»Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann« – In Memoriam Lutz Schulenburg

Lutz Schulenburg (c) Ute Schendel

Lutz Schulenburg (c) Ute Schendel

Eine Galionsfigur der politischen Verlagswelt, Lutz Schulenburg, ist am 1. Mai, kurz nach seinem 60. Geburtstag, überraschend aus dem Leben gegangen. Ein sozialrevolutionärer Idealist, der nicht nur seinem Verlag fehlen wird.

Wer seine Bekanntschaft machen durfte, bei dem hinterließ der norddeutsche Anarchist und Verleger Lutz Schulenburg einen tiefen Eindruck. Die langen, mittlerweile weiß gewordenen Haare, die großgewachsene, schlaksige Figur und die Drahtbrille waren 40 Jahre lang als weithin sichtbare Erkennungszeichen des Alt-68ers gleichgeblieben, ebenso unverändert wie seine politischen Auffassungen und sein Hamburger Akzent. Auch in der betriebsamen Hektik der Frankfurter Buchmesse, in der ich ihm wiederholt beruflich begegnet bin, war seine eigensinnige Durchsetzungskraft stets spürbar – die Entdeckerlust, die Wissenstiefe, die Menschenfreundlichkeit, mit der er seine neuen Verlagsprojekte anpries. Dabei war es über all die Jahrzehnte sein Credo, auf dem Weg zu einer neuen Gemeinschaft der Menschen stets libertär bleiben, wie er es auch in einem Interview mit der Zeitschrift Graswurzelrevolution zum 30-jährigen Verlagsjubiläum erklärte: »Wir haben uns im Kern nie als ›anarchistischer Verlag‹ verstanden, sind aber seit unserer Jugend libertär geblieben, auch in unserer Haltung als Verleger. In unserem Verlag veröffentlichen wir literarische Titel, die unabhängig sind von der Einstellung des Autors, die literarische Qualität haben. Bei den politischen Texten versuchen wir, Tendenzen zur sozialen Emanzipation zum Ausdruck zu bringen.«

1974 gegründet, begann die Edition Nautilus die Schriften einer spontanen, undogmatischen Avantgarde der 1920er Jahre zu einem Zeitpunkt wiederzuentdecken, als die dogmatischen Irrwege der damaligen Linken immer deutlicher wurden. Werke der Surrealisten und Dadaisten fanden sich darunter ebenso wie Klassiker der anarchistischen Literatur, Autobiografien von Jacques Mesrine, Charles Mingus oder Billie Holiday und Kriminalromane wie der IRA-Thriller »Der Hund« des Belfaster Anarchisten und Autors Sean McGuffin. Zu danken haben wir Lutz Schulenburg aber vor allem für das Kernstück der Edition Nautilus, die »Kleine Bücherei für Hand und Kopf«, in der zahlreiche, lange Zeit vergessene Texte der klassischen Moderne, u. a. von Enrico Baj, Max Ernst, Richard Huelsenbeck, Francis Picabia, Kurt Schwitters oder Tristan Tzara beständig wiederaufgelegt werden. Zuletzt ließ der Verlag mit Veröffentlichungen aufhorchen, die sich damit auseinandersetzen, wie politische Selbstermächtigung heute funktionieren kann: das postautonome Manifest »Der kommende Aufstand« etwa, das 2010 zu einem Überraschungserfolg wurde oder die globalisierungskritische Fibel »Wir sind überall«.

Auch wenn der Kapitän das Schiff nun verlassen hat, so wünschen wir den Zurückgebliebenen bei Nautilus weiterhin starken Wind in den Segeln.

 

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