Projekt Roadkill: Street Is Murder

Bild: Johann G. Zaller

Bild: Johann G. Zaller

Ein Projekt an der Universität für Bodenkultur in Wien forscht zu tierischen Straßenopfern. BIORAMA hat mit dem Doktoranden Florian Heigl über das innovative Vorhaben gesprochen.

 

BIORAMA: Euer Projekt ist eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Roadkill. Was bedeutet denn »Roadkill« eigentlich?

Florian Heigl: Roadkills sind Tiere, die auf Straßen getötet wurden, meistens durch Autos und LKWs. Auch »vehicle collision« ist ein häufig verwendeter Ausdruck dafür.  Es gibt keine passende deutsche Übersetzung, denn der Begriff »Wildunfall« beschreibt nur Unfälle mit jagdbarem Wild.

Gab es zuvor schon Daten zu Roadkills in Österreich?

Ja, es gibt verschiedene Daten. Die offiziellen Daten der Statistik Austria werden durch Jäger, Polizei usw. erhoben, betreffen aber nur jagdbares Wild. Das heißt, diese Daten schließen zum Beispiel keine Igel oder Amphibien mit ein. Andere Daten beziehen sich nur auf einzelne Tiergruppen oder kleinräumige Untersuchungsgebiete. Flächendeckende Daten für alle Wirbeltiere gab es also bisher noch nicht.

Wie und warum kommt es denn zu Roadkills? Warum laufen die Tiere denn überhaupt über die Straße?

Das Zerschneiden von Lebensräumen – auch Habitatfragmentierung genannt – ist in der Ökologie ein wichtiges Thema und ein großes Forschungsfeld. Anhand der eigenen Wohnung kann man sich das am besten vorstellen: Man ist abends zu Hause, liest gemütlich ein Buch auf der Couch im Wohnzimmer und bekommt plötzlich Hunger. Man steht auf und möchte in die Küche gehen, die durch einen Gang vom Wohnzimmer getrennt ist. Man geht also Richtung Küche und plötzlich rauscht ein LKW durch den Gang. Wenn man Glück hat, ist man nur geschockt, wenn man Pech hat, ist man aber überfahren worden. So ungefähr ist das auch für Tiere: Jeden Tag müssen sie von ihren Schlafplätzen zu ihren Futterplätzen wandern und müssen dabei eventuell Straßen überqueren. Bei Amphibien ist es überhaupt so, dass sie oft zwei Mal im Jahr eine Straße überqueren  müssen, wenn sie vom Winter- ins Sommerquartier übersiedeln, also zum Laichplatz und wieder zurück. Daher ist die Menge an Roadkills gerade bei Amphibienwanderungen dann durchaus massiv.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, daraus ein Bürgerbeteiligungsprojekt zu machen?

Wir sind im Rahmen einer sehr gut besuchten Lehrveranstaltung an der Uni auf die Idee gekommen. In dieser Lehrveranstaltung sind über 400 Studierende pro Semester sinnvoll und praktisch beschäftigt. Für die Studentinnen und Studenten hat die Teilnahme an dem Projekt im Zuge der Lehrveranstaltung den Vorteil, dass sie bereits sehr bald im Studium einen Vorgeschmack auf Freilandarbeit und somit Forschungsalltag bekommen. Wir haben das dann also einfach ausprobiert – und die Studierenden waren begeistert!
Nach einer Laufzeit von drei Monaten haben wir gesehen, dass es wirklich großen Bedarf gibt und man sehr viele tote Tiere auf den Straßen findet – da waren wir selbst überrascht. Deshalb haben wir die Teilnahme an diesem Projekt dann für eine breitere Masse zugänglich gemacht. Jetzt kann jeder mitmachen.

Bild: Johann G. Zaller

Bild: Johann G. Zaller

Inwiefern kann jeder bei eurem Projekt mitmachen?

Wir bedienen uns einer Arbeitsmethode der Wissenschaft – Citizen Science genannt –, mit der Projekte unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateurinnen und Amateuren durchgeführt werden. Sie melden Beobachtungen, führen Messungen durch oder werten Daten aus. Den Begriff  Citizen Science gibt es erst seit 1995, die Methode selbst ist nicht neu und gab es schon, bevor Wissenschaft zur Profession wurde. Charles Darwin war zum Beispiel ein Citizen Scientist.

Aber nicht jedes Forschungsfeld ist geeignet für diese Arbeitsmethode. Warum ist gerade das Thema Roadkill besonders tauglich?

