Der Luftschloss-Architekt

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Foto: Gabriel Gersch

Der Wiener Richard Polsterer zog aus, um Baumhäuser zu bauen. Damit erfüllt er Träume, denn ein Baumeister will er nicht sein. Ein Traumspieler – das schon eher. 

Klein-Neusiedl ist ein Dorf in Niederösterreich – am südöstlichen Ende der Runway 16/34 des Wiener Flughafens. Von der nahgelegenen Großstadt spürt man hier nicht viel. Der Fluglärm ist der deutlichste Hinweis auf die nahe Metropole. Und da sind die vielen alten Möbel aus Wiener Hinterlassenschaften, die ihren Weg aus bürgerlichen Altbauwohnungen hierher finden. Auf einem Antikmarkt in einer Lagerhalle werden sie in Kleinneusiedl zu Fantasiepreisen angeboten.

Gleich daneben entsteht Neues aus Holz. In Richard Polsterers Atelier, einem hohen, lichtdurchfluteten Raum auf einem uralten Fabrikareal,auf dem der fast 50jährige auch wohnt. Auf dem Parkplatz vor der Werkstatt – halb Wiese, halb Schotterplatz – steht sein alter VW-Bus. „Treehoues“ steht darauf. Richard Polsterer realisiert unter jenem Namen „Erwachsenenkinderträume“ aus Holz, indem er individuelle Baumhäuser baut. Begonnen hat er damit vor gar nicht allzu langer Zeit, als er schon seit zwanzig Jahren Tischlermeister und Möbeldesigner war. 2013 entstand das erste Baumhaus, der Prototyp sozusagen, in der Krone einer uralten Platane in Kleinneusiedl.

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Foto: Gabriel Gersch

220 Jahre vorher, 1793 wählte bereits ein anderer den Ort für seine Unternehmung. Ignaz Theodor Pachner, königlicher Merkantilrat und Großhändler aus Wien, baute hier eine Papierproduktion auf. Drei Jahre lang wurden damals über 300 Männer beschäftigt, um vom Flüsschen Fischa einen Werkskanal abzuzweigen, eine Produktionsstädte mit imposantem Mansardendach und zahlreiche Quartiere für die Arbeiter der größten Papier-Fabrik im Wiener Becken zu errichten.

Bis in die 1930er-Jahre wurde in Klein-Neusiedl Papier hergestellt. Danach kaufte die Familie Polsterer das geschichtsträchtige Fabrikgelände. Als Richard Polsterer vor 23 Jahren auf der Suche nach Platz für eine neue Werkstatt war, fand er hier ausreichenden Freiraum. Seither lebt und arbeitet Polsterer auf dem uralten Industrieareal, umgeben von überwucherten Gebäuden, uralten Bäumen und Maschinen.

Die Kunden, die sich Baumhäuser bei Richard Polsterer bestellen, träumen vielleicht von ganz ähnlichen Freiräumen. Je nach Größe, Wintertauglichkeit, Einrichtung und Material können die Baumhäuser zwischen 5.000 und 20.000 Euro kosten. Seine Zielgruppe kennt Polsterer inzwischen recht genau: „Das sind Mnschen, die wahrscheinlich schon fast alles haben.“ Zwei Gruppen unterscheidet er nach all seinen Erfahrungen mit Baumhaus-Bauherren: „ Da sind die beruflich arrivierten, primär gestressten Menschen, die sich nach Ruhe sehnen. Und da sind eher alternative, sekundär gestresste, die dasselbe wollen, weil sie ja im selben Wirtschaftssystem leben wie die primär gestressten.“ Alle Auftraggeber eint, dass sie ausgeprägte Kindheitsträume von einem eigenen Baumhaus realisieren wollen. Richard Polsterer hatte übrigens als Kind kein Baumhaus.

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Foto: Gabriel Gersch

Die Idee, professionell Baumhäuser zu errichten, kam ihm während einer einjährigen Pause vom Beruf als Möbeltischler. „Früher habe ich versucht, Natur in die Wohnungen zu bringen. Heute bringe ich Wohnträume in die Natur.“ Die Nähe zur Natur hängt für ihn auch eng mit seiner Jagdleidenschaft zusammen: „Der Bau von naturnahen Hochsitzen im eigenen Revier hat mich sehr inspiriert, diese schöpferische, handwerkliche Tätigkeit mit Naturmaterialien und Ganzkörpereinsatz an der frischen Luft vereint Leidenschaft und können mit Kreativität und Neugier.“

Na klar: ein Haus in einem Baum zu bauen, das ist eine sportliche Herausforderung, auch für Richard Polsterer und sein kleines Team: „Es ist herrlich, der Schwerkraft mittels Kletterseilen und Leitern zu trotzen, und rein körperlich ist es ein Genuss, die Schwindelfreiheit zu üben, eine immer neue kreative Herausforderung mit viel Konzentration. Wie gehe ich’s diesmal an? Wo will der Baum mich bzw. mein Baumhaus haben? Wie komme ich überhaupt hinauf? Welche Art von Stiege oder Leiter ist die Geeignetste?“.

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Foto: Gabriel Gersch

Bisher wurden die Treehouses vor allem in den Privatgärten zahlungskräftiger Kunden realisiert. Könnten Baumplattformen auch für die Gastronomie interessant sein? Richard Polsterer meint dazu: „Ja, kleine Essensplattformen nach den Vorbildern von „Le Vrai Arbre“ oder den süddeutschen Tanzlinden wären mein Traum. Aber bisher hat noch niemand soetwas von mir gewünscht. Es gibt auch immer wieder Ideen und Anfragen für größere Projekte im öffentlichen Raum. Allerdings wäre das Risiko für einen Hotelier sicherlich rechtlich groß und die baubehördliche Genehmigung wäre wohl an Bedingungen geknüpft, die nicht so leicht zu erfüllen sind. Allein statisch ist es schwierig, die Stabilität eines Baumes genau zu berechnen, von seiner Lebensdauer ganz zu schweigen.“ Deshalb sind die meisten Baumhaushotels, die es bisher gibt, auch nicht wirklich direkt in den Baumkronen, sondern daneben auf Stelzen errichtet. „Da schaut man dann in die Baumkronen der Bäume, die in der Nähe stehen. Auch schön. Aber so etwas zu bauen, das interessiert mich nicht. Ich mag keine Betonfundamente“ erzählt er, und ergänzt: „Ich bin kein Baumeister. Ich bin Traumspieler.“


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