Mehrweg zu Mittag: Vytal-Box zum Mitnehmen

Revolution to Go: Das Kölner Start-up »Vytal« möchte mit seinem digitalen Mehrweg-System das To-Go-Business ökologisieren – und belohnt "gutes" Verhalten.

»Im Grunde haben wir uns mit Vytal stark an Sharing-Angeboten aus dem Carsharing-Bereich orientiert«, sagt Gründer Tim Breker. (Foto: Vytal)

Revolution to Go: Das Kölner Start-up »Vytal« möchte mit seinem digitalen Mehrweg-System das To-Go-Business ökologisieren. Jede Vytal-Box ist bis zu 200 Mal verwendbar, belohnt gutes Verhalten – und basiert auf dem Prinzip einer Bibliothek.

Mit jedem gelieferten oder in der Mittagspause geholten Essen wächst der Müllberg. Meist ist es Einwegverpackung aus Kunststoff, die im Restmüll landet und thermisch verwertet – also verbrannt wird. Das ist auch bei Öko-Einwegverpackung, die theoretisch biologisch abbaubar wäre, nicht anders, weil in der Praxis entsprechende Kompostieranlagen fehlen. Damit hadern viele. Was sich für von zu Hause Mitgebrachtes, Selbstgekochtes individuell leicht mit Tupperware lösen lässt, scheitert bei Fertig-Gekauftem bislang am System; beziehungsweise an den Hygienerichtlinien. Restaurants dürfen Speisen nicht in von Gästen selbst mitgebrachte Gebinde abfüllen.

Digitales Mehrweg-System ohne Pfand

Der Müllberg bereitete auch dem Betriebswirt Tim Breker Kopfzerbrechen. Als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group versuchte er eigentlich gerade ganz andere Probleme zu lösen. Doch das Unmittelbare blieb unübersehbar: »Wenn im Büro fünf Teammitglieder für alle Essen bestellten, dann reichten die Büromülleimer nicht aus, um den Verpackungsmüll zu entsorgen,« erinnert sich Breker. Das ließ ihn und ein paar Gleichgesinnte nicht los. »Das hat uns so gestört,« sagt er. Deshalb habe man recherchiert, gesehen, dass es für das Problem bislang keine brauchbare Lösung gebe und sich selbst Gedanken gemacht. Das Ergebnis der gemeinsamen Denkanstrengung ist seit Herbst 2019 im Einsatz. Es hat das Potenzial, das Problem gleich für die ganze Gastro-Branche zu lösen. Denn die Food-Box »Vytal« kommt als digitales Mehrweg-System ohne Pfand – und damit ganz ohne Kosten – aus, funktioniert via App oder KundInnenkarte, und hilft nicht zuletzt Restaurants Kosten und ihren Gästen Müll zu sparen.

BPA-frei und für die Mikrowelle geeignet: die Vytal-Box

Wer frische Speisen aus dem Gasthaus, aus der Kantine oder aus dem Take-away-Laden mitnehmen möchte, hat sich einmalig zu registrieren. Das funktioniert per App oder über den Kauf einer Offline-Karte mit QR-Code. Die QR-Karte kann bei Vytal direkt oder bei allen Gastro-Partnerbetrieben erworben werden, die Food-to-Go in der Mehrweg-Box »Vytal« anbieten. Die ist aus wärmebeständigem Polypropylen, BPA-frei, auslaufsicher und sowohl für die Mikrowelle als auch für große Gastro-Spülmaschinen geeignet. »Beim Einkaufen werden einfach der QR-Code auf der Vytal-Box und jener des Kunden gescannt, damit braucht es kein Pfand, weil das System weiß, dass Kunde Andrea jetzt die Box Amira hat«, erklärt Tim Breker. »Wenn Andrea die Box binnen 14 Tagen retour bringt – zum Ursprungsort, aber auch zu einem anderen Partnerbetrieb oder zu einer Rückgabebox eines kooperierenden Arbeitgebers –, dann fallen keine Kosten an. Falls Andrea vergisst oder krank ist, dann gibt es via App eine Erinnerung. Und wenn Andrea die Vytal-Box nicht rechtzeitig retourniert, dann kostet das 10 Euro. Damit kauft sie sich von der Rückgabefrist frei, hat ein Nutzungsrecht, bleibt aber eingeladen, sie später wieder in den Kreislauf zurückzubringen.«