Vor allem dadurch, weil es jeden betrifft: Jeder, der irgendwie auf der Straße unterwegs ist, sei es jetzt mit dem Fahrrad, mit dem Auto oder zu Fuß, hat schon einmal einen Roadkill gesehen. Es gibt wenige Leute, die keine Assoziation dazu haben, deswegen eignet es sich so gut. Es ist zwar kein schönes Thema, bei dem man mit schönen Tierbildern Werbung machen könnte, aber es hat einen sehr hohen nützlichen Aspekt.

Welchen?

Vor allem für den Naturschutz ist dieses Projekt sehr wichtig, denn man kann die Tiere schützen, wenn man weiß, welche Faktoren Roadkills beeinflussen. Aber auch für den Menschen sind Roadkills relevant, denn Tiere auf der Fahrbahn stellen für Autofahrer eine große Gefahr und auch eine ethische Belastung dar. Nicht nur Zusammenstöße mit großen Wildtieren wie Hirsch oder Wildschwein verursachen jährlich hohe Personen- und Sachschäden – auch kleine Tiere wie Igel und Kröte können schon Schäden verursachen, da durch Ausweich- und Bremsmanöver häufig Unfälle passieren.

roadkill

Und wie kann man diesen Gefahren für Tier und Mensch konkret entgegenwirken?

Zum einen hat das Projekt – neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn – auch das Ziel, Leute, die mitmachen, für die Roadkill-Problematik zu sensibilisieren. Zum anderen streben wir eine Zusammenarbeit mit Behörden an, um gemeinsam die Hotspots, die wir durch unsere Analyse identifizieren können, zu entschärfen – mit Tunnels oder Grünbrücken(*) für die Tiere zum Beispiel. Und zuletzt ist unsere Vision, die gesammelten Daten auch in Navigationsgeräte einzuspeisen: Wenn man dann mit dem Auto unterwegs ist und diese Funktion verwendet, wird man gezielt gewarnt, sollte man in die Nähe eines solchen Roadkill-Hotspots kommen. Wir wollen also nicht nur das Problem sehen, sondern auch wirklich zu dessen Lösung beitragen.

 

Mach mit!

WER?
  • Smartphone-Besitzer können via mobiler Version von www.citizen-science.at mitmachen (eine App ist in Planung).
  • kein Smartphone bzw. kein Internetempfang in der Pampa: Notiere einfach die wichtigsten Fakten (Ort – je genauer, desto besser, Datum und Uhrzeit) und fotografiere den Roadkill mit deinem Handy oder deiner Digitalkamera – zu Hause dann erst ran an die Tasten.
WO?
  • Registriere dich auf www.citizen-science.at. Ein frei wählbarer Benutzername und eine aktive Mail-Adresse ist alles, was du brauchst. Und dann kann’s schon losgehen!
WIE?
  • Wenn du genau weißt, was für ein Tier es ist, kannst du die genaue Bezeichnung aus dem Menü auswählen. Zusätzlich noch Foto hochladen und angeben, wie sicher du dir mit deiner Bestimmung bist und voilà – fertig ist die Eintragung.
  • Trage nur »Amphibie«, »Säugetier« oder »Vogel« ein, wenn du nicht genau weißt, was es ist – kein Problem, denn andere Citizen Scientists können anhand deines hochgeladenen Fotos bestimmen, um welches Tier es sich dabei handelt. Als Teil der Community lernst du somit von anderen.

www.facebook.com/projekt.roadkill

 

 

 

(*) Grünbrücken

Eine Grün- oder Wildbrücke dient wildlebenden Tieren als Hilfsmittel, stark befahrene Verkehrswege, wie Autobahnen, Bundesstraßen oder Schienen gefahrlos zu queren. Grünbrücken verbinden somit Lebensräume und versuchen so die Folgen der zunehmenden Landschaftszerschneidung zu mildern.

Nicht jede Brücke und jeder Übergang, der von Tieren benutzt wird, ist eine Grünbrücke. Um eine Grünbrücke als solche zu deklarieren, muss diese außerhalb des Siedlungsgebietes liegen und nicht als Fußgängerquerung oder Weg gedacht sein. Damit Grünbrücken dann auch wirklich von den Tieren genutzt werden, müssen sie entsprechend bepflanzt sein. Hierfür werden Experten aus der Landschaftsplanung zum Einsatz gebracht. Auch seitliche Lärm- und Blendschutzeinrichtungen sind wichtig, damit die Tiere weitgehend ungestört sind.

Ein bekanntes österreichisches Beispiel für eine Grünbrücke liegt im Natura 2000-Gebiet Schütt-Graschelitzen an der A2 Süd-Autobahn in Kärnten, östlich der Autobahnraststätte Arnoldstein. Diese Brücke dient unter anderem den heimischen Braunbären als Querung und wird daher auch Bärentunnel genannt.

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