Risiken in der Bio-Landwirtschaft

BILD: flickr/ The Knowles Gallery - CC BY 2.0

BILD: flickr/ The Knowles Gallery – CC BY 2.0

Die Forschungsarbeit „Konventionalisierung in der biologischen Landwirtschaft: Mythos oder Realität?“ der Bundesanstalt für Bergbauernfragen thematisiert die vielfältigen Veränderungsprozesse in der österreichischen Bio-Landwirtschaft. BIORAMA hat mit Michael Groier, wissenschaftlicher Mitarbeiter der BA für Bergbauernfragen, über diese Veränderungsprozesse und Risiken gesprochen.

BIORAMA: Wodurch sind die Veränderungsprozesse in der österreichischen Bio-Landwirtschaft gekennzeichnet?

Michael Groier: Unter Konventionalisierung in der biologischen Landwirtschaft versteht man Angleichungs- und Anpassungsprozesse der Bio-Landwirtschaft an die konventionelle Landwirtschaft. Man spricht auch von einer Veränderung der Prozessqualität entlang der Bio-Wertschöpfungskette in den Bereichen Produktion, Verarbeitung und Vermarktung, aber auch in anderen Bereichen des Bio-Sektors – eta Bio-Interessensvertretung, Agrarpolitik und Agrarverwaltung, Beratung, Konsumenten. Anpassung und Angleichung bezieht sich dabei auf die Grundwerte und Kernziele der biologischen Landwirtschaft.
Entscheidende Faktoren zur massiven Ausweitung des biologischen Landbaus war die Marktintegration des biologischen Landbaues durch den Einstieg der großen Supermarktketten in die Bio-Vermarktung ab Mitte der 1990er-Jahre sowie die Globalisierung der Biomärkte, wodurch sich die ehemals in sich geschlossene Marktnische zu einem bedeutenden, etablierten Teil des Lebensmittelmarktes wandelte. Dadurch war der Bio-Landbau relativ schlagartig mit konventionellen, industriell arbeitenden Verarbeitungseinrichtungen  wie Molkereien, Schlachthöfe, Mühlen, und Vermarktungsstrukturen konfrontiert, was wiederum zu Veränderungen auf den Bio-Betrieben und auch der Bio-Qualität führte.

Wie man in den Regalen jedes Supermarkts sieht: Bio boomt.  Wie kam es zu der gewaltigen Expansion des Bio-Sektors?

Durch den Beginn der Förderung des Bio-Bandbaus Anfang der 1990er Jahre sowie dem EU-Beitritt 1995, im Zuge dessen die Bio-Förderungen im Agrarumweltprogramm ÖPUL attraktiver gestaltet wurde, kam es innerhalb von fünf Jahren zu einer sehr dynamischen Ausweitung der Anzahl der Bio-Betriebe und damit der Bio-Produktion. In diesen Boomphasen gab es in manchen Teilen Österreichs, z.B. Tirol, massive Produktionsüberhänge, die von den bestehenden Vermarktungsstrukturen nicht aufgenommen werden konnten. Da große Mengen an Bio-Milch und Bio-Rindfleisch als konventionelle Ware verkauft werden mussten und daher auch kein Bio-Zuschlag ausbezahlt wurde, stiegen um die Jahrtausendwende in Tirol 2.000 Betriebe aus der Bio-Produktion aus.

BILD: Michael Groier,  BA für Bergbauernfragen

BILD: Michael Groier, BA für Bergbauernfragen

Was sind die Risiken, die aufgrund der zunehmenden Konventionalisierung der Bio-Landwirtschaft entstehen?

Konventionalisierung ist ein systemimmanenter Teil des Transformationsprozesses in der biologischen Landwirtschaft. Konventionalisierungseffekte sind aber derzeit nur in bestimmten Bereichen wie dem intensiven Grünlandgebieten, Stichwort: Hochleistungskühe mit steigenden Kraftfutterrationen, im Gemüsebau, in der Veredelungswirtschaft, siehe Legehennenhaltung, und im Bereich der Rinderhaltung – ein großer Teil der Bio-Rinder steht immer noch in Anbindhaltung – zu verzeichnen. Konventionalisierungsrisiken bestehen aber auch im Bereich der Bio-Qualität. Die industrielle Verarbeitung von Bio-Rohstoffen, der vermehrte Einsatz von Hochleistungshybriden im Gemüsebau und –rassen, z.B. in der Hühnerhaltung, und die daraus resultierende geringe Sortenvielfalt haben Auswirkungen auf die Bio-Qualität bzw. bezüglich Natürlichkeit, Reinheit, Genusswert, Regionalität. Durch die von der Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels – drei Ketten beherrschen 80 Prozent des Marktes; 70 Prozent der Bio-Lebensmittel werden von den Supermarktketten vermarktet – beschleunigte Spezialisierung, Intensivierung und Rationalisierung der Bio-Betriebe, die die Konventionalisierungsrisiken erhöhen.