»Wir haben in Deutschland einen Standortvorteil für digitale Mehrwegsysteme, weil die Menschen sensibilisiert für Nachhaltigkeit sind. Die Friday-for-Future-Bewegung hat dieses Bewusstsein noch einmal verstärkt. Außerdem sind es die Deutschen gewöhnt, ihre Flaschen zurück in den Supermarkt zu bringen.«

– Tim Breker, einer der drei Gründer von Vytal

Auch in Kleinstädten oder in isolierten Kantinen funktioniert das Mehrwegsystem von »Vytal«. Doch, so Tim Breker: »Je größer die Stadt, desto attraktiver für uns.« (Foto: Vytal)

Gastro-Partnerbetriebe, die ihre Speisen einwegverpackungsfrei ausliefern oder zum Mitnehmen anbieten möchten, zahlen eine einmalige Einrichtungsgebühr an das Start-up und bekommt die Boxen je nach Bedarf geliefert. Danach fallen pro ausgegebener Schüssel 20 Cent an, »also nur pro Befüllung«. Alles wird via App mitverfolgt, die Verrechnung erfolgt monatlich und jedes Restaurant bekommt aufgelistet, wieviel Verpackungsmüll und CO2 er durch den Umstieg von Einweg auf Mehrweg gespart hat.

Bis zu 200 Mal kann jede »Vytal«-Box befüllt werden. »Schon ab der 10. Benutzung ist die Bilanz besser als die von Einweggeschirr«, sagt Breker. Über den gesamten Lebenszyklus einer »Vytal« ließen sich bis zu 30 Kilo CO2-Emission einsparen.

»Die Lebensmittelbehörde der Stadt Köln sagt, dass unser System die einzige saubere Lösung ist – weil der Gastronom selbst gespült hat.« (Foto: Vytal)

Plus für Gastro-Partner

Ökonomisch verspricht das Start-up seinen Partnerbetrieben einen klaren Mehrwert. Während sich die Kosten für Einweggeschirr pro Speise auf 25 Cent belaufen, stünde bei einer Befüllungsgebühr von 20 Cent pro Einheit bei täglich 60 verkauften Mahlzeiten zum To-Go-Verzehr und angenommenen 20 Öffnungstagen unterm Strich ein Plus von 300 Euro.

Der Ansatz klingt vielversprechend und revolutionär. Dabei ist das dahinterliegende Prinzip altbewährt. Denn im Grunde arbeitet jede Bibliothek, die Bücher verleiht, ganz genau so. »Stimmt schon«, gesteht Breker, »ich bringe das Beispiel nicht, weil es für manche altmodisch klingt. Aber unser digitales Mehrweg-System funktioniert letztlich wie ein kostenloser Bibliotheksausweis.«

Die drei »Vytal«-Gründer Sven Witthoeft, Fabian Barthel und Tim Breker (von links) finanzieren einen Großteil des Geschäfts selbst, werden aber auch von Business Angels unterstützt: einem Gastro-Profi, einem ehemaligen DAX-Vertriebsvorstand und einem Experten für Künstliche Intelligenz und Klimawandel. (Foto: Vytal)

