirsch verhält – je nachdem wie ich mich verhalte.«

Trotz des strengen Betretungsverbots ist die Zustimmung für das heutige Weltnaturerbe in der Region »überdurchschnittlich groß«. Christoph Leditznig, der in früheren Funktionen auch an der Entwicklung der beiden Nationalparks Donau-Auen und Thayatal beteiligt war, führt das auf dessen Entstehungsgeschichte zurück: »Während die meisten anderen Naturschutzgebiete historisch Verhinderungsprojekte waren, ging das Engagement fürs Wildnisgebiet von den EigentümerInnen aus.«

Dass der Bundespräsident zur Eröffnung ins Haus kommt, davon kann Christoph Leditznig deshalb ausgehen. Und auch dass das Staatsoberhaupt ein offenes Ohr für einen anderen Wunsch hat – und Stimmung dafür macht: dass das Wildnisgebiet größer wird, »damit die ökologischen Prozesse rund und natürlich laufen«. Einen ersten Versuch dafür hatte es bereits 2017 gegeben. Die Verhandlungen scheiterten damals nur knapp. Arschknapp, würde Alexander Van der Bellen sagen.

Weitere Informationen zum Wildnisgebiet Dürrenstein:
Die 3.500 Hektar des Wildnisgebiets Dürrenstein gehören zu zwei Dritteln den Bundesforsten. Die ehemaligen Rothschild-Ländereien sind seit 2019 im Besitz der Prinzhorn-Gruppe (Forstverwaltung Neuhaus Langau). Die öffentliche Hand entschädigt Nutzungseinschränkungen wie Jagd und Fischerei. Seit 2017 ist es UNESCO-Weltnaturerbe (wie sonst z. B. das Great Barrier Reef oder der Yellowstone-Nationalpark).
wildnisgebiet.at

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