Konfliktparteienverkehr

Als »Velo City« wird Wien 2013 offiziell zur weltweiten Fahrradhauptstadt. In der Stadt selbst herrschen wenige Monate davor heftige Verteilungskämpfe um öffentlichen Raum. Gestritten wird um die neue und künftige Nutzung von Verkehrswegen. Vier Auskenner antworteten BIORAMA auf bald zu klärende Fragen.

Im kommenden Jahr ist Wien ganz offiziell »Velo City«. Auf internationaler Ebene blicken damit die weltweite Fahrrad-Community und die nachgelagerte Branche nach Österreich. In der Stadt selbst ist der Straßenverkehr Brennpunkt territorialer Kämpfe zwischen Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern. Wobei den motorisierten Individualverkehrsteilnehmern oft die Rolle als »Platzhirschen« angedichtet wird. Die auf medialer Ebene ausgetragenen Debatten um jeden Quadratmeter potenzieller, öffentlicher Verkehrsfläche wirken manchmal wie rein politisch motivierte Schlammschlachten um Wählerstimmen und erinnern an Diskussionen um bedeutsame Schauplätze wie das Ring-Rund, den Naschmarkt respektive Wiental-Radweg oder einer Wiedner Hauptstraße.

Dabei sollte vielmehr sachlich gefragt werden: Sind Wiens Häuserschluchten wirklich zu eng, um allen Verkehrteilnehmern ausreichend Raum zur sicheren Fortbewegung zu verschaffen? Sind damit Grünstreifen- und Gehwegverknappungen zu rechtfertigen? Ist der raue Ton unter den Verkehrsteilnehmern eine Wiener Eigenheit oder ein natürliches Phänomen? Und: Was bleibt Wien nach 2013? BIORAMA fragt lokale Auskenner nach ihrer Einschätzung, welche Veränderungen eine »Velo City« langzeitlich mit sich bringen könnte.

 

Konflikte unter den Verkehrsteilnehmern stehen – nicht nur in Wien – an der Tagesordnung. Woran liegt das?

Alec Hager (Vereinsobmann IG Fahrrad)

Konflikte sind natürlich bei allen menschlichen Interaktionen, auch beim Verkehr. Aggressionen lassen sich nicht gänzlich vermeiden. Die wichtige Unterscheidung ist jedoch: Wie ist Macht und Raum verteilt und wie wirkt sich das auf die Konflikte aus? Die moderne westliche Stadt ist nun am Ende eins Umgestaltungsprozesses für die perfekte Autonutzung, das hat in den 50ern begonnen und kann so nicht mehr weitergehen, denn die schädlichen Auswirkungen sind offensichtlich: Umweltschäden, Platzmangel, Staus. Unterstützt durch den Benzinpreisanstieg sind viele Menschen aufs Rad umgestiegen, dafür ist aber durch die autozentrierte Verkehrsgestaltung nicht genug Platz, und dadurch entstehen hausgemachte Konflikte. Das Rad braucht mehr Raum und verkehrsberuhigte Fahrbahnen – dadurch profitiert der Gesamtorganismus Stadt, nicht zuletzt die Fußgänger.

Roman Stiftner

Roman Stiftner (ÖVP, Verkehrssprecher)

Natürlich darf man nicht pauschalieren. Aber ganz allgemein hat man den Eindruck, dass es unter allen Verkehrsteilnehmergruppen eine mangelnde Bereitschaft dafür gibt, die Verkehrsregeln auch immer einzuhalten. Da ist ein gewisses Unrechtsbewusstsein eingerissen. Allerdings wird bei manchen Radfahrern dieses Unrechtsbewusstsein noch dadurch bestärkt, dass sich manche als einzige ökologische Alternative zum übrigen Straßenverkehr fühlen. Was auch immer die Ursache ist, die Fahrradunfälle haben in den letzten Jahren zugenommen. Und es gibt leider auch immer mehr Fußgänger, die sich durch die Zunahme des Fahrradverkehrs in ihrer Verkehrssicherheit beeinträchtigt fühlen.

Renate Kaufmann (SPÖ, Bezirksvorsteherin Wien 6)

In Wien wurde leider lange Zeit Verkehrspolitik aus der »Windschutzscheibenperspektive« gemacht. Die Fußgänger und Radfahrer kamen dabei viel zu kurz. Beim Rückerobern des öffentlichen Raumes sind beide Gruppen demnach Konkurrenten. Würde mehr Straßenraum für die schwächsten Verkehrsteilnehmer zur Verfügung gestellt werden, gäbe es sicher weniger Konflikte.

Martin Friedl (Organisator des ARGUS Bike Festivals)

Ich fahre seit meinem zehnten Lebensjahr, also seit nunmehr 36 Jahren, praktisch täglich in Wien mit dem Rad, und erlebe eigentlich nie Konflikte. Als Radler bin ich mit den Augen des Autofahrers unterwegs, und wenn ich Auto fahre, dann setze ich die »Radler-Brille« auf. Ich habe festgestellt: Das ist für mich und mein Gegenüber komfortabel und sicher.