Mit der Konventionalisierung geht die einheitliche Zertifizierung der Bio-Branche einher, ein umstrittenes Thema. Aus wissenschaftlicher Sicht – wo positionieren Sie Ihren Standpunkt?

Die einheitliche Zertifizierung der biologischen Landwirtschaft auf EU-Ebene ist einerseits eine Voraussetzung für einheitliche Bio-Standards, eine Voraussetzung für den Handel mit Bio-Produkten hinsichtlichMarkttransparenz und die Vertrauensbildung bei den Bio-Konsumenten. Andererseits wurden die EU-Bio-Standards und deren Umsetzung in den Nationalstaaten durch etliche Ausnahmeregelungen und umfangreiche Positivlisten wie Futtermittel, Dünger, Lebensmittelzusatzstoffe etc. in manchen Bereichen aufgeweicht und stehen unter dem Einfluss verschiedener Lobbys, sodass nationale Bio-Verbände  sowie – in stark steigendem Ausmaß – Standards der Bio-Handelsmarken großer Supermarktketten von sich aus diese Bio-Standards erhöht haben. Die Handelsketten haben den Verbänden – der weitaus größte ist Bio-Austria – also in manchen Bereichen die Richtlinienhoheit abgenommen und betrachten sich als eigentliche Innovatoren im Bio-Sektor. Hier muss aber auch vermerkt werden, dass die Bio-Richtlinien in den Bio-Verbänden durch die Bio-Bauern einem demokratischen Prozess von der Basis aus erstellt werden, während die Handelsketten aufgrund ihrer Marktmacht einen Top-Down-Ansatz verfolgen und im Rahmen der Vertragslandwirtschaft Richtlinien ihrer Bio-Eigenmarken durchsetzen.

Eine Frage als Konsumentin: Immer wieder entdeckt man in kleinen Bio-Läden Produkte, die zwar kein gängiges Siegel tragen, aber mit dem Schlagwort „naturnah“ versehen sind. Dabei ist das Vertrauen oft größer, als in Produkte mit Bio-Siegel aus Großhandelsketten. Gilt „naturnah“ somit als echte Alternativbezeichnung zu den oft teuren Bio-Zertifizierungen für kleinere Landwirte?

Bezeichnungen, die konventionelle Produkte irreführender Weise in die Nähe von Bio-Produkten rücken und die Konsumenten täuschen, sind laut EU-Bio-Verordnung verboten. Obwohl die Produktdifferenzierung bei Bio-Produkten in den letzten zehn Jahren vor allem in den Supermarktketten stark zugenommen hat, können sich die Konsumenten relativ einfach am EU-Bio-Zeichen, dem grünen Blatt, orientieren, welches auf allen Bioprodukten aufscheinen muss. Zusätzlich gibt es noch verschiedene Bio-Gütesiegel sowie Verbands- und Handelsmarken, über die den Überblick zu behalten schon schwieriger ist.
Der Bio-Landbau ist nach wie vor das Leitbild für die Umsetzung einer nachhaltigen Landwirtschaft. Will er sein unverwechselbares Profil und Produktimage aber bewahren und das Vertrauen der Bio-Konsumenten langfristig sichern, so müssen vor allem in den Bereichen Bio-Diversitätsschutz, Differenzierung der Vermarktungskanäle, der Weiterbildung und Bewusstseinsbildung und der Weiterentwicklung der Bio-Regelwerke Veränderungen und Weiterentwicklungen erfolgen. Die Schaffung von Plattformen zur Steigerung der Transparenz der Information zwischen Bauern, der Vermarktung und den Konsumenten – vor allem hinsichtlich Information statt romantisierender Bio-Werbung –, eine konsequente Unterstützung des Bio-Landbaus seitens der Agrarpolitik sowie den bäuerlichen Interessenvertretung sowie das Einbinden der zentralen Problemfelder wie Klimawandel, Energiewende, Biodiversitätskrise oder globaler Hunger in die Programmatik des Bio-Landbaus stehen dabei im Mittelpunkt.

 

Zum Download der Studie von Michael Groier „Wie weit darf Bio gehen?“ geht’s HIER.

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