Köln, Bonn, München, Salzburg: Vytal expandiert

Gestartet in Köln mit anfangs nur fünf Partnerbetrieben gibt es allein in der Heimat des Start-ups mittlerweile 35 Restaurants und Kantinen, die kooperieren – und über 1.000 KonsumentInnen, die das Mehrweg-Gebinde, das mit dem Hashtag #bowlwithbenefits beworben wird, nutzen. »73 Prozent der Nutzer, die uns einmal benutzt haben, benutzen uns mehrmals«, sagt der Gründer. In Kantinen ist das digitale Mehrweg-System etwa in der RTL-Zentrale im Einsatz – aber auch in anderen Städten, selbst in Kleinstädten. »Wir leben natürlich von lokalen Netzwerkeffekten. Wenn ich eine Schüssel hier mitnehmen und am nächsten Tag dort abgeben kann, dann ist das ideal. Der von uns errechnete Idealfall sind mindestens vier Restaurants in einem Radius von 500 Metern.« Wie geschaffen also für Innenstadtlagen, stark frequentierte Uni- und Büroviertel. In Bonn macht man sich gerade breit, in München git es erste Partner. Und mit dem Lokal Fit Smartfood, das in Salzburg-Maxglan gesundes Fastfood anbietet, gebe es bereits einen ersten Partner im Ausland. Bis zum Sommer 2020 möchte Vytal alle großen deutschen Städte abdecken. Die App soll deshalb möglichst noch im Frühjahr, jedenfalls aber 2020 voll einsatzfähig sein.

Deutschland ist ein Mehrwegland

Betriebswirt Breker denkt groß. Vor seiner Zeit bei der Boston Consulting Group hat er als Mathe- und Technik-Lehrer an einer Brennpunkthauptschule einen von seinen SchülerInnen selbst geführten Schulkiosk entwickelt. Daraus hat er erfolgreich ein Franchise-Netzwerk für Schulkioske aufgezogen. Heute spricht nichts dagegen, dass sich das »Vytal«-System auch international ausrollen ließe. Und Breker ist überzeugt, dass sich ein Mehrweg-System nirgendwo auf der Welt so gut starten lässt wie in Deutschland: »Wir haben in Deutschland einen Standortvorteil für digitale Mehrwegsysteme, weil die Menschen sensibilisiert für Nachhaltigkeit sind. Die Friday-for-Future-Bewegung hat dieses Bewusstsein noch einmal verstärkt. Außerdem sind es die Deutschen gewöhnt, ihre Flaschen zurück in den Supermarkt zu bringen.«

»Vorerst konzentrieren wir uns auf Partnerbetriebe, die Essen zum Mitnehmen anbieten und auf Restaurants, die mit eigenem Personal selbst auf E-Bikes oder Fahrrädern Essen ausliefern«, sagt Tim Breker. Supermärkten wird künftig auch ein Spülservice angeboten. (Foto: Vytal)

Der Gründer schätzt das von ihm entwickelte digitale Mehrwegsystem auch als deutlich attraktiver ein als klassische Pfandsystem mit Geldeinsatz: »Das klassische Pfandsystem ist nicht sonderlich motivierend. Pfand ist ein reaktives System, wir sind ein aktives System. Pfand ist immer entweder zu hoch oder zu niedrig, der Pfandbeitrag ist nie optimal. Entweder er ist zu hoch, dann greifen die Leute zu Einweg. Oder es ist zu niedrig, dann bringe ich das Leergut nicht zurück. Unsere Mehrwegalternative ist am Point of Sale  kostenlos – und sie bleibt kostenlos wenn sich der Nutzer umweltfreundlich verhält und es zurückbringt. Kosten entstehen ja nur, wenn die Box nicht retourniert wird. Mental sind das dann aber echte Kosten, weil das Geld im Kopf noch nicht als bereits ausgegeben verbucht wurde. Dass dieses psychologische Incentive funktioniert, das sehen wir.«

Die Zahlen geben ihm Recht. Während der Schwund bei klassischem Pfand um die 4 Prozent der Gebinde ausmacht, sind es beim Kölner Mehrwegsystem bislang unter 1,2 Prozent. Im Schnitt, sagt der Betriebswirt, kommt eine Vytal-Box schon nach vier Tagen zurück.

Die App finden interessierte KundInnen in den App Stores für iOS und Android. In Österreich kooperiert »Vytal« mit dem Salzburger Shop »Damn Plastic«.

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