 

Wenn neue Radwege gebaut werden, müssen tendenziell Gehwege und Grünflächen weichen. Das schafft böses Blut gegen die Radfahrer. Wäre es nicht eine Alternative, Teile der Straße umzuwidmen?

Alec Hager (Vereinsobmann IG Fahrrad)

Ja, das ist eine dringend notwendige Alternative und eigentlich die einzige zulässige Lösung. Vor allem der ruhende Verkehr, also Parkplätze, vernichtet Lebensraum.

Renate Kaufmann

Renate Kaufmann (SPÖ, Bezirksvorsteherin Wien 6)

Beim Errichten neuer Radwege sollte man keinesfalls den Fußgehern, also den noch schwächeren Verkehrsteilnehmern, Platz wegnehmen. Verkehrsfreien Bewegungsraum gibt es in Wien ohnehin zu wenig. Da wir mit besseren Radwegeangeboten die Autofahrer zum Umsteigen aufs Rad bringen wollen, ist es logisch, Radwege auf Kosten der Fahrbahnen zu errichten.

Roman Stiftner (ÖVP, Verkehrssprecher)

Wenn man den Fahrradverkehr als ökologischen Ergänzungsverkehrsträger betrachtet, und es sprechen einige Gründe dafür, dann muss hierfür eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden, die die Sicherheit auf den Straßen gewährleistet. Die dafür vorgesehenen Verkehrseinrichtungen dürfen aber nicht auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer gehen, und auch nicht auf Kosten der Grünraumversorgung dieser Stadt. Man sollte daher in Wien endlich aufhören, die Interessen der Radfahrer gegen die aller anderen Verkehrsteilnehmer auszuspielen und die Verkehrspolitik danach dementsprechend ausrichten.

Martin Friedl (Organisator des ARGUS Bike Festivals)

Da ich schon im Straßenverkehr Rad gefahren bin, als es noch kaum Radwege und Mehrzweckstreifen gab, empfinde ich den jetzigen Ausbau des Radwegnetzes als großen Luxus. Und wenn ein Radweg mal wo endet: Was soll’s – dann fahre ich halt auf der Straße weiter. Das Rad bietet so viel Flexibilität, man kann es auch mal über einen Gehweg schieben, durch Hinterhöfe schlüpfen, Parks oder Nebenfahrbahnen für das Weiterkommen nutzen, dass ich dem ewigen Gejammere, die Radinfrastruktur wäre zu schlecht, wenig abgewinnen kann. Für Radwege wesentliche Teile der Fahrbahn zu verwenden, wird gesellschaftlich wohl erst durchsetzbar sein, wenn in Wien endlich ganzjährig geradelt wird – Radler also auch im Winter präsent bleiben im Verkehr. Auf dieses Ziel sollten wir gemeinsam losradeln!

 

Das Radwegnetz in Wien ist noch sehr lückenhaft. Manche Bezirke sammeln Kilometer für die Statistik, es fehlt allerdings an zusammenhängenden Konzepten. Wie löst man diese Unkoordiniertheit?

Alec Hager

Alec Hager (Vereinsobmann IG Fahrrad)

Durch stringente Radverkehrsbaumaßnahmen und verkehrsberuhigte Fahrbahnlösungen. Hier sind die neue Leitstelle Radverkehr der Stadtverwaltung und die zuständigen Magistrate MA18, 28 und 46 gefordert, sowie eine strikte Zielvorgabe seitens der Politik im Verkehrsressort von Maria Vassilakou.

Renate Kaufmann (SPÖ, Bezirksvorsteherin Wien 6)

Der richtige Lösungsansatz ist bereits mit der Re-Zentralisierung der Radwegeplanung gesetzt worden. Da die Stadt Wien vor zwei Jahren die Radwegekompetenz wieder von den Bezirken übernommen hat, selbst plant und finanziert, entscheidet daher die Wiener Verkehrsstadträtin auch wieder alleine über die bezirksübergreifende Radwegegestaltung. Die Zeit der unkoordinierten Radwegegestaltung sollte also vorbei sein.

Roman Stiftner (ÖVP, Verkehrssprecher)

Seit Jahren gibt es einen Radfahrkoordinator, jetzt hat man auch eine Radfahragentur geschaffen, in die will man auch noch einen Fußgängerbeauftragten hineinreklamieren. An den personellen Voraussetzungen scheitert die Koordination der Fahrradwege nicht – es fehlt viel mehr der politische Wille hier vernünftige Lösungen für alle Verkehrsteilnehmer zu realisieren.

Martin Friedl

Martin Friedl (Organisator des ARGUS Bike Festivals)

Zusammenhängende Konzepte gibt es sehr wohl, nur sind diese wegen der Mitsprachemöglichkeit oft parteipolitisch motivierter Bezirkspolitik nicht immer realisierbar. Mein Tipp: Radeln statt raunzen! Radfahren ist ein Quell täglicher Lebensfreude, soll ich mir das wirklich vermiesen lassen von Leuten, die keine Ahnung davon haben, was ihnen entgeht?

 

Mitarbeit: Benjamin Agostini